Fernziel bessere Welt

An der Basler Uni provozieren Veganer die Fleischesser. Wir haben je einen Vertreter der beiden Weltanschauungen zu Tisch gebeten. Der meistgebrauchte Begriff war «Fleisch».

Im Vordergrund ein Vegi-Dürüm, im Hintergrund Mario Metzler (links) und Jens Hermes (Bild: Hans-Jürg Walter)

An der Basler Uni provozieren Veganer die Fleischesser. Wir haben je einen Vertreter der beiden Weltanschauungen zu Tisch gebeten. Der meistgebrauchte Begriff war «Fleisch».

Zwei Studenten sitzen auf Einladung der TagesWoche an einem Tisch. Der inzwischen beinahe stadtbekannte deutsche Chemie-Doktorand Jens Hermes hat vor dem Studierendenrat der Uni Basel erfolgreich für die Forderung nach einer fleischfreien Mensa gekämpft. Mario Metzler, Masterstudent der Molekularbiologie, hat gegen diese Forderung innert kurzer Zeit die benötigten Unterschriften gesammelt.

Über einem veganen Menü im einzig komplett veganen Restaurant Basels, der Cafébar Salon an der Sperrstrasse, treffen die beiden Naturwissenschaftler zum ersten Mal zusammen. Sogleich wird zum studentischen «Du» übergegangen. Metzler kommt gerüstet, ein dicker Stapel Papier – Wissenschaftler sagen dazu «Paper» – soll seinen Fragen und Argumenten Schlagkraft verleihen. Hermes, der Veganer, wirkt deutlich entspannter, er weiss eben um die einleuchtende Wirkung seiner Argumente.

Der Gruss aus der Küche – Tomaten-Oliven-Bruschette – wird eher beiläufig verzehrt. Drängendere Fragen werden diskutiert, Nüsse sind das Thema.

Metzler: Studien zeigen – es folgt ein längeres englisches Zitat –, dass der positive Effekt auf die Gesundheit von Vegetariern vor allem auf die Nüsse zurückzuführen ist.
Hermes: Die Fette in Nüssen sind einfach gesünder als die mehrfach gesättigten tierischen Fette. Dass Letztere schädlich sind, ist ebenso wissenschaftlich erwiesen.
Metzler: Aber es hängt von der Menge ab. Wir können uns ja darauf einigen, dass einfach weniger Fleisch gegessen werden sollte.

Schon ist der erste Kompromiss gefunden. Während Hermes an der Mensa gar kein Fleisch mehr will, verlangt Metzler, dass das Angebot deutlich reduziert und gleichzeitig verbessert wird.

Inzwischen hat Jasmin Ammann, Köchin und Kellnerin in Personalunion, die Vorspeise aufgetragen. Ein bunt gemischter Salat. Das Menü entspricht vorerst dem Klischee: Vollkornbrötchen mit Gemüse, gefolgt von einem Salat mit Gemüse. Nach einer kleineren Verwirrung über den Verbleib der Salatsauce (diese gilt es, selbst zu mischen) wendet sich das Gespräch Handfesterem zu. Es geht um das Töten von Tieren.

Hermes: Es gibt kein Fleisch von glücklichen Tieren, es gibt nur Fleisch von toten Tieren.
Metzler: Aber dann müsste man dahingehend forschen, dass die Schlachtungsmethoden humaner werden.
Hermes: Das Töten bleibt ein brachialer Akt, egal wie «klinisch rein» man die Schlachtung gestaltet.
Metzler: Das stimmt. So wie das Fleisch heute im Supermarkt präsentiert wird, erinnert gar nichts mehr an ein Tier, das mal gelebt hat. Den Meschen ist jegliches Verhältnis zum Fleisch abhanden gekommen.

Metzler, der Fleischesser, kann jedoch Bauernhof-Erfahrung aufweisen. Familienangehörige besitzen einen kleinen Hof im Tessin. Wie auf jedem Hof mit Hühnern werden auch dort die meisten männlichen Küken nach der Geburt getötet, da sie zur Eierproduktion nicht benötigt werden.

Für den Hauptgang ist hingegen kein einziges Tier zu Schaden gekommen, der «Vegi-Dürüm» besteht aus Seitan. Ein Fleischersatzprodukt, welches in diesem Fall aus Dinkelprotein besteht. Dafür wird Dinkelmehl mit Wasser zu einem Teig vermischt und anschlies­send die Stärke hinausgewaschen. Was bleibt, ist ein überraschend überzeugender Fleischersatz, sowohl was die Textur als auch – dank kräftiger Gewürze – den Geschmack betrifft.

Zurück zu den Tieren. Wo solche im Spiel sind (insbesondere die toten), wird die Diskussion bald einmal emotional. Die mitunter wütenden Reaktionen, die Hermes als Aushängeschild der studentischen Vegetariergruppe hervorgerufen hat, zeugen von der Brisanz des Themas. Vegetarier, mehr aber noch Veganer, provozieren durch ihren Lebenswandel. Kein Tier muss ihretwegen leiden, die Natur trägt wenig Schaden, und darüber hinaus sind sie erst noch schlanker und gesünder als die Omnis (Omnivoren = Allesesser).

Hermes: Oft reagieren die Leute ungefragt mit Rechtfertigungen, wenn sie erfahren, dass ich Veganer bin. Dann sagen sie Dinge wie «Ich esse nur ganz selten Fleisch» oder «Meine Oma hatte Hühner».
Metzler: Das ist doch eigentlich ein gutes Zeichen. Wenn die Fleischesser so reagieren, heisst das, sie wissen unbewusst, dass es mit diesem übermässigen Fleischkonsum nicht mehr weitergehen kann.

Aus dieser moralischen Überlegenheit argumentiert es sich als Veganer ziemlich konfortabel, es gibt praktisch keine sachlichen Argumente gegen den Verzicht auf Fleisch. Entscheidet man sich dann zusätzlich noch für Bio- und Fairtrade-Produkte (was die meisten Veganer konsequenterweise tun), isst man über jeden Tadel erhaben.

Hermes: Die Heftigkeit der verschiedenen Reaktionen ist für mich eine Bestärkung. Das bedeutet doch, dass auf einer sachlichen Ebene nichts gegen unseren Vorschlag spricht.
Metzler: Und was ist mit der Wahlfreiheit?
Hermes: Wir wollen niemanden zwingen, gänzlich vegetarisch zu leben, sondern die Mensa dazu nutzen, das Ernährungsbewusstsein der Studierenden zu erhöhen.
Metzler: Ich halte eine fleischfreie Mensa für kontraproduktiv, weil ihr viele Fleischesser einfach fernbleiben und folglich gar nicht erreicht werden können.

Ist nun schon wieder eine Annäherung in Sicht? Birgt denn die Begegnung Hermes/Metzler gar keinen Zündstoff?

Hermes: Hast du eigentlich Haustiere, Mario?
Metzler: Nein, aber ich arbeite mit Tieren. Im Labor.
Hermes: Ach, Tierversuche sind ja noch einmal ein Thema für sich.
Metzler: Nur Fruchtfliegen. Aber das sind ja auch Tiere.

Trotz ihrer Meinungsverschiedenheiten drängt es die beiden zur Harmonie. Eine bessere Welt, das wollen beide.

Hermes: Das Fernziel ist, dass auch unsere Enkel noch auf dieser Welt leben können.
Metzler: Das hängt von unzähligen Faktoren ab. Beispielsweise auch vom Verkehr.
Hermes: Einschränkungen bei der Mobilität stellen für mich einen viel gröberen Eingriff in die Freiheit dar als beim Essen. Es gibt so viele gute Alternativen zu Fleisch.

Gut verzichten kann übrigens auf einen herkömmlichen Cheesecake, wer die vegane Version mit Himbeeren in der Cafébar Salon probiert hat.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 28.09.12

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