«Es hätte genauso leicht uns treffen können», sagt Sujeewa Fernando. Die 53-jährige Lehrerin spricht von einer der grössten Naturkatastrophen des 21. Jahrhunderts. Am 26. Dezember 2004 überspülte ein Tsunami Tausende von Küstenorten in Indien, Indonesien, Thailand und Sri Lanka. 200’000 Menschen kamen ums Leben – Einheimische wie Touristen, die ihren Weihnachtsurlaub an der Wärme verbrachten.
Sujeewa Fernando war damals mit einer Freundin in Sri Lanka. «Wir hatten vor, von Colombo in den Süden zu fliegen, um am Strand in der Sonne zu liegen – genau wie die anderen Menschen, die an diesem Tag vor Ort waren», sagt sie. «Aber etwas kam dazwischen.» Der Kollege, mit dem sie fliegen wollten, musste arbeiten, darum verschoben sie die Reise um ein paar Tage. Dann kam der Tsunami.
Als Fernando denn die Nachrichten sah, entschloss sie sich, sofort ins Katastrophengebiet zu fliegen, um zu helfen. «Wir haben kaum etwas mitgenommen – zwei Jeans, zwei T-Shirts und eine Zahnbürste», erinnert sie sich. «Wir wollten einfach nur ankommen und mit der Arbeit beginnen.»
Die zwei Frauen halfen, so viel sie nur konnten. Zwei Wochen später kehrten sie dann zurück nach Basel – und gingen wieder an die Arbeit.
Nicht einfach nur zuschauen
Fernando unterrichtete im Kindergarten der International School Basel. Dort war niemand sicher gewesen, ob sie heil zurückkehren würde. Fernando hatte kein Internet gehabt, um die Kollgen daheim auf dem Laufenden zu halten und die besorgten E-Mails zu beantworten.
Als sie das erste Mal wieder im Klassenzimmer stand, hatten sich Lehrer, Studenten und Schülereltern dort versammelt. «Sie fragten mich: Wie geht es dir? Sind deine Familie und Freunde in Sicherheit? Wie ist die Situation dort?», erinnert sich Fernando. «Und alle wollten wissen, wie sie helfen könnten.»
Fernando war überwältigt: «Ich wusste nicht, was wir tun konnten. Ich bin nur eine Lehrerin», sagt sie. Doch einfach im Internet oder am Fernseher zuschauen, das wollte sie nicht. Also setzte sie sich mit den Leuten aus der Schule zusammen, um gemeinsam zu überlegen. Das Resultat war der Verein «Tsunami Handaid».
Manche Helfer investieren ihre Ferien in «Work Holidays»: Zwei Wochen Sri Lanka mit zehn Arbeitstagen.
«Tsunami Handaid» stellt Leuten, die von Naturkatastrophen in ihren Ländern betroffen sind, Schuleinrichtungen und Häuser zur Verfügung. Die Vereinsmitglieder organisieren Spendenaktionen und manche packen auch auf den Baustellen vor Ort mit an. Wichtig ist aber das Engagement vor Ort: Um lokale Arbeitskräfte zu unterstützen, werden die Baumaterialien vor Ort gekauft und in erster Linie Einheimische eingestellt.
Für Leute von hier, die vor Ort helfen wollen, bietet der Verein «Work Holidays» zwei Wochen Sri Lanka mit zehn Arbeitstagen, zwei Ausflügen und viel Kontakt zu den Einheimischen für knapp 3000 Franken – Flug, Hotel und Verpflegung inklusive. Die Reisekosten trägt jeder selbst: «Damit jeder gespendete Rappen in das Bauprojekt fliesst», sagt Fernando.
Die meisten Vereinsmitglieder stammen aus dem Umfeld der International School Basel. Aus Leuten, die gleich nach ihrer Rückkehr vorschlugen: «Lasst uns ganz konkret etwas tun!» Aber wer immer sich engagieren will, sei willkommen, sagt Fernando. «Wir freuen uns über jeden, der mitmacht.»
Inzwischen sind bereits 18 Hilfstrupps von Basel an verschiedene Orte in Asien geflogen, um dort beim Häuserbau zu helfen. Stolzes Ergebnis: 62 Häuser und 4 Schulen.
Der Name des Vereins sorgt heute manchmal für Verwirrung. «Was, Tsunami-Hilfe – jetzt noch?», wird Fernando oft gefragt. Schliesslich ist das Ganze 14 Jahre her. «Ich denke der Name spielt keine Rolle», sagt Fernando. «Und die Leute kennen uns jetzt unter diesem Namen. Warum sollten wir ihn also ändern? Es beschränkt uns nicht.» Heute engagiert sich ihr Verein nicht mehr nur in Katastrophengebieten sondern unterstützt auch Projekte in armutsbetroffenen Regionen.
«Wir haben genug – mehr als genug. Und das verpflichtet uns zum Teilen.»
Die erste Gruppe aus Basel machte sich im April 2005 auf den Weg. Damals ging die Reise an die Ostküste, wo der Tsunami besonders heftig gewütet hatte und wohin wegen des Bürgerkriegs nur spärlich Unterstützung floss. Keine ungefährliche Region, trotzdem investierten zehn Helfer acht Tage Arbeitskraft – die 5250 Franken, die sie vorher gespart hatten, machten drei bezugsfertige Steinhäuser möglich.
Die Arbeit von «Tsunami Handaid» hat das Leben vieler Menschen verbessert und verändert. Auch das von Fernando: Mehrmals pro Jahr ist sie unterwegs, schlägt sich mit Behörden wegen Grundstücken herum, besucht obdachlose Familien, verhandelt über Baumaterialien und versucht in der Schweiz Sponsoren zu finden.
Ihr sind diese Aufgaben wichtig. «Solange wir helfen können, müssen wir es tun», sagt sie. «Denn wir haben genug – mehr als genug. Und das verpflichtet uns, das was wir haben, zu teilen.»
Sujeewa Fernando wurde 1965 in Colombo, Sri Lanka, geboren. Ihre Familie war nicht wohlhabend, trotzdem legte sie Wert auf eine gute Ausbildung. Nach dem Mittelschulabschluss liess sich Fernando zur Stewardess ausbilden. Nach der Geburt ihres ersten Kindes machte sie das Lehrdiplom. Anfang der 1990er-Jahre musste die Singhalesin das Land verlassen und in der Schweiz neu anfangen. Nach einigen Monaten in einem Asylzentrum, gelang es ihr Arbeit zu finden – zunächst in einer Jugendherberge, danach bei einer Montessori-Schule. Dort blieb sie acht Jahre, bis sie an die Internationale Schule wechselte.