Fukushima – der Anfang vom Ende der Atomkraft?

In Fukushima geschah, was AKW-Betreiber, nationale und internationale Aufsichts­behörden seit Tschernobyl für unmöglich erklärt hatten und worauf sie nicht vorbereitet waren. Erdbeben und Flutwelle verursachten eine unbeherrschbare Atomkatastrophe. In der Folge wurde die tödliche Gefahr verharmlost, eine sachgerechte Informationspolitik liess auf sich warten und die Menschen in der Gefahrenzone wurden im Stich gelassen. Die Sperrzone […]

In Fukushima geschah, was AKW-Betreiber, nationale und internationale Aufsichts­behörden seit Tschernobyl für unmöglich erklärt hatten und worauf sie nicht vorbereitet waren. Erdbeben und Flutwelle verursachten eine unbeherrschbare Atomkatastrophe. In der Folge wurde die tödliche Gefahr verharmlost, eine sachgerechte Informationspolitik liess auf sich warten und die Menschen in der Gefahrenzone wurden im Stich gelassen. Die Sperrzone in Fukushima wird während Jahrzehnten un­bewohnbar bleiben. Die Langzeitfolgen für die zwei Millionen Menschen in den betroffenen Provinzen sind bis heute nicht absehbar. Die Bewältigung des Unfalls wird noch Jahre dauern und Unsummen kosten.

Versagt hat nicht nur der japanische Betreiber Tepco. Widerlegt wurde auch die Sicherheitsphilosophie der weltweit vernetzten Atomindustrie und der mit ihr verbandelten Aufsichtsbehörden. Vergleichbare Leichtwasser­reaktoren wie in Fukushima gibt es überall; Sicherheitsphilosophie, Kontrollsysteme und Aufsichts-praxis sind weltweit dieselben.

Nach Fukushima stellt sich die Risikofrage neu, weltweit. Das Risiko eines schweren Atomunfalls wurde bisher von Atombefürwortern als sehr gering, mit dem Faktor 1:250 000 pro Reaktorjahr angegeben. Berechnen Statistiker das Risiko nach den Unfällen von Tschernobyl und Fukushima neu, kommt man auf ganz andere Zahlen, zwischen 1:10 000 und 1:2000 pro Reaktorjahr. Damit rückt im dicht besiedelten Westeuropa mit seinen immer noch zahlreichen Atommeilern ein Atomunfall in den Bereich des Wahrschein­lichen. Genauso wie in Japan existieren bei uns keine Evakuierungspläne, genauso wie in Japan wird das Unfallrisiko verharmlost. Den europäischen Stresstests liegt die immer noch gleiche Sicherheitsphilosophie zugrunde, die in Japan versagt hat.

Anders als oft behauptet, ist der Atomausstieg kein Phänomen des deutschsprachigen Europas. Der Atomstrom deckt noch zirka 13 Prozent des globalen Strombedarfs und wenig mehr als zwei Prozent des globalen Endenergieverbrauchs. In der EU setzen nur noch neun von 27 Staaten auf Atomenergie, die andern haben entweder keine oder steigen aus. In Japan waren im Februar nur noch drei von 54 Atomreaktoren im Betrieb, weil sich die Menschen gegen eine Wiederinbetriebnahme wehren. Eine deutliche Mehrheit der Japaner lehnt heute die Atomkraft ab, und die Regierung beschränkte die Laufzeiten auf 40 Jahre, was einem faktischen Ausstieg gleichkommt. Selbst in Frankreich ist die Atomkraft zum kontro­versen Wahlkampfthema geworden.

In der Schweiz haben sich Bundesrat und Parlament für den Ausstieg entschieden. Noch gibt es aber keinen gesetzlich festgelegten Zeitpunkt für das Abschalten der einzelnen AKW, und ein verbindliches Massnahmen­paket, um innert nützlicher Frist den Atomstrom zu ersetzen, steht noch aus. Die Atombefürworter geben noch nicht auf. Es braucht weiterhin Druck, damit der Ausstieg und eine Zukunft mit 100 Prozent erneuerbarer Energie kommt.

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Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 09.03.12

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