Tausende Flüchtlinge suchen Schutz in Europa. Unser Korrespondent begleitet sie auf ihrer Route von Griechenland nach Österreich. Teil 2.
Dienstag, 1. September, 6 Uhr morgens: Die Situation der Flüchtlinge an der griechisch-mazedonischen Grenze lässt mich nicht los. «Es ist Irrsinn: Zwei Bäume als knapp 1,5 Meter breite Öffnung nach Europa für 20’000 Menschen am Tag», sagt ein griechischer Polizeioffizier. Er deutet auf den kleinen Spalt, durch den immer mal wieder fünfzig Flüchtlinge durchgelassen werden.
Drumherum steht ein Verhau aus extrem scharfem Nato-Stacheldraht. Je später der Tag, desto schwieriger wird die Passage. Dutzende Afghanen, Ägypter und Afrikaner drängen sich vor der engen Lücke. Sie wollen alle durch. Die mazedonische Grenzpolizei verlangt jedoch eine kontrollierte Passage und blockiert den Grenzübertritt.
Einige Syrer murren, sie beschuldigen Ägypter, Marokkaner und Afghanen, die mit syrischen Papieren reisen, dass sie Baschar al Assad als Söldner gedient haben. «Die haben 10’000 Dollar kassiert, ein paar Wochen gekämpft und desertieren nun mit syrischen Papieren. Erst schiessen sie auf uns, und nun nehmen sie uns unsere Plätze weg», schimpft ein junger Syrer. Es kommt zum Tumult, Staub wirbelt auf. Wasserflaschen und Fäuste treffen jeden, der den zwei Bäumen zu nahe kommt. Das Kreischen der Kinder erfüllt die wüste Region im Niemandsland.
Minuten später haben die Beamten beider Länder ein Einsehen. Gemeinsam mit Flüchtlingen bilden sie einen Korridor um die beiden Bäume, durch den die übrigen einzeln passieren dürfen.
Dienstag, 1. September, 14 Uhr: «Wir können nur illegal aus Syrien raus, ok! Aber Deutschland nimmt uns doch, warum können wir nicht legal weiterreisen?», fragt mich ein Syrer. Er hat sich den Bundesadler und die Deutschlandflagge auf den Oberarm tätowiert. Fast alle loben Angela Merkel und schimpfen auf Griechen und Mazedonier.
Die angebliche Wandlung der Kanzlerin von der strengen Wächterin des Euro zur mütterlichen Retterin der Flüchtlinge hat sich unter den Heimatlosen schnell herumgesprochen. Sie müssen trotzdem durch die beiden Bäume illegal nach Mazedonien einreisen.
Trotz Hitze und Müdigkeit geht es immer weiter für die Flüchtlinge, aber immer abseits der Öffentlichkeit. (Bild: Wassilis Aswestopoulos, n-ost)
Journalisten und Fotografen ist der Zugang durch die Bäume verwehrt. «Das wäre ein illegaler Grenzübertritt, ihr aber könnt legal kommen», erklärt der wachhabende Offizier der mazedonischen Gendarmerie. Die mazedonische Regierung will um jeden Preis ausserhalb der Flüchtlingstrecks die staatliche Ordnung aufrechterhalten.
Tatsächlich werden die Flüchtlinge, nachdem sie zehn Euro für knapp 190 Kilometer Eisenbahnfahrt nach Serbien bezahlt haben, komplett vom übrigen Geschehen in Mazedonien abgeschirmt. Obwohl viele es versuchen, gelingt es keinem, sich aus dem Pulk zu lösen. Züge und Busse fahren ohne Kontakt zur Bevölkerung durchs Land.
Die Tankwarte in Serbien und Mazedonien kennen das Drama nur aus dem Fernsehen.
An den Rastplätzen, an denen ich auf meiner Fahrt durch Mazedonien und später auch Serbien halt mache, sehe ich keinen einzigen Flüchtling. Die Tankwarte kennen das Drama nur aus dem Fernsehen. Während in Griechenland Syrer und Afghanen omnipräsent sind, bemerkt man das Flüchtlingsdrama in Mazedonien und Serbien nur an den langen Staus an den Grenzübergängen.
Ich komme um zwei Uhr nachts an den Grenzübergang zwischen Horgos (Serbien) und Röszke (Ungarn). Die Beamten beider Länder kontrollieren akribisch jeden Wagen. Besonders betroffen sind Kleintransporter und Campingwagen.
Die Reise durch Mazedonien und Serbien kostet die Flüchtlinge ungefähr 45 Euro. Touristenbusse befördern auf einer Strecke analoger Länge von Novi Sad, nahe der serbisch-ungarischen Grenze, tagtäglich ihre Passagiere für knapp 55 Euro pro Person nach Thessaloniki, das 50 Kilometer von der griechisch-mazedonischen Grenze entfernt liegt.
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Teil 1: Von Griechenland nach Österreich: Auf der Route der Flüchtlinge
Teil 2: Haben Sie gerade gelesen.
Teil 3: folgt am Donnerstag.
Teil 4: folgt am Freitag.
Teil 5: folgt am Samstag.