Füsschen-Badewanne statt Flachbild-Fernseher in Bergün

Eine Nacht im Kurhaus Bergün reinigt die Seele. Und das liegt nicht nur an der frischen Bergluft.

Ambiente vergangener Zeiten: der Speisesaal des Kurhotels. (Bild: Kurhaus Bergün)

Es fühlt sich an wie eine Reise in ferne Zeiten. In der Lobby stehen weisse Korbstühle und ein Flügel, der Jugendstil verleiht dem Raum einen Charme, der jedem modernen Hotel fehlt.

Am türkisgrünen Fenster zeichnet eine Frau mit Bleistift die Berge vor dem Hotel in ihr Notizbuch. Neben ihr versteckt sich ein älterer Herr hinter seiner Zeitung. Ein Tischchen weiter sitzen drei junge Männer vor drei Gläsern Hugo, ohne viel zu reden. Und obwohl es mitten am Nachmittag ist, meint man, sanfte Klaviermusik zu hören.

Das Kurhaus Bergün ist eines jener Hotels, in denen man sich sofort wohlfühlt. Und weit weg ist vom dröhnenden Alltag im Flachland. Die Holzböden im Restaurant knarren, in der Bibliothek reichen die Buchrücken bis zur Decke, die Bar bietet Nischen, in denen man sich trotz des aufmerksamen Services unbeobachtet fühlt.

Hach, wie heimelig. Badezimmer mit Füsschenwanne.

Steigt man in die Zimmer hinauf, stehen in einigen Badezimmern echte Füsschenbadewannen, die Räume sind so hoch, dass selbst in den kleinen Hotelzimmern kein Gefühl von Enge entsteht. Es gibt keine Flachbild-Fernseher und keine Stereoanlagen – man möchte sich sofort ins Bett kuscheln und sich in diesem Ambiente aus vergangenen Zeiten verlieren.

Das muss aber noch warten: Denn oberhalb Bergüns liegt ein See, den viele Städter als den schönsten Bergsee der Schweiz bezeichnen. Der Lai da Palpuogna. Weil uns die Bergüner Tapas (kreative Köstlichkeiten aus den Bergüner Hoflädeli) sowie der Veltliner etwas faul gemacht haben, fahren wir mit dem Zug nach Preda, das rund 400 Meter höher liegt. Von der Bahnstation folgen wir einem Weg, der sich durch Farn und Tannenwälder schlängelt.

Bevor wir unser Ziel erreichen, beginnt es sacht zu regnen. Es gibt nicht viel Schöneres, als zuzuschauen, wie die Tropfen Kreise auf die Seeoberfläche zaubern, die stetig grösser werden, bis sie sich wieder auflösen. Obwohl die Boote wie gestrandete Wale am Ufer liegen und von der nahen Passstrasse der Motorenlärm herüberheult, hat dieser See etwas Magisches.

Das Singen der Lokomotiven

Weil die Bergüner Tapas mittlerweile verdaut sind, schlagen wir nach der Rast am See den Bahnerlebnisweg ein, der uns von Preda zurück nach Bergün bringt. Für einmal ist die Perspektive eine andere als jene von der berühmten Zugstrecke, die als Unesco-Welterbe gilt. Statt dass man über die Viadukte tuckert, steht man darunter. Während man das Singen der Lokomotiven hört, kann man seine Füsse in die grünen Bergbäche halten (gut, damit warten wir vielleicht bis nächsten Frühling) und die Nasen der Passagiere bestaunen, die an den Waggonfenstern kleben.

Erst beim Eindunkeln sind wir zurück im Hotel. Weil es draussen kalt geworden ist, kuscheln wir uns in die dicken Decken im Hotelzimmer und schauen zu, wie die Berggipfel vor unserem Fenster allmählich in der Nacht verschwinden. Es ist einer der Momente, in denen Worte überflüssig sind.

Kurhaus Bergün: Das für mich schönste Hotel der Schweiz – Jugendstil-Charme, Kulturprogramm, leckere Küche (Restaurant: unbedingt reservieren!), Tennisplatz und Bocciabahn im Sommer, Eisfeld und Schlittenverleih im Winter.

Albulalinie der Rhätischen Bahn (Chur–St. Moritz): Der Streckenabschnitt zwischen Albulatunnel und Landwasserviadukt gilt als Paradestück der Ingenieurkunst aus der Pionierzeit des Eisenbahnbaus.

Bahnerlebnisweg Albula: Verläuft parallel zur berühmten Bahnstrecke. Infotafeln geben einen Einblick in die Welt von Bahn, Technik, Kultur und Alltag der Rhätischen Bahn. Erste Etappe: Preda–Bergün (7 Kilometer).

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