Excellente Killerapplikation? Sofort abschalten, bitte!

Als 1979 die erste Software zur Tabellenkalkulation erschien, versprach sie unser Leben zu revolutionieren. Heute wissen wir: Excel und Konsorten sind eine Geissel der Menschheit.

1979: Ein Apple II mit der Killerapplikation «Visicalc».

Als 1979 die erste Software zur Tabellenkalkulation erschien, versprach sie unser Leben zu revolutionieren. Heute wissen wir: Excel und Konsorten sind eine Geissel der Menschheit.

Es ging auch ohne. Der Mensch entwickelte die kompliziertesten Produkte. Er schuf Werke fürs Jenseits, erfand Mondraketen und baute Atombomben. Bei solchen Dingen war stets mit allem zu rechnen: Gleichungen mussten gelöst, Budgets eingehalten und Löhne bezahlt werden. Irgendwie schaffte das die Menschheit, mit viel Grips und Schweiss.

Und dann kam die Tabellenkalkulation und veränderte alles.

Die Geburt der Monster-App

Die Ursprünge von Excel reichen ins Jahr 1979 zurück. Da entwickelte Dan Bricklin die erste Software für elektronische Tabellenkalkulation. Nichts hasste er mehr als zeitraubende Rechnerei. Genau deswegen begann er mit entsprechender Computersoftware zu experimentieren. Die erste elektronische Tabelle der Welt war das Resultat und einmal mehr bestätigt, dass Harvard-Studenten zu den Besten zählen. Das von ihm entwickelte Programm taufte Bricklin Visicalc.

Die erste Version wurde für den frisch am Markt erhältlichen Apple-Computer geschrieben und bescherte dem damals noch jungen Unternehmen astronomische Verkaufszahlen für den Apple II. Visicalc war das, was man eine Killerapplikation nannte: ein Programm, das allein schon den Kauf eines Computers rechtfertigte, weil man damit die Produktivität erhöhen und Kosten sparen konnte.

Die Buchhaltung vermochte diese Software schneller zu revolutionieren, als ein Buchhalter Tabellenkalkulation buchstabieren konnte. Und schon bald gab es kaum einen Bereich im alltäglichen Leben, von dem man nicht geglaubt hätte, er liesse sich in Zellen und Zeilen zwängen.

Heilsbringer? Jobkiller!

1983 war der Erfolg von Visicalc allerdings schon fast wieder vorbei. Im Januar erschien nämlich die Tabellenkalkulationssoftware Lotus 1-2-3 exklusiv für Rechner mit dem Betriebssystem MS-DOS und damit insbesondere für den neuen IBM-Heimcomputer. 1985 schliesslich brachte Microsoft das Programm «Excel» auf den Markt. Von nun an gab es kein Halten mehr.

Die Vorzüge der elektronischen Tabellenkalkulation überzeugten jeden Chef. Zahlen mochten Chefs schon immer, aber zur Obsession konnten sie erst im digitalen Raum werden. Alles in die Tabelle quetschen, vergleichen, messen, querverrechnen – wunderbar. Und dann diese herrlichen Kuchen-, Balken- und Kurvendiagramme! Powerpoint! Da brauchte es keinen Himmel mehr.

Von der Vergangenheit bis zur Zukunft lässt sich alles excelisieren, analysieren, gewichten und wieder ausspucken. Gut, nicht immer gelingt das ganz wunschgemäss. Zum Beispiel an der Börse: Neben den Gewinnern gibt es trotz Excel und Powerpoint auch Verlierer – und das kann fast schon mal die ganze Weltwirtschaft sein. Nehmen wir die Eurokrise; dort wurden die radikalen Sparmassnahmen in Griechenland, Portugal oder Spanien mit «seriösen wissenschaftlichen Erkenntnissen» gerechtfertigt. Blöd nur, dass diese eigentlich unbrauchbar waren, da ihre Urheber Excel nicht beherrschten. Als Excelgate 2013 bekannt wurde, hatten bereits Tausende ihre Stelle verloren. 

Aus, aus, aus!

Wie viele Suizide auf eine fehlerhafte Excel-Anwendung zurückgehen (oder infolge von Frusterlebnissen mit ihr), ist in keiner Tabelle erfasst. Die Dunkelziffer dürfte hoch sein. Auch an vielversprechenden Projekten hat die Software längst Abertausende auf dem Gewissen. Die einstige Killerapplikation tötet fast jede Idee, ist sie erst einmal verrechnet.

Wir dürfen dankbar sein, dass die Menschheit lange davor bewahrt wurde. Hätten schon früher mit Excel bewaffnete Controller das Sagen gehabt, wir würden Namen wie Leonardo da Vinci, Stanley Kubrick oder Niki de Saint Phalle gar nicht erst kennen.




(Bild: ….)

Dass Tabellenkalkulation ein schlechter Pate in kreativen Entwurfsprozessen sein kann, können Sie sich im neuen Erweiterungsbau des Kunstmuseums anschauen: als Vermächtnis des scheidenden Museumsdirektors wird der von ihm empfohlene und schliesslich durchgedrückte kleinkarierte Boden empfunden.

Ein Holzboden mit dem Aussehen eines Excelrasters bringt jede Ausstellung auf den Boden eines Buchhalters. Kunstwerke passen eben nicht in Zeilen und Zellen.

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