Der Entscheid von Staatspräsident François Hollande, das älteste AKW Frankreichs bis Ende 2016 abzustellen, stösst im Elsass auf heftigen Widerstand. Die Betreibergesellschaft EDF rüstet nach und hofft auf fette Gewinne über 2016 hinaus.
«La Centrale de Fessenheim est sûre … qu’elle dure!» (Das Kraftwerk Fessenheim ist sicher – möge es weiter bestehen) war auf einem der Transparente zu lesen. «Non au marchandage politique de Fessenheim» (Nein zum politischen Kuhhandel mit Fessenheim) auf einem anderen: Rund 300 Manifestanten, vorwiegend Gewerkschafter, AKW-Angestellte samt Angehörigen und Lokalpolitiker marschierten letzte Woche durch Colmar, um gegen die von der französischen Regierung bis Ende 2016 versprochene, endgültige Schliessung des AKW Fessenheim zu demonstrieren.
Die befürworter haben einen eigenen Verein ins Leben gerufen.
Sie halten die zwei Elsässer EDF-Altreaktoren am Rhein für nach wie vor sicher und sehen im Regierungsentscheid einen rein politischen Kuhhandel. Um ihr Ziel zu erreichen, Fessenheim über 2016 hinaus weiterzubetreiben, haben sie jetzt eine eigene Organisation gegründet. «Fessenheim – notre énergie» nennt sich der Verein, den Gewerkschafter, Lokalpolitiker und Unternehmer aus der Region ins Leben gerufen haben.
Als erste konkrete Aktion haben sie eine Klage gegen die im letzten Spätherbst erfolgte Einsetzung des Fessenheim-Delegierten Francis Rol-Tanguy durch die Regierung Hollande eingereicht. Der «Monsieur Fessenheim», wie er auch genannt wird, soll sich um die geregelte Abstellung des AKW kümmern. Der Nomination des 59-jährigen Ingenieurs, eines früheren Kabinettsdirektors der Regierung Jospin, fehle die juristische Grundlage, bemängeln die Fessenheim-Anhänger. Eine gleich lautende Klage haben beim französischen Staatsrat auch die vier grossen nationalen Gewerkschaften deponiert. Bisher fehlt dem Fessenheim-Entscheid der Regierung Hollande in der Tat die parlamentarische Absicherung: Erst im Herbst dieses Jahres soll das dafür notwendige Gesetz verabschiedet werden.
Dass der Fessenheim-Regierungsbeauftragte vor Ort gar nicht willkommen ist, zeigte sein erster Besuch im Elsass. Gewerkschafter hatten Ende letzten Jahres Rol-Tanguy den Zutritt zum AKW schlicht verwehrt und ein geplantes Treffen mit Fessenheim-Direktor Thierry Rosso verunmöglicht. Vor zwei Wochen hat jetzt ein erstes Gespräch in aller Heimlichkeit doch stattgefunden, wie Rosso erst hinterher in einem Radiointerview verriet.
Deutsch-französische Spannungen
Wie schwer sich weite Kreise im Südelsass mit der angekündigten Schliessung von Fessenheim tun, zeigte sich auch an der jüngsten Sitzung der Informations- und Überwachungskommission (Clis) von letzter Woche. In dem Begleitgremium, dem auch von Fessenheim stark betroffene Grenznachbarn aus dem grünen Bundesland Baden-Württemberg angehören, kam es im Jubeljahr der deutsch-französischen Freundschaft zu einer ernsthaften deutsch-französischen Verstimmung. Das Landes-Umweltdepartement in Stuttgart hatte beim AKW-kritischen deutschen Öko-Institut eine Studie zu Fessenheim in Auftrag gegeben, die punkto Sicherheit zu ungünstigeren Schlüssen als die französische Atomaufsicht ASN kam. Clis-Präsident Michel Habig, ein atomfreundlicher UMP-Lokalfürst, kritisierte vehement die «unangenehme Überraschung» durch das der Kommission nicht offiziell angekündigte, deutsche Vorgehen. Die französischen Behördevertreter hätten erst nach der Pressekonferenz von der Studie erfahren, die ihrer Meinung nach nicht auf dem neusten Stand sei. «Der Bericht ist politisch, nicht wissenschaftlich begründet», hatte zuvor der Fessenheim-Direktor Thierry Rosso die französische öffentliche Meinung vorgespurt.
Atomaufsicht akzeptiert Billig-Nachrüstung
Tatsächlich zeigt sich die französische Atomaufsicht mit Fessenheim sehr viel nachsichtiger als das Ökoinstitut. So hat die Autorité de sûreté nucléaire (ASN) zwar wie alle AKW-Sicherheitsbehörden der EU nach Fukushima eine Reihe von zusätzlichen Auflagen an den Weiterbetrieb der zwei besonders erdbeben- und flutgefährdeten Elsässer EDF-Reaktoren erlassen. Zentral war dabei unter anderem die Forderung nach einer Verstärkung der nur 1,5 Meter dicken Beton-Bodenplatten unter den Reaktorkernen. Quasi als Weihnachtsgeschenk hat die ASN im letzten Dezember diese Auflage dann aber als erfüllt erklärt.
EDF hatte eine schlaue, für die beiden Reaktoren bloss 30 Millionen Euro teure Lösungsvariante vorgeschlagen: Der Sockel wird dabei bloss um 50 Zentimeter dicker. Dafür wird gleichzeitig ein neues Abflussbassin gebaut, in welches das bei einer Kernschmelze entstehende gefährliche Thorium auslaufen und länger unter Kontrolle gehalten werden soll. Die EDF-Lösung ist eine Weltpremiere: André Herrmann, bis vor kurzem offizieller Beobachter der Basler Regierung in der Fessenheim-Kommission Clis und Präsident der Eidgenössischen Strahlenschutzkommission, hatte vor dem Entscheid der ASN gegenüber der TagesWoche Zweifel an der Innovation angemeldet.
Ohne das im Dezember gegebene, grüne Licht der französischen Atomaufsicht für die vergleichsweise billige Fessenheim-Nachrüstung hätte das AKW bereits im nächsten Sommer abgestellt werden müssen. Jetzt macht sich die EDF daran, die geforderten Anpassungen vorzunehmen.
Eine Kernschmelze mit Folgen wie in Fukushima würde Frankreich 430 Milliarden Euro kosten.
Die Elsässer Fessenheimgegner-Organisationen kritisieren diese Investitionen als sinnlos: Das AKW ohne weitere Millionenkosten schon jetzt abzuschalten, halten sie für vernünftiger und sicherer. AKW-Direktor Rosso widerspricht. Bei einem Fessenheim-Jahresgewinn von 400 Millionen Euro lohnten sich die Investitionen allemal. Zum Schliessungsentscheid äussert er sich als vorsichtiger, kluger Taktiker lieber nicht. Dass sein Arbeitgeber, der französische Strommonopolist EDF, den Abstelltermin nur zu gerne aufschieben würde, ist allerdings kein Geheimnis.
Risiken und Kosten werden Thema
Auffällig ist allerdings, dass in Frankreich und im Elsass neuerdings auch in einer breiteren Öffentlichkeit nicht nur über Arbeitsplätze und EDF-Gewinne, sondern auch über die lange Zeit verdrängten Risiken der nationalen Atomindustrie diskutiert wird: Eine vom renommierten Institut national de radioprotection et de sûreté nucléaire (IRSN) veröffentlichte Studie nennt erstmals die Kosten möglicher AKW-Katastrophen. Eine Kernschmelze mit Folgen wie in Fukushima würde Frankreich 430 Milliarden Euro kosten, hat der Wirtschaftswissenschafter Patrick Momal errechnet.
Und selbst ein «normaler», schwerer Unfall, dessen Folgen sich auf die nähere Umgebung eines AKW beschränken liessen, wäre noch 120 Milliarden Euro teuer, was rund 6 Prozent des jährlichen Bruttoinlandprodukts entspricht. «Das wäre viel teurer als alle bisherigen Industriekatastrophen wie etwa die Explosion der Chemiefabrik AZF in Toulouse oder die Tankerkatastrophe der Erika es waren», warnt der IRSN-Forscher.