Auch Herdentiere können ihre Individualität betonen
Jeder Mensch ist einzigartig, auch wenn man das nicht immer auf den ersten Blick sieht – denn modische Kleidung und Frisuren können durchaus bewirken, dass das Erscheinungsbild einer Gruppe recht homogen wirkt. Das gefällt den meisten auch gut, denn als Herdentier ist man auf der sicheren Seite, ein einsames Gnu wird schnell einmal von einem Löwen gerissen.
Nichtsdestotrotz möchte man auch als williger Teil der Schwarmintelligenz gerne ein wenig seine Einzigartigkeit nach aussen kehren – natürlich nicht so sehr, dass es Mitmenschen verscheucht, das wäre verheerend, nein, nur so sehr, dass man wieder Teil einer neuen Gruppe wird: jener, die dazugehören, aber dennoch etwas Besonderes sind.
Geschäftsmänner haben es am schwierigsten und am einfachsten zugleich, ihre Kleidung individuell aufzulockern. Zwar gibts klare Regeln, was Farbe, Schnitt und Auswahl der Anzüge angeht, anderseits weiss man so auch, was zu tun ist, um aufzufallen. Früher war die Krawatte die Spielwiese jener, die ein wenig gegen den Strom schwammen; dank dem Stoffstreifen konnten Individualisten zudem ganz konform ihre Interessensgebiete kundgeben – sei es Golf, die Liebe zu Blumen, Hunden oder den bevorzugten Comic.
Mittlerweile sind Krawatten in den meisten Büros nicht mehr obligatorisch, und seine Interessen verbreitet man per Facebook. Zudem sind modische Halsbinder heute so schmal, dass der unglaubliche Hulk gar keinen Platz mehr darauf findet. Der Tummelplatz mehr oder weniger eigenwilliger Männer hat sich ohnehin nach unten verlagert: Nun zeigt man mittels bunter Socken, wie rebellisch man ist. Wer zur Untergruppe der fashion victims gehört, wählt Knallfarben oder Muster (Streifen, Punkte, Karos). Comicfiguren dagegen sind nicht über jeden Zweifel erhaben und bleiben den echten Individualisten vorbehalten.
Dreierpack Herrensocken mit roten, grünen und blauen Streifen, Fr. 10.95, bei New Yorker, Freie Strasse 68
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 16.11.12