In einem Gespräch mit der «NZZ am Sonntag» stellte Bildungsdirektor Christoph Eymann das Modell der integrativen Förderung in Frage. Der plötzliche Gesinnungswandel sorgt in Basel für überraschte bis ungläubige Reaktionen.
Um Christoph Eymann, den Vorsteher des Erziehungsdepartements (ED), bleibt es in Basel ruhig. Für die grossen Äusserungen wählt der LDP-Regierungsrat im Vorfeld seiner Wahl zum Präsidenten der Erziehungsdirektorenkonferenz am liebsten die nationale Bühne. Im Mai 2013 verkündete er im Gespräch mit der «Sonntagszeitung», einen Vorstoss des Grossen Rates für eine «Quote von deutschsprachigen Schülern» zuerst einmal «abhängen» zu lassen, da ihm dieser nicht passte.
Bis zur nächsten grossen Überraschung sind keine sechs Monate vergangen: Am 6. Oktober war ein weiteres Interview mit Eymann zu lesen, diesmal in der «NZZ am Sonntag» (online nicht verfügbar). Der Bildungsdirektor bezeichnete darin die integrative Förderung als «grosse Baustelle» und hegte den Verdacht, «dass man sich mehr vorgenommen hat, als das System leisten kann». Das Modell der integrativen Förderung verlangt, dass auffällige Schüler wenn möglich in ihren angestammten Klassen bleiben und nur punktuell durch einen Heilpädagogen betreut werden.
Eymanns späte Einsicht
Bildungspolitiker und Lehrer sind sich weitgehend einig, dass eine Umsetzung der integrativen Förderung mit den vorhandenen Mitteln nicht möglich ist. Lehrer beklagen eine Überlastung und sehen sich nicht in der Lage, allen Kindern gerecht zu werden. Bisher beschränkte sich diese Einsicht jedoch auf die Praktiker, während die Bildungsbeamten im Basler ED an ihrer Idee von integrativen Schulklassen festhielten.
Bedeuten die Aussagen Eymanns also die grosse Zeitenwende? Heidi Mück bleibt skeptisch. Die BastA!-Grossrätin ist Mitglied der Bildungskommission und hat gemäss eigener Aussage die integrative Förderung von Anfang an in Frage gestellt. «Mir war klar, dass dies nicht ‹kostenneutral› umgesetzt werden kann, auch wenn das ED stets das Gegenteil behauptete.» Mücks Maximalforderung wären zwei Lehrer pro Klasse. «Die integrative Förderung kann nur gelingen, wenn grosszügig Mittel gesprochen werden», ist sie überzeugt.
Mück bedauert, dass diese Einsicht erst jetzt zum Bildungsdirektor durchgedrungen ist. Obwohl, so recht glauben kann sie den Eymannsche Einsichten noch nicht, denn: «Er hat schon im März anlässlich der Schulsynode ähnliche Andeutungen gemacht, ist dann aber wieder zurückgekrebst, als ich ihn später darauf angesprochen habe.» Damals habe Eymann die integrative Förderung zwar bereits in einer Ansprache kritisiert. Als Mück ihn dann aber zusammen mit der Gewerkschaft beim Wort nehmen wollte, habe er lediglich eine Studie in Aussicht gestellt, um das Modell zu durchleuchten. «Von einem Umdenken war keine Spur», sagt Mück. Diese Studie erwähnte Eymann auch im Interview, sie soll klären, ob etwas am System geändert werden müsse.
«Die integrative Förderung ist an ihre Grenzen gestossen.»
Auf mehr Zuspruch stösst Eymanns neue Einsicht bei Martin Lüchinger, SP-Grossrat und ebenfalls Mitglied der Bildungskommission. «Christoph Eymann hat erkannt, dass die integrative Förderung an ihre Grenze stösst. Das ist sehr löblich.» Bisher seien die Bedenken aus der Politik stets relativiert und vom ED weggewischt worden, sagt Lüchinger. Der SPler begrüsst auch die von Eymann angekündigte Studie als «Auslegeordnung, die mögliche Probleme und Verbesserungen offenlegen soll.» Sollte tatsächlich ein Umdenken stattfinden, sei es aber eminent wichtig, dass die Praktiker aus den Schulen miteinbezogen werden, sagt Lüchinger. Und doppelt nach: «Es muss rasch geschehen.»
Von einem «Gesinnungswandel» will Christoph Eymann nichts wissen und betont, dass er noch immer hinter dem Modell der integrativen Förderung stehe. Er wolle lediglich überprüfen, ob die gesetzten Ziele mit den vorhandenen Instrumenten erreichbar seien. Gleichzeitig räumt er jedoch ein, dass seitens Lehrerschaft vehemente Kritik am Modell geübt werde: «Es ist ein Problem, das viele beschäftigt und das vielen Sorgen bereitet.» Die erwähnte Studie habe zum Ziel, «Intensität und Ausmass des oft geschilderten Unbehagens der Lehrkräfte in Erfahrung zu bringen», sagt Eymann.