Nach dem Brand im Hafen: Entwarnung im Blindflug

Nach der Feuersbrunst in Kleinhüningen beeilten sich die Behörden mitzuteilen, es habe nie eine Gefahr für die Bevölkerung bestanden. Doch nach den wirklich kritischen Stoffen wurde gar nicht gesucht.

Die vom Russ geschwärzten Bahnschwellen lagern noch am Westquai.

Die Entwarnung kam nach genau drei Stunden. Um 14.19 Uhr ging am Freitag, 27. Juli, die erste Meldung zum Feuer am Westquai ein, um 17.20 Uhr dann die offizielle Meldung: Beim Grossbrand habe keine Gefährdung bestanden.

Der Brand war noch Tage später Gesprächsthema in der Stadt. Einhellig die Verwunderung darüber, dass beim Abbrennen dieser durch gesundheitsgefährdende Schadstoffe belasteten Holzschwellen keine schädlichen Stoffe ausgetreten sein sollen. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass die SBB, welche die Entsorgung der Schwellen bei der Rhenus in Auftrag gegeben haben, in einem Dokument aus dem Jahr 2014 folgendes festhalten:

«Das Verbrennen von alten Eisenbahnholzschwellen oder Schwellenresten im Freien (…) ist verboten, da dabei aufgrund der zu geringen Verbrennungstemperatur hochgiftige Gase entstehen.»

«Hochgiftige Gase» sagen die einen, «keine Gesundheitsgefährdung» die anderen. Was stimmt nun?

https://tageswoche.ch/allgemein/es-ist-eine-belastung-entstanden-die-holzexpertin-der-empa-ueber-den-schwellenbrand/

Die TagesWoche hat mit mehreren Schadstoffexperten über diese Frage gesprochen und die sagen alle das gleiche: «Wir brauchen mehr Informationen darüber, wie diese Luftmessungen ausgesehen haben. Wo genau wurde nach welchen Stoffen gesucht?»

Insgesamt sechs Messteams aus verschiedenen Feuerwehrkorps haben am Tag des Brandes an unterschiedlichen Orten in der Stadt Messungen vorgenommen, wie Polizeisprecher Martin Schütz auf Anfrage mitteilt. So etwa am Voltaplatz, am Petersgraben und bei der Claramatte. Ebenso haben Messungen auf deutscher Seite stattgefunden. Bei der Entscheidung, wo gemessen wird, verlassen sich die Behörden auf ein System, das die Schadstoffausbreitung mittels Wetterdaten prognostiziert.

Für diese Tests greifen die Feuerwehren auf standartisierte Testkits zurück und können so zwischen 20 und 30 giftige Substanzen nachweisen. Schütz stellt uns die Liste zu. Nicht darauf enthalten sind die sogenannten Polyzyklischen Aromatischen Kohlenwasserstoffe (PAK).

Das erstaunt, denn genau um diese Substanzgruppe geht es bei den belasteten Bahnschwellen. Diese wurden zum Schutz vor Verrottung mit Teeröl imprägniert, welches hohe Konzentrationen der krebserregenden PAK enthält. Und auch Schütz schreibt, ein Brand von Bahnschwellen unterscheide sich dadurch von einem normalen Feuer, dass «dabei PAK freigesetzt werden können».

Weshalb wurde also nicht nach PAK gesucht, wenn diese doch in diesem Fall von besonderer gesundheitlicher Relevanz waren? Polizeisprecher Schütz schreibt:

«PAK gehören zu jenen Stoffen, die nicht direkt gemessen werden können, sondern nach denen erst nachträglich in den Proben gesucht werden kann. Auf eine solche Auswertung der Luftproben wurde bewusst verzichtet. Die Verbrennungstemperaturen waren so hoch, dass es höchstens zu einer geringen Freisetzung von PAK gekommen ist.»

Angesichts der starken Rauchentwicklung (eine über Stunden weithin sichtbare Rauchsäule) kann die Verbrennungstemperatur jedoch nicht übermässig hoch gewesen sein. Rauch deutet gemäss Lehrmeinung auf eine unvollständige Verbrennung hin.

Analyse des Rheinwassers steht noch aus

Martin Forter ist Altlastenexperte und Geschäftsleiter der Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz. Er ist erstaunt darüber, dass die Feuerwehren in der Luft nicht nach PAK gesucht haben. «Das Argument, diese seien aufgrund der hohen Verbrennungstemperaturen kaum freigesetzt worden, irritiert. Denn durch die Löscharbeiten sinkt diese Temperatur ja rapide.»

Unterstützung erhält Forter von seinem Kollegen Jean-Louis Walther, der im jurassischen Courtedoux ein Labor betreibt. Walther, Experte für Mikroverunreinigungen, hat Erfahrung mit Eisenbahnschwellen und mit PAK. «Ich finde es sehr seltsam, dass nach diesem Brand in der Luft nicht nach PAK gesucht wurde.»

PAK seien sehr temperaturresistent und würden sich an Russpartikeln festsetzen, erklärt Walther. «So fliegen sie hoch und können auch eingeatmet werden.» Die Argumentation der Behörden steht also auf wackligen Beinen.

Bei ihrem Entscheid, die Proben nicht auf PAK zu untersuchen, beruft sie sich auch auf die Ergebnisse einer Analyse des Rheinwassers. Das Amt für Umwelt und Energie (AUE) hat während 24 Stunden Proben entnommen, um darin nach PAK zu suchen, die über das Löschwasser in den Fluss gelangt sein könnten. Dabei seien keine Auffälligkeiten festgestellt worden, wie AUE-Leiter Matthias Nabholz schreibt.

Vor diesem Hintergrund hielt es die Feuerwehr nicht für nötig, die Luftproben einer genaueren Analyse zu unterziehen. Doch die Überprüfung des Rheins ist noch nicht abgeschlossen. Es könnte nämlich sein, dass sich die PAK am Boden abgesetzt haben. Das AUE untersucht deshalb derzeit noch Bodenproben, die Auswertung soll noch diese Woche vorliegen.

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