Engelsgleiche Science-Fiction auf Netflix

Mit der Mystery-Serie «The OA» hat Netflix mal wieder einen Volltreffer gelandet, der uns auf uns selber zurückwirft.

Das Mädchen Prairie erzählt nur im kleinen Kreis, was ihr widerfahren ist, und rekrutiert die Zuhörer als Helfer in der Not.

(Bild: ©Netflix)

Mit der Mystery-Serie «The OA» hat Netflix mal wieder einen Volltreffer gelandet, der uns auf uns selber zurückwirft.

Es beginnt mit einem Video: Eine blonde Frau in einem Abendkleid rennt verwirrt auf einer Autobahnbrücke hin und her, stolpert auf den Rand zu, klettert über die Brüstung, schaut noch einmal zurück und lässt los.

Ein paar Tage später öffnet sie auf einer Intensivstation in St. Louis die Augen. «Können Sie mir sagen, wer sie sind?», fragt die Krankenschwester. «I am the OA», antwortet The OA, die eigentlich Prairie und noch eigentlicher Nina heisst. Aber das erfahren wir erst später. Jetzt ist erstmal Verwirrung angesagt.

Denn die junge Frau weiss offensichtlich weder richtig wer sie ist, noch wo sie ist, und auch ihre Adoptiveltern, die nach kurzer Zeit ins Krankenhaus geeilt kommen, erkennt sie nicht. Erst als sie das Gesicht der Mutter in die Hände nimmt, erkennt sie, wer vor ihr sitzt. Denn Prairie, so heisst sie für ihre Adoptiveltern, ist eigentlich blind.

Nach sieben Jahren sehend wieder aufgetaucht

Beziehungsweise war. Jetzt, nachdem sie sieben Jahre lang verschwunden war, kann Prairie wieder sehen. Und nennt sich «The OA». Und sagt so komische Sachen wie «I need to go back to them.» «Die, die dich gefangen gehalten haben?», fragt das FBI. The OA nickt. Deshalb sei sie auch von der Brücke gesprungen. Um sie zu finden. Danach zieht sie sich in ihr Zimmer zurück, nimmt ihre Videokamera hervor und redet mit einem gewissen Homer, zu dem sie zurückkehren will. «But sometimes I’m scared I only made you up.»

Man merkt, sich diese Serie erklären zu wollen, führt nach einem ersten Augenschein zu einzig zwei Möglichkeiten: irre Klapsengeschichte oder irre Aliengeschichte. Als The OA schliesslich fünf Menschen um sich schart, um ihnen ihre Geschichte zu erzählen und sie als Helfer in der Not zu rekrutieren, kommt noch eine dritte Möglichkeit dazu. Diese scheint auf den ersten Blick die plausibelste, wenn man nur nicht immer wieder das Gefühl hätte, von diesem blonden Engel (so wird sie auch diverse Male genannt), in die Irre, beziehungsweise Hölle geführt zu werden.

Angenehm unterschwellig

Der blonde Engel wird gespielt von Brit Marling, die zusammen mit Regisseur Zal Batmanglij auch das Drehbuch zur achtteiligen Serie geschrieben hat. Marling hat ein Händchen für fantastisches Storytelling, wie sie bereits mit dem Science-Fiction-Drama «Another Earth» bewiesen hat. Darin spielte sie ein traumatisiertes Mädchen, das sich von einer zweiten Erde, die plötzlich am Firmament auftaucht, Erlösung erhofft. Marling schrieb das Drehbuch und schuf damit einen Film, der sich vom grassierenden Sci-Fi-Gedöns abhob: eine zarte, lebensnahe Leidensgeschichte, wo das Futuristische nicht als polternder Protagonist, sondern als subtiler Katalysator auftrat. 

Auch in «The OA» ist Science-Fiction am Start, allerdings noch weit unterschwelliger als bei «Another Earth». Man fühlt sich an «Stranger Things» erinnert, die Serie, mit der Netflix im Herbst Gruselfans und Sci-Fi-Nerds begeisterte. Auch in «The OA» geschehen unerklärliche Dinge, allerdings wird ziemlich schnell klar, dass die dafür verantwortlichen Ungeheuer wohl nicht aus einer dunklen Parallelwelt stammen, sondern aus den Tiefen der Psyche der Protagonistin selbst.

Dazu kommen poetische Einstellungen, gute Dialoge und eine Menschlichkeit, die einem bei «Stranger Things» gefehlt hat. «The OA» schleicht sich schmerzlich nah an den Zuschauer ran und hakt sich fest. Abgründe gehen auf und Einsichten präsentieren sich, auch eigene. 

Was kann uns verwöhnte Netflixer heute noch überzeugen, wenn an allen Ecken perfekt produzierte Serien mit wilden Geschichten aufwarten? Vielleicht ist es genau das: Geschichten, die uns auf uns selbst zurückwerfen. Sich in die menschliche Psyche hinunterwagen, engelsgleich verführen und verdammen. Wenn dem so ist, dann ist «The OA» momentan ganz hoch im Rennen.

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«The OA», ab sofort auf Netflix

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