Es wird als «Empfehlung» angedient, was die KKJPD am Dienstag zur Umsetzung der Bewilligungspflicht für Fussball- und Eishockeyspiele veröffentlicht hat. In Wahrheit birgt das Papier ein gewaltiges Instrumentarium, mit dem nicht nur bei Hochrisikospielen Zuschauern begegnet wird.
Ein Punkt verschwand noch kurz vor der Niederlegung der neuen, strengen Auflagen für Sportveranstaltungen, er verschwand an mystischem Ort in Flüeli-Ranft. Im Kanton Obwalden hatte sich vergangene Woche die Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD) getroffen, um die letzten Federstriche an das umfassendste Massnahmenpaket zu legen, das der Schweizer Sport beim Thema Sicherheit bisher gesehen hat. Gestrichen wurde der Passus, wonach bei Spielen der Risikostufe grün und gelb, was tiefes oder mittleres Risiko bedeutet, der Ausschank von Getränken mit mehr als drei Volumenprozent Alkohol verboten ist.
Die VIPs dürfen weiterhin bechern
Downloads und Links
Muster der Rahmenbewilligung
Medienmitteilung der KKJPD
Stellungnahme der Fussball-Liga SFL
Stellungnahme FanArbeit Schweiz
Geblieben ist das Alkoholverbot für Hochrisikospiele, und bei diesem Thema, das viele Stadionbesucher tangiert, die gerne ein normales Bier trinken, hebt die KKJPD in ihrer Muster-Bewilligung eine bemerkenswerte Ausnahme hervor: Im VIP-Bereich, also in den Logen und Lounges der Schweizer Stadien, darf weiter fröhlich gebechert werden – egal, welche Risikostufe ausgerufen wurde.
Die Erklärung, die von der KKJPD am Dienstag
In Basel liegt das verschärfte Konkordat auf Eis
Es könnte noch ein weiterer Weg sein, als es sich die Justiz- und Sicherheitsbehörden ausmalen. Bis heute sind lediglich die Kantone St. Gallen und Appenzell Innerrhoden beigetreten. Noch keine Rechtskraft haben die Beitrittsentscheide der Kantonsparlamente Luzern, Aargau, Neuchâtel und Uri. Andernorts, wie in Zürich oder Bern, wurde das Referendum ergriffen, und in Basel Stadt etwa liegt die Angelegenheit auf Eis. Der scheidende Sicherheitsdirektor Hanspeter Gass hat das Papier erst mal in der Schublade verschwinden lassen, und sein potentieller Nachfolger Baschi Dürr hat bereits angekündigt, dass er eigentlich nicht gedenkt, es dort wieder hervorzuholen.
Heimspiele des FC Basel unterliegen schon seit längerer Zeit einer Bewilligungspflicht und die involvierten Parteien – Behörden, Stadionbetreiberin und Club – betonen immer wieder, dass die gängige Praxis sich bewährt habe. Dazu gehört unter anderem seit Februar 2011 auch das Gebot, im Stadion nur noch Leichtbier auszuschenken. Insofern bietet das neuen KKJPD-Papier sogar eine fröhliche Botschaft für Freunde des Gerstensaftes mit üblichen Umdrehungszahlen. Die Diskussion auf der Facebook-Seite der TagesWoche zeigt, dass das Thema nicht kalt lässt.
Nur noch mit der ID in der Tasche zum Spiel
Alles andere in dem von der KKJPD ausgeheckten Katalog allerdings ist eine noch nicht da gewesene Flut von Vorschriften, die den Clubs und ihren Fans gemacht werden können. Die KKJPD streicht zwar heraus, dass es vor allem für Hochrisikospiele strengere Auflagen geben soll, aber schon die Einführung einer elektronischen Zutrittskontrolle, die generell bei allen Spielen möglich wäre, birgt Zündstoff.
Demnach müsste ein Stadiongänger künftig seine ID-Karte in der Tasche habe, um nicht bei einer allfälligen Kontrolle hängen zu bleiben – und im Zweifelsfall wieder nach Hause geschickt zu werden. In den Sektoren der Gästefans und in den Kurven soll ein Abgleich stattfinden mit der sogenannten Hoogan-Datei, in der Fans registriert sind, denen Stadion- oder Rayonverbot auferlegt wurde. In den Kurven soll diese Kontrolle «lückenlos» sein und in allen anderen Zuschauerbereichen entweder stichprobenartig oder ebenfalls lückenlos durchgeführt werden.
Riesenaufwand um wenige Personen zu entdecken
Das alles unter der gesetzlichen Massgabe, dass in der Schweiz eigentlich niemand verpflichtet ist, seine Identitätskarte mit sich zu führen. Was die KKJPD zum Alkoholverbot bemerkt, dass «leider alle Personen» betroffen sind – mit Ausnahme der Hospitaltykunden natürlich – so gilt das auch für die Einlasskontrollen. Und das, um aus rund 1200 Fans, die in der Hoogan-Datei gespeichert sind, diejenigen herauszufiltern, die ein Stadionverbot umgehen wollen.
Szenekenner gehen davon aus, dass etwa fünf Prozent dieser sanktionierten Fans versuchen, dennoch in ein Stadion zu gelangen. Der Aufwand – samt Anschaffung der von der KKJPD auf unter 10’000 Franken pro Club bezifferten Anschaffung der Lesegeräte – wird also vorgeschrieben, um bei einem mit 30’000 Zuschauern besetzten Stadion 60 Leute zu entdecken, die sich unerlaubt Zutritt verschaffen wollen.
Leibesvisitationen bis in den Intimbereich
Eine weitere markante Vorschrift, die die Bewilligung von Spielen mit Beteiligung von Clubs der obersten Fussball- und Eishockeyliga vorsieht, ist die Anreise von Fans des Gastclubs zu einem Auswärtsspiel. Mit dem sogenannten «Kombiticket» sollen die Clubs bei Spielen ab Risikostufe «mittel» verpflichtet werden können, Extrazüge oder Busse zu chartern und dafür zuständig zu sein, dass nur noch Fans in einen Gästesektor gelangen, die mit diesen Transportmitteln in eine andere Stadt gelangen. Dazu ist eine Änderung des Personenbeförderungsgesetzes PBG auf den Weg gebracht worden, die ähnlich kontrovers diskutiert wird wie nun das neue Bewilligungswesen.
Während die KKJPD im Kombiticket «keine unzulässige Einschränkung der persönlichen Freiheit» erkennt und die «kleine Einschränkung» als zumutbar bezeichnet, sehen das Rechtsexperten ganz anders. Wie übrigens auch die Leibesvisitationen an den Eingangstoren. Unter Punkt 21 «Einlassverfahren» in der Mustervereinbarung heisst es, dass das Sicherheitspersonal in einem Stadion ermächtigt ist, Besucher «unabhängig von einem konkreten Verdacht über den Kleidern durch Personen gleichen Geschlechts am ganzen Körper nach verbotenen Gegenständen abzutasten».
Auf der Suche zum Beispiel nach pyrotechnischen Gegenständen kann die Polizei bei «konkretem Verdacht auch unter den Kleidern durchsuchen». Dafür müssen geeignete Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt werden, in denen dann auch Intimkontrollen möglich sind – unter Beizug von medizinischem Personal, wie es heisst.
Fanarbeiter finden keinen Gehör
Die Bewilligungen samt Auflagen sollen künftig nach Bekanntwerden des Spielplans für eine komplette Saison und nicht nur von Spiel zu Spiel erteilt werden, darüber ist die Swiss Football League (SFL) zunächst einmal froh. Sie hält in einer Stellungnahme fest, dass sich «viele Punkte der Muster-Rahmenbewilligung mit den Sicherheits- und Präventionsanforderungen von SFL und SFV decken» und schon heute von den Clubs umgesetzt werden.
Anders sieht die SFL das bei den «betrieblichen Auflagen», vor allem beim Kombiticket und bei der lückenlosen ID-Kontrolle. Die Liga bezweifelt, dass die Auflagen «zielführend, verhältnismässig und umsetzbar» seien, sie befürchtet eher, das die Auflagen zu einer Eskalation führen könnten: «Repressive Massnahmen sollen sich immer gegen Täter, aber nicht gegen alle Matchbesucher oder gar gegen die Sportarten Fussball oder Eishockey richten.»
Ins gleiche Horn stösst FanArbeit Schweiz, der Dachverband der Fanprojekte der Clubs. Sie bemängelt, dass die Fanarbeiter – und offenbar auch die Fachverbände – mit ihren Argumenten und Bedenken «kein Gehör» gefunden hätten, als sie in eine Koordinationsgruppe eingeladen wurden. «Verhandlungsspielraum» etwa beim Kombiticket oder bei der Ausweispflicht habe es nicht gegeben.
Widerstand aus Basel
Mit der von der Plenarversammlung der KKJPD am vergangenen Freitag verabschiedeten Fassung der Rahmenbewilligung sieht FanArbeit Schweiz «die verfassungsmässigen Grundlagen, Grundrechte und Verhältnismässigkeit kaum berücksichtigt». Man erwarte von einem liberalen Rechtsstaat, «das er auch in der Fan-Thematik «verfassungsrechtlich korrekte und deeskalierende Lösungen» suche.
Neben dieser fundamentalen Kritik an dem Papier fordert der Dachverband die kantonalen Parlamentarier auf, das verschärfte «Hooligan-Konkordat» kritisch zu prüfen. Und FanArbeit Schweiz sieht noch einen weiteren Punkt, um sich zu wundern: Dass dieses Konkordat bereits vor der Veröffentlichung der Rahmenbewilligung den Kantonsparlamenten zur Ratifizierung vorgelegt worden ist.
Ausser im Kanton Basel Stadt, wo im Grossrat eine Mehrheit für das Konkordat nur schwer vorstellbar ist, deutet sich bisher noch kein grösserer Widerstand gegen die Konkordatsverschärfung an. Zu Wort gemeldet hat sich am Dienstag der Berner FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen, der die Massnahmen zum Teil begrüsst, Kombiticket und Alkoholverbot aber als «Papiertiger» bezeichnet. Cédric Wermuth, Aargauer SP-Nationalrat kommentiert den Alkoholartikel kurz und knackig:
Alkoholverbot in Fussballstadien? Typische Bullshitidee.
— Cédric Wermuth (@cedricwermuth) 20. November 2012
Auf nationaler Parlamentsebene hat bisher noch keine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Thema Fans und Sicherheit stattgefunden. Das könnte sich mit dem Personenbeförderungsgesetz ändern. Und aus Basel könnte demnächst ein erster Vorstoss für eine verfassungsrechtliche Überprüfung des Konkordats kommen, eine sogenannte abstrakte Normenkontrolle.
Der Gang vors Bundesgericht
Wie SP-Grossrat Tobit Schäfer auf Anfrage bestätigt, werden schon seit einiger Zeit in Absprache mit der Muttenzerkurve Vorbereitungen getroffen, gibt es einen Anwalt, der sich der Sache annimmt und ein Memorandum. Aus Basel könnte geklagt werden, auch wenn das Konkordat im Kanton gar nicht ratifiziert wird, weil der Gang ans Bundesgericht jeder potentiell betroffenen Person eingeräumt ist. Und dazu gehören Basler Fans, die zu einem Auswärtsspiel reisen.
Darüberhinaus stehen die Kurven der grösseren Schweizer Clubs in Kontakt, findet ein szeneninterner Diskurs statt, der die Rivalität für einmal aussen vor lässt und zum Ziel hat, wie man gemeinsam der verschärften Gangart der Behörden begegnen soll. So sind dem Vernehmen nach auch die Südkurvenfans des FC Zürich dabei, eine Klage vor Bundesgericht zu prüfen.
Der Schweizer Eishockeyverband schliesst sich den Ansichten des Fussballverbandes an. Ueli Schwarz, Direktor Spitzensport im Schweizer Eishockeyverband, begrüsst den Entscheid, die Bewilligungen gemäss den nun vorliegenden Empfehlungen der KKJPD nicht für jedes Spiel einzeln einholen zu müssen. Eine Rahmenbewilligung, die grundsätzlich für eine ganze Saison gültig ist, sei sinnvoll, sagte er auf Anfrage.
Das Alkoholverbot für Risikospiele kritisiert er hingegen. Er sei nicht sicher, ob ein solches Verbot die Probleme löse. Wenn die betrunkenen Fans beim Stadioneingang abgewiesen würden, verschiebe sich das Problem vor das Stadion, sagte Schwarz. Dann bräuchte es dort wiederum mehr Polizeibeamte.
Der Eishockeyverband lehnt laut Schwarz auch die Kombitickets ab. «Wir wissen nicht, wie wir diese Massnahme umsetzen könnten», sagte er. Hier sei es absolut notwendig, dass die Behörden zwischen Fussball- und Eishockeyspielen unterscheiden würden – «wegen der unterschiedlichen Anzahl Zuschauer».
Ueli Schwarz begrüsst dagegen die elektronischen Eingangskontrollen, aber auch hier verweist er auf die Verhältnismässigkeit: «Die Umsetzung darf nicht zu langen Wartezeiten an den Eingängen führen.» Es sei deshalb wichtig, den Klubs eine gewisse Zeit zu geben, um sich darauf einzurichten. (SDA)