«Es gab Zeiten, da hat man noch an Multikulti geglaubt»

Während täglich neue Flüchtlinge nach Europa strömen, fragt Regisseurin Ute Sengebusch in ihrem Theaterstück «The Camouflage Project» nach der 2. Generation. Zwei junge Tamilen erzählen vom langen Schatten des Krieges in Sri Lanka und wie unterschiedlich Integration verstanden werden kann.

(Bild: Miriam Haltiner)

Während täglich neue Flüchtlinge nach Europa strömen, fragt Regisseurin Ute Sengebusch in ihrem Theaterstück «The Camouflage Project» nach der 2. Generation. Zwei junge Tamilen erzählen vom langen Schatten des Krieges in Sri Lanka und wie unterschiedlich Integration verstanden werden kann.

Gaya tanzt. Einen zweihundert Jahre alten tamilischen Traditionstanz. Mit Hosen und T-Shirt von heute, auf einer Bühne, die in ihrem grellen Pink all die Farbigkeit der tamilischen Kultur konzentriert ausstrahlt.

Gayas Schritte sind kräftig und stark. Auf der schrägen Bühne klingen sie wie Trommelschläge. «Ich will nicht, dass meine Eltern entscheiden, mit wem ich mein Leben verbringe», sagt sie zum Publikum. «Ich will mich einfach verlieben.»

Einfach verlieben – keine Selbstverständlichkeit für Tamilen, die sich auch als Immigranten in der zweiten Generation zu grossen Teilen dem Kastensystem verpflichtet fühlen. Doch Gaya hat Glück: Ihren Eltern ist das Kastensystem nicht besonders wichtig.

Gaya heisst eigentlich Gayathri Sritharan. Sie ist neben Patrick B. Yogarajan eine von zwei Protagonisten in «The Camouflage Project». Regisseurin Ute Sengebusch von der Firma für Zwischenbereiche – ausgezeichnet mit dem Basler Kulturförderpreis 2015 – hat mit den beiden eine dokumentarische Theaterperformance erarbeitet. Das Stück hatte am diesjährigen Theaterspektakel in Zürich Premiere, war nominiert für den Förderpreis der Zürcher Kantonalbank. Nun folgen Gastspiele im Theater Roxy Birsfelden und im Schlachthaus Bern.

Die Frage nach der Box

Seit zwei Jahren steht Gaya mit der Regisseurin im Gespräch. «Sehr viele Fragen, die wir im Stück stellen, betreffen mich auch persönlich», sagt sie. Zum Beispiel die Frage nach der passenden Box.

«Wenn man jemanden kennenlernt, steckt man sie oder ihn in eine der Boxen, die man so mit sich herumträgt», sagt Gaya auf der Bühne. «Aber ich wüsste nicht, in welche Box ich am besten gesteckt werden könnte. In die Schweizer-Box? Oder in die Migranten-Box? Tamilen-Box? Secondo-Box? In die Jus-Studentin-Box? Die Internet-Generation-Box? Oder in die Traditions-Box, Folklore-Box? In die Gut-angepasst-Box? In Die-es-besser-hat-als-ihre-Eltern-Box? Oder: in die besonders schön glitzernde Box des perfekten Integrationsbeispiels?»

Gaya ist von all dem ein bisschen – und noch viel mehr. Sie ist in Basel geboren, hier zur Schule gegangen, studiert nun Jus an der Uni Basel. Gleichzeitig ist die 22-Jährige ausgebildete Bühnentänzerin für «Bharatanatyam», einem traditionellen Tanz aus Sri Lanka, der Heimat ihrer Eltern. «Ich fühle mich in beiden Kulturen wohl», sagt sie, «aber meine Heimat ist ganz klar Basel.» Wenn ein Fremder lobt, dass sie ein lupenreines Baseldytsch habe, antwortet sie gerne: «Sie aber auch!»

Besucht hat sie Sri Lanka bisher nur zwei Mal. Des Krieges wegen. Und wegen der Narben, die er hinterliess. Dennoch sagt sie: «Sri Lanka ist eigentlich ein Paradies. Und ich mag es, wie die Menschen trotz allem dort miteinander umgehen.»

Traditionen zu pflegen gehört zur Kür; Pflicht sind Fleiss und Zuverlässigkeit.

Gaya ist klug und reflektiert. Sie versteht, dass ihre Eltern, die vor dem Krieg in Sri Lanka geflohen sind, kaum etwas von ihren schrecklichen Erlebnissen mit den Kindern teilen wollen. Dass es eine unsichtbare Barriere zwischen der geflohenen ersten Generation und der im Frieden aufgewachsenen zweiten Generation gibt. Und dass der Krieg dennoch untrennbarer Teil ihrer eigenen Identität ist.

Gaya kann akzeptieren, dass es für die Eltern aufgrund ihrer eigenen Geschichte wichtig ist, die Kinder in einem sicheren Job zu wissen – und dass Künstlerberufe nahezu ausgeschlossen sind. Die Kunst, und sei es der traditionelle Tanz, ist für die Freizeit da. Traditionen zu pflegen gehört zur Kür; Pflicht sind Fleiss und Zuverlässigkeit.

Gaya weiss um ihr Glück, an einem Ort und zu einer Zeit aufgewachsen zu sein, als man an Multikulti glaubte: «Ich besuchte in meiner Freizeit die tamilische Schule; aber auch in der Schweizer Primarschule hatten wir einmal wöchentlich HSK – heimatlichen Sprach- und Kulturunterricht», erzählt sie. «Da haben die Tamilen Tamilisch gelernt, die Türken Türkisch, und die Schweizer Deutsch. Jeder ging in sein Grüpplein – und alle waren total normal», erzählt sie von ihrer Kindheit im St. Johann. «Basel fördert die Integration sehr», ist sie überzeugt.  

Plötzlich sichtbar

Gaya möchte etwas zurückgeben, auch deshalb macht sie bei diesem Theaterstück mit. Sie ist der Gegenpol zu Patrick, ihrem Bühnenpartner. Er hat als Kind selbst den Krieg erlebt und ist erst mit elf Jahren nach Deutschland geflüchtet, kam später in die Schweiz. Der 35-Jährige steht der Tradition und dem Integrationsprozess viel kritischer gegenüber. Und so werden auf dieser Bühne zwei von rund 50’000 Tamilen in der Schweiz, die meist so unauffällig bis zur Unsichtbarkeit leben, plötzlich sichtbar.

Auch in Bezug auf die aktuelle Flüchtlingskrise liegt Gaya das Sichtbarwerden am Herzen: «Es ist wichtig, dass man sieht, dass auch Flüchtlinge und Secondos etwas zu unserer Schweizer Gesellschaft beitragen. Ich studiere Jus und engagiere mich ehrenamtlich in der Rechtsberatung», sagt sie. «So kann auch die Zukunft der neuen Flüchtlinge aussehen. Es müssen nicht alle kriminell oder sozialhilfeabhängig werden.»
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«The Camouflage Project». Theater Roxy, Birsfelden. Heute, 20 Uhr. Täglich bis Mo, 28.9.

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