Es ist nicht zu früh, um über Waffengesetze zu sprechen – es ist zu spät

Knarren töten keine Menschen, das machen Menschen – so tönen die Waffenfetischisten auch nach dem Massaker von Las Vegas. Und das ist in der Schweiz nicht viel anders als bei den Amis.

Jetzt bloss nicht auf die bösen Amerikaner zeigen, liebe Schweizer! (Bild: Montage Nils Fisch)

Hätte in Las Vegas ein Moslem um sich geschossen, das Wort Terror wäre in Grossbuchstaben auf allen Frontseiten zu lesen. Die Junge SVP hätte ein Bild mit Leichen gepostet und darunter sowas geschrieben wie: «Bis jetzt haben wir Glück gehabt, aber wann kommt der Terror zu uns?» Die AfD hätte einmal mehr Merkel zur Hexe gemacht und gesagt, ihre Asylpolitik würde das Gleiche in Deutschland herbeiführen.

Einige Medien haben es sogar versucht: «Isis bekennt sich zum Massaker», titelten sie. Aber diesmal ergibt das wirklich keinen Sinn. Zumal sich Isis inzwischen zu allem bekennt. Breaking News: Isis bekennt sich zu Aids, Krebs, dem Klimawandel und zu «Despacito».

Nein, es war ein älterer weisser Ami. Ein «Lone Wolf». Diese einsamen Wölfe sind inzwischen die grösste Terror-Organisation der Welt. Wäre es ein Moslem gewesen, der gesamte Islam wäre schuld. Aber es war ein «Lone Wolf» – schuld ist seine zerrüttete Kindheit. Trotzdem konnte sich der Mann automatische Gewehre beschaffen, von seinem Hotelzimmer aus Dutzende Menschen töten, Hunderte verletzen und sich selbst kurz vor Eintreffen der Polizei erschiessen.

Nach jedem Attentat schiessen die Verkäufe von Schnellfeuerwaffen in die Höhe.

#PrayForLasVegas heisst es jetzt wieder. Und wieder falten sie die Hände. Seit Jahren wird gebetet für die Opfer von Attentaten, Amokläufen und Schiessereien. Seit Jahren gehen in den fiebrigen Gebeten die Stimmen der Vernunft unter, die nach strengeren Waffengesetzen rufen. Just an dem Tag, an dem Dutzende in Las Vegas regelrecht hingerichtet wurden, setzte sich US-Präsident Trump für Erleichterungen beim Kauf von Schalldämpfern ein. Es ist zum Davonrennen.

Und nein, es ist nicht zu früh, um über Waffengesetze zu sprechen. Es ist zu spät. Zumindest für die Toten von Las Vegas.

Letztes Jahr gab es in den Vereinigten Staaten mehr «Mass-Shootings» (ein Wort, das scheinbar extra für Amerika erfunden werden musste) als Tage. Nach jedem Attentat schiessen die Verkäufe von Schnellfeuerwaffen in die Höhe. Viele Menschen wollen nicht einsehen, dass mit der Anzahl Waffen die Anzahl der Toten durch Waffen steigt.

In keinem westlichen Land sind Tötungen mit Schusswaffen so häufig wie in den Staaten. Auf dem zweiten Rang dieser Statistik folgt übrigens die Schweiz. Wenig bis keine Vorfälle gibt es beispielsweise in Australien, wo nach einem Attentat vor Jahren etliche Waffen aus Privatbesitz eingezogen wurden.

Wer eine Waffe trägt, nimmt sein staatsbürgerliches Recht wahr. Wer sich der Hymne verweigert, ist ein Landesverräter.

«Guns don’t kill people, people do!», lallen die Irren, die glauben, mehr Waffen würden mehr Sicherheit bringen. Spätestens seit diesem Attentat ist das widerlegt: Mit Messern bewaffnet, hätte der Attentäter wohl kaum aus dem x-ten Stock eines Hochhauses bequem Hunderter-Salven auf die Menge niedergehen lassen können. Selbst mit einem Lastwagen hätte er nicht so viele Menschen töten oder verletzen können. Der Fall ist klar: mehr Schusswaffen – mehr Tote.

Aber viele Amerikaner haben eine fast erotische Beziehung zum Second Amendment, in dem das Recht, Waffen zu besitzen und zu tragen, festgeschrieben ist. Sie halten es historisch verblendet für ein Menschenrecht.

Selbst in «linken» Kreisen geistert der Gedanke herum: Wenn der Staat bewaffnet ist bis auf die Zähne, soll es der Bürger auch sein. Wer eine Waffe trägt, nimmt sein staatsbürgerliches Recht wahr. Wer sich der Nationalhymne verweigert bei einem Football-Spiel, ist ein Landesverräter.

Menschenleben gegen Bequemlichkeit

Die Schweiz ist übrigens das Amerika Europas, wenn es um Waffen geht. In keinem anderen Land hat ein so grosser Bevölkerungsanteil eine Schnellfeuerwaffe zu Hause. Vor ein paar Jahren wurde immerhin damit aufgehört, jedem Soldaten eine Dose «Taschenmunition» mit nach Hause zu geben, aber Hunderttausende Sturmgewehre liegen und stehen noch immer in Schweizer Haushalten herum. Tausende Schützen haben im Schützenverein relativ easy Zugang zu Munition. Ein Kollege von mir hat sich mit dem Sturmgewehr das Leben genommen.

Der Amoklauf von Zug im Jahr 2001 und zig Familiendramen passierten und passieren mit diesem Gewehr. Aber es nützt nichts. Die Waffen-Heinis beharren stur auf ihrer Ansicht, dass nicht die Waffe, sondern der Mensch tötet und ein echter Eidgenosse eine Waffe besitzen soll.

Die Waffenschutz-Initiative wurde 2011 abgelehnt. Ein Hauptargument damals: Ich will doch nicht jedesmal mein Gewehr in der Kaserne holen gehen, wenn ich zum Obligatorischen muss. Menschenleben gegen Bequemlichkeit, sozusagen.

Epidemie der Unvernunft

Für mich zeigen die Reaktionen auf den Terroranschlag die Verblendung grosser Teile der Amerikaner und erschreckend vieler Menschen weltweit. Sie beten lieber, statt sich für strengere Waffengesetze, bessere Bildung, Integration und eine offene Gesellschaft einzusetzen.

Das Böse wird auf Flüchtlinge, Schwarze und Moslems projiziert, statt dass man sich eingestehen würde, dass jeder Mensch zu Grausamkeiten fähig ist und gerade diese Projektion das Klima des Grausamen fördert.

Eine Epidemie der Unvernunft sucht die Welt heim, während wir noch immer hoffen, in ein Zeitalter der Rationalität und des Fortschritts eintreten zu können. Vielleicht schaffen wir den Sprung ja noch. Beängstigend ist nur, dass Unvernunft und Dummheit kombiniert mit modernen Waffen flächendeckend tödlich sein können, wie wir sehen.

Dagegen hilft nur eines: Abrüstung auf allen Ebenen. Jetzt.

PS: Ich nenne das Massaker von Las Vegas absichtlich Terroranschlag. Wenn jeder Axt schwingende Geisteskranke, der am Bahnhof Leute verletzt und zufällig Moslem ist, zum weltweit vernetzten islamistischen Terroristen hochstilisiert wird, soll es dem weissen «Lone Wolf» nicht besser ergehen.

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