«Euri Sicherheit forderet meh Vrletzti als unseri Fankultur»

Das verkrampfte Verhindern von Pyrotechnik in den Schweizer Stadien hat nur zu neuen Eskalationen geführt – findet die Muttenzerkurve.

Das verkrampfte Verhindern von Pyrotechnik in den Schweizer Stadien hat nur zu neuen Eskalationen geführt – findet die Muttenzerkurve.

Der FC Basel gehört zu den Vereinen in der Schweiz, die sich ernsthaft mit ihren Fans und den Problemen, die entstehen können, auseinandersetzen. Einen bemerkenswerten, weil bisher einmaligen Versuch, unternahm der FCB Ende Januar an einem Symposium, bei dem etliche Aspekte der aktuellen Sicherheitsdebatte von Experten beleuchtet wurden. Die «Ultras» aus der Muttenzerkurve entschieden sich dazu, nicht persönlich aufzutreten, sondern liessen ein von ihnen produziertes ­Video zeigen, in dem sie ihre Motiva­tion und Haltung darlegen. Der dazugehörende Text wurde der TagesWoche zur Verfügung gestellt und wird hier ungekürzt und original in Baseldeutsch wiedergegeben:

Im letschte Joorzähnt het sich in de ­vrschidene Schwizer Stadie e neu organisierti Fanbewegig etabliert. Im Sälbstvrständnis vo dere Bewegig isch dr Yysatz vo pyrotechnische Artiggel als Usdrugg vo Freud integrale Bestandteil vo dr Fankultur. Dr Gebruch vo Füürwärkskörper in Fuessballstadie gyts abr scho lenger und isch langi Zyt au toleriert gsy.

Abr au damals isch nit immr alles gordnet abgloffe. Dorum het sich dr FC Basel imene Flugblatt wie folgt an sini Fans gwändet: «(…) Es freut uns besonders, dass Sie auch beim Auswärtsspiel in Schaffhausen auf Raketen verzichtet haben. Finden Sie nicht auch, dass das Abbrennen von Bengalischen Fackeln viel effektiver ist und erst noch wesentlich länger dauert? (…)»

Joorelang sin d’Faggle nochär feste Bestandteil vo de Mätch gsy und au vo de Medie vorwiegend positiv dargstellt worde. Drus use isch e Faszination und Begeisterig für das Spill mitem Füür gwachse, wo bis jetzt nochewirggt. Wemme hüt dr Gebruch vo Pyrotechnik nur uf die neui Fangeneration ­reduziert, denn vrgisst me drby, dass d’Toleranz und d’Akzeptanz vill wyter goht als an Rand vo de hütige Kurvene.

Grad bi de Meisterfiire zeigt sich immr widr, wie vill au elteri Fans d’Pyrotechnik benutze und vor allem au, wie stimmigsvoll sich d’Kulisse denn präsentiert.

Bevormundig

Mitem Umzug in die modärne, komfortablere Stadie und em Erschliesse vo neue Zuschauerschichte isch d’Toleranz gegenüber Pyrotechnik immr wie kleiner worde. Technischi Hilfsmittel wie die flächedeckendi Videoübrwachig hän de Stadion­betriiber neui Möglichkeite gäh, d’Pyrotechnik z’vrfolge. E ärnsthafti Usenandrsetzig mitem Bedürfnis vo de Fans het zu keinere Zyt stattgfunde. Stattdesse isch das dr Aafang gsy vomene Benimmdiktat und ere zuenähmende Bevormundig vom ­Stadionbsuecher.

Im Vrlauf vo de Joore 2000 bis 2006 hän sich dorum au in Basel zwüsche Verein und Fans immr wie meh Gräbe ufdoo. Als Antwort uf die immr wie grössere Yyschränggige und Kolektivbestroofige isch Pyro als wie meh zumene Symbol vo Widerstand vrkoo. Durchs permanänte Gringschätze vo de Fans het me nur de radikale Kräft innerhalb vo dr Kurve Uftrieb vrliehe.

Erst durch d’Ufarbeitig vo de Usschritige vom 13. Mai 2006 het sich in Basel e neui Form vo konstruktivem Dialog entwicklet, wo bis hüt aahaltet. Gstärggt drus use het in dr Muttenzerkurve e Sälbstkontrolle könne wachse, und dr Yysatz vo Pyrotechnik wird ständig reflektiert. Mit diverse Flugblätter macht d’Muttenzerkurve sythär immr widr ufe Umgang mit Pyrotechnik ufmerksam.

«(…) Mir sin Stolz uf d’Fans, wo die Form vo Lyydeschaft in d’Kurve bringe. Mir glaube, es gyt e Wäg, wo jede drmit ka läbe. S’Wichtigste drby isch dr ­Umgang und dorum appeliere mir an jede: Pyro isch Usdrugg vo Freud und kei Waffe! S’Füür söll d’Freud untrstriche odr als optische Effäkt e Choreo ­untrstütze. Pyro söll abr nit bewusst s’Spill untrbräche odr eifach zunere sinnlose Sälbstdarstellig vrkoo. Mir ­bitte euch dorum: Nüt ufs Fäld! Keini Stylos! Kei übrtribes Yynäble durch schwarze und wisse Rauch! Faggle nit übrtribe schwängge, so dass anderi Persone drby gföhrdet wärde! (…)»

Währenddäm sich dr Dialog in ­Basel untrdesse vrsachlicht het, isch er uf nationaler Ebeni immr wie polemischer gfiert worde. Mit Blick uf die ­bevorstehendi EM 2008 isch am 1. Januar 2007 d’Änderig vom Bundesgesetz zur Wahrung der inneren Sicherheit, kurz BWIS, in Kraft träte. Dört stoht unter anderem:
«(…) Als gewalttätiges Verhalten gilt ferner die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch das Mitführen oder Verwenden von Waffen, Sprengmitteln, Schiesspulver oder pyrotechnischen Gegenständen in Stadien oder Hallen. (…)»

Immer meh hän sich grad in de letschte Joore au Politiker zu teils polemische Ussage und Forderige loo vrleite, zum em Problem Fuessballgwalt, und dodrzue ghört in dr Neuzyt schynbar vor allem Pyrotechnik, Herr z’wärde. Me het vrsuecht, dr Fuessball vo gsellschaftliche Problem z’befreie und sich ere populäre Nulltoleranz-Strategie vrschrybe. Lüt, wo hintrfrogt hän, wie vill vo de Problem allefalls durch falschi Massnahme hervorbrocht worde sin, odr au zuekünftigi Vorschleg als unpraktikabel aluege, gälte sofort als Vrharmloser.

D’Konferänz vo de nationale Polizeidiräktore het untrdesse s’Heft in d’Hand gno. Drby isch vill vo dr mangelnde Sicherheit gredet worde. Wemme sich abr die Entwicklig vo immr ­ängere Yygäng mit stärkerer Presänz vo teilwys umstrittene Sicherheitsdienst aluegt, denn ka me sage, dass s’krampfhafte Vrhindere vo Pyrotechnik nur zu neue Eskalatione gfiert het.

Unter em Motto «Euri Sicherheit forderet meh Vrletzti als unseri Fankultur» hän dorum d’Basler und d’Zürcher Fans am 24. März 2010 e gmeinsams, abr bis hüt anschynend unerhörts Zeiche gsetzt.
Kurzi Reise ins Usland, vorwiegend an usgwählti Plätz, sin vo Politiker drzue benutzt worde, neui, teils absurdi Vorschläg z’bringe. Drby wär e umfassendi und guet recherchierti Bildigsreis in die grosse Fuessballnatione grad jetzt sehr spannend. Am Bispill Dütschland würd sich zeige, dass villi vo de Massnahme, wo do in dr Schwiz erst jetzt sölle ko und in Dütschland scho syt Joore laufe, eher zunere witere Vrschärfig vo dr Situation fiere wärde.

Wärtekonflikt

In Dütschland wird uf jede Fall im Momänt so vill zündet wie vorhär nie und das trotz zum Teil über 1000 Beamte pro Spil, Mäldeuflage, Metalldetektore und Sprängstoffhünd an de Yygäng. Praktisch in allne europäische Nochbersländer findet me dr Yysatz vo Pyrotechnik. Das zeigt vor allem eins: Es gyt für die kompläxi Thematik kei Patäntrezäpt und scho gar kei abschliessendi Lösig.

Solang me Fuessballspil witrhin als Masseerreignis will durefiere, wird dr Fuessball immr widr begleitet sy vo Wärtekonflikt und Rivalitäte, und somit au vo Usenandrsetzige zwüsche Fans und Behörde.

D’Pyrotechnik isch gföhrlich – das wüsse die Lüt, wos ablöhn, sehr wohl. D’Pyrotechnik isch abr genauso gföhrlich anere Meisterfiir ufem Barfiesserplatz odr am 31. Juli am dicht besiedelte Rhybord. Gföhrlich isch abr au s’blosse Glychsetze vom Abloo vo de Faggle mitem Missbruch als Waffe. Und gföhrlich isch au, d’Lüt kollektiv abzstroofe, e ganzi Bewegig in Froog z’stelle und em einzelne Fan kei Wärtschätzig meh entgäge z’bringe.

In Aabetracht vo dr Entwicklig übr die letschte Joore muess me sich dorum zwingend d’Frog stelle, öb dr momentani Kurs nit alli Site nur no meh ­radikalisiert und d’Problem wärde zue-näh. Es mag unpopulär sy, abr villicht miesst me sich au emol e Schitere könne yygstoh und sich uf e neue Wäg ­begäh. D’Legalisierig vo dr Pyrotechnik isch wohl nit möglich, und au vo dr Bewegig nit zwingend gwünscht. Abr scho nur e Entkriminalisierig könnt d’Situation entschärfe.

Die zuenähmendi Repression wird de Mensche in de Kurvene uf jede Fall nit d’Übrzügig näh, ihri Fankultur witrhin uszläbe.

www.muttenzerkurve.ch

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 10.02.12

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