Am 18. Juni ist Tag der Mediation. Ja, wir wissen: Es gibt mittlerweile einen Tag für alles und jeden. Aber das gab uns Gelegenheit, mit Mediatorin Birgitta Rebsamen zu reden. Sie vermittelt zwischen Scheidungspaaren oder streitenden Nachbarn.
Birgitta Rebsamen, zu Ihnen kommen Menschen, weil sie Streit haben. Welcher Fall hat Sie besonders belastet?
Kürzlich hatte ich einen Scheidungsfall, in dem ein Kind seinem Vater eine Nachricht mit den Worten «Ich will deine Geschenke nicht» schickte.
Das war sicher hart für den Vater.
Ja, aber vor allem auch für das Kind. So schreibt doch ein Kind nicht. Die Mutter hat ihm wahrscheinlich gesagt, es soll das schreiben. Da wusste ich: Die Eltern instrumentalisieren ihre Kinder für ihre eigenen Interessen.
Sind Eltern so egoistisch?
Sie sind sich dessen häufig nicht bewusst. Diese Mutter war sehr erfolgreich im Beruf und viel im Ausland unterwegs. Der Vater war Hausmann und schaute zu den Kindern, sie lebten im Baselbiet. Dann ging die Frau fremd und es folgte die Scheidung. Sie wollte mit den Kindern in die Stadt ziehen.
Obwohl der Vater immer zu den Kindern geschaut hatte?
Ja, für sie war klar: Die Kinder brauchen ihre Mutter. Der Vater wollte aber mit den Kindern im Dorf bleiben. Also machten wir eine Kindersitzung, um herauszufinden, was die Kinder wollen.
Aber Sie können ja die Kinder nicht fragen, ob sie lieber bei Mama oder Papa leben möchten. Dann kommen sie in einen Loyalitätskonflikt.
Da haben Sie recht. Wir sind deshalb vorsichtig an das Thema herangegangen und haben die Kinder gefragt, was für sie wichtig wäre, wenn Mama und Papa nicht mehr zusammen wohnen. Der Knabe sagte, er wolle weiterhin mit seinen Freunden zur Schule und in den Fussballverein. Das Mädchen wollte weiterhin mit ihren Freundinnen in den Reitunterricht.
Das spricht dann natürlich gegen einen Wegzug in die Stadt.
Ja, den Kindern ist es oft wichtig, ihr bisheriges Leben weiterzuführen. Wir fragten sie auch, wie sie ihre Tage verbringen. Die Antwort: «Papi holt uns von der Schule ab, dann gehen wir zusammen spielen.» Und als wir sie nach ihrem Lieblingsessen fragten, sagten sie: «Papi kocht mir immer dies und jenes.» Da war die Mutter sehr erstaunt.
Kannte sie das Leben ihrer Kinder nicht?
Sie war sich einfach nicht bewusst, wie wichtig der Vater im Alltag der Kinder ist. Sie einigten sich dann darauf, dass die Kinder im Haus bleiben und die Eltern sich je ein Zimmer ausserhalb suchen und abwechselnd zusammen mit den Kindern im gemeinsamen Haus wohnen.
Ein Happyend, also?
Leider nicht. Die Anwältin der Frau überzeugte sie nachher wieder davon, dass die Kinder bei ihr leben müssten. Das tat mir so leid für die Kinder, sie wurden so zum «Streitobjekt» in der Scheidung.
Was hat sich diese Anwältin dabei gedacht?
Es ist der Job der Anwälte, nur das Interesse ihres Kunden zu vertreten. Das macht es schwer, eine Lösung zu finden, die für die ganze Familie stimmt.
Wie ging die Geschichte aus?
Der Fall kam vor Gericht, ich weiss leider nicht, wie er ausging.
Wie hoch ist Ihre Erfolgsquote?
Bei neun von zehn Familien finden wir eine Betreuungslösung, mit denen Vater und Mutter zufrieden sind und die für die Kinder gut ist. Die meisten Eltern kommen ja freiwillig zu uns und sind bereit, an einer guten Lösung zu arbeiten.
Und die, die unfreiwillig kommen?
Die schickt der Richter. Er könnte zwar darüber entscheiden, bei wem die Kinder wohnen. Aber eigentlich ist Kinderbetreuung nicht justiziabel: Ein Richter kann nicht organisieren, wer die Kinder wann ins Bett bringt, wer die Arztbesuche regelt und wer die Geburtstagskuchen backt. Die Eltern müssen dafür zusammenarbeiten.
Da muss man sich extrem zusammenreissen, wenn man gerade vom Partner betrogen wurde und im Stolz verletzt ist.
Das können nicht alle. Eine Klientin hatte so genug von ihrem Ex-Mann, dass sie mit den Kindern auf einen anderen Kontinent zog. Der Vater sieht sie jetzt noch einmal pro Jahr.
Warum ist sie abgehauen?
Er war Geschäftsmann und meldete im April eine Mediation bei uns an; er meinte, er wolle bis Juli geschieden sein, da er dann von seiner neuen Partnerin ein weiteres Kind bekomme. Die Mutter wollte nichts mehr mit ihm zu tun haben. Aber die Kinder haben so ihren Vater verloren.
Aber seit 2014 gilt doch das gemeinsame Sorgerecht. Seither darf man nicht ohne Einverständnis des anderen Elternteils ins Ausland.
Das war, bevor das gemeinsame Sorgerecht eingeführt wurde. Damals wurde das Sorgerecht in der Regel noch der Mutter zugesprochen.
Gibt es seither weniger Streit?
Nein, eher im Gegenteil. Wenn Vater und Mütter mitreden dürfen, wo das Kind in die Schule geht und welche Hobbys es hat, gibt es auch mehr Anlass zu Streit. Ich hatte Fälle, in denen Eltern darüber stritten, ob das Kind nun vegan ernährt wird oder nicht!
Ist das gemeinsame Sorgerecht also kontraproduktiv?
Im Prinzip ist es richtig, denn Kinder brauchen für eine optimale Entwicklung Vater und Mutter. Das Problem ist einfach: je mehr die Eltern streiten, desto mehr leiden die Kinder.
Woran merkt man das?
Einige Kinder ziehen sich zurück und reden nicht mehr. Andere werden hyperaktiv, aggressiv, stören den Unterricht, kriegen schlechtere Noten.
Eine Ihrer Klientinnen zog ins Ausland, eine andere wollte mit den Kindern in die Stadt ziehen. Das klingt, als ob Frauen häufiger die Übeltäterinnen seien.
Nein, die Mehrheit der Mütter und Väter will das Beste für die Kinder. Aber Sie haben mich nach Fällen gefragt, die mich besonders belasten. Und das sind nun mal Situationen, in denen die Mütter ihre Kinder instrumentalisieren.
Weil Sie sich mit den Frauen identifizieren?
Bis zu einem gewissen Grad ja, ich denke dann: «wie kann eine Mutter nur». Da habe ich selber ein sehr konservatives Frauenbild vor mir, das ist mir klar.
Als Mediatorin müssen Sie neutral zwischen den Streitenden vermitteln – können Sie bei solchen Frauen objektiv bleiben?
Ja, auch dank meines Kollegen. In Familienmediationen führen wir die Sitzungen immer zu zweit durch – er ist Wirtschaftsberater und Psychologe, ich Juristin. Er ist ein Mann, ich eine Frau. Wir geben einander nach jeder Sitzung Feedback und stellen sicher, dass sich der andere objektiv verhält.
«Bellende Hunde und Bäume, die die Sonne oder die Aussicht stehlen – das sind die Klassiker bei Streit zwischen Nachbarn.» (Bild: Alexander Preobrajenski)
Geht es bei Ihnen immer nur um Scheidungen?
Meistens. Aber wir haben auch häufig Erbschafts-Streitigkeiten, Konflikte am Arbeitsplatz und Nachbarschaftsstreitereien.
Aha. Bellende Hunde und Bäume, die dem Nachbarn die Sonne oder die Aussicht stehlen.
Ja, das sind die Klassiker.
Wenn der Schweizer keine Probleme hat, kann er sich immer noch ein Problemchen heraufbeschwören.
Natürlich sind das im Vergleich zu einer Scheidung Luxusprobleme, aber den Betroffenen geht es dabei schlecht, das nehmen wir sehr ernst.
Lohnt sich eine Mediation finanziell?
Ja. Eine Sitzung bei uns kostet 250 Franken pro Stunde – und da sind, wie gesagt, zwei Mediatoren dabei. Eine Stunde beim Anwalt kostet zwischen 180 und 400 Franken und das bei nur einem Anwalt.
Das können sich wohl nur gut Betuchte leisten?
Jetzt sprechen Sie einen wunden Punkt an: Parteien, die sich ein Scheidungsverfahren nicht leisten können, erhalten grundsätzlich die «unentgeltliche Rechtspflege». Diese finanzielle Unterstützung wird aber in vielen Kantonen – so auch in Baselland – nur für die Gerichts- und Anwaltskosten bewilligt, nicht aber für Mediationen. Aus meiner Sicht ist das ein politischer Fehlentscheid. Die Parteien sind so gezwungen, mit Anwälten zu arbeiten, auch wenn sie die Streitpunkte einvernehmlich in einer Mediation klären möchten.
Warum werden Sie dann nicht Anwältin?
Anwälte müssen immer wieder Werte vertreten, hinter denen sie nicht stehen können. Und nachher beklagt sich der Kunde noch, weil er das Gefühl hat, dass der Anwalt zu wenig herausgeholt hat. Ich kenne Anwälte, die deswegen kaum schlafen können.
Und schlafen Sie gut?
Ja, wir schaffen es meistens, die Bedürfnisse aller Parteien zu erfüllen. Das ist sehr befriedigend.