Funksprüche belasten Einsatzleiter der Basler Polizei

Neue Erkenntnisse zur Pappteller-Affäre wecken Zweifel am Entscheid der Staatsanwaltschaft, das Verfahren gegen den damaligen Einsatzleiter einzustellen. Auch eine Bewilligungspflicht für die Künstlergruppe soll nie bestanden haben.

Die Basler Staatsanwaltschaft hat Einsatzleiter G. für den umstrittenen Polizeieinsatz gegen eine Künstlergruppe während der Art entlastet, doch der aufgezeichnete Funkverkehr stellt den Entscheid infrage.

(Bild: Hans-Jörg Walter)

Neue Erkenntnisse zur Pappteller-Affäre wecken Zweifel am Entscheid der Staatsanwaltschaft, das Verfahren gegen den damaligen Einsatzleiter einzustellen. Auch eine Bewilligungspflicht für die Künstlergruppe soll nie bestanden haben.

Das letzte Wort in der Pappteller-Affäre ist nicht gesprochen. Noch liegt der Entscheid der Staatsanwaltschaft, das Verfahren gegen den damaligen Einsatzleiter G. einzustellen zur Beurteilung beim Appellationsgericht. Aufgezeichnete Funksprüche der Polizei, die der TagesWoche vorliegen, deuten darauf hin, dass die Staatsanwaltschaft einseitig und teilweise nicht nachvollziehbar zugunsten des Kaderpolizisten argumentierte. Verfahrenseinstellungen sind rechtlich nur zulässig, wenn ein Vergehen ohne Zweifel ausgeschlossen werden kann. 

19 Opfer des Einsatzes haben Beschwerde gegen den Entscheid eingelegt, sie verlangen einen Prozess. Sie wurden allesamt am Freitag der letztjährigen Art Basel auf dem Messeplatz von der Polizei festgenommen und in die Tiefgarage des Stützpunkts Waaghofs verbracht, wo sie in einer Gefangenensammelstelle (Gesa) teilweise mehrere Stunden lang auf ihre Freilassung warten mussten. Die Polizei führte dort Personenkontrollen samt Leibesvisitationen durch. Mehrere Beteiligte sprachen danach von belastenden Erfahrungen.

Verdacht auf Freiheitsberaubung

Gegen den Einsatzleiter wurde deshalb wegen des Verdachts auf Amtsmissbrauch und Freiheitsberaubung ermittelt. Personenkontrollen nicht vor Ort durchführen darf die Polizei nur in Ausnahmefällen, wenn sich etwa eine Person nicht ausweisen kann, oder die Lage vor Ort eine Kontrolle nicht zulässt.

Die Staatsanwaltschaft folgte der Argumentation von Einsatzleiter G., eine ordnungsgemässe Kontrolle auf dem Messeplatz sei nicht möglich gewesen. Der protokollierte Funkverkehr des Einsatzes lässt einen anderen Schluss zu: Dass das Wegschaffen der Studenten, Künstler und einiger zufällig involvierter Messebesucher von Beginn weg so geplant war. 

Messeplatz, Freitag, 20. Juni 2014, 18.58 Uhr. Einsatzleiter G. funkt mit einem Polizeioffizier

Die Orthografie folgt dem schriftlichen Protokoll.

«A. G. – Verstanden – Ich habe nichts mehr gehört – ja, weil ich jetzt gerade mit denen diskutiert habe, also ehm, der Verantwortliche, ein Herr Zürcher, dem fällts ein bisschen schwer ? ? eher aggress4, er sagt er werde dies mit seinen Leuten da auf dem Platz auf jeden Fall durchführen, mit allen Konsequenzen. Er sei ein freier Burger wie die anderen auch und er nehme dies zur Kenntnis. Aber wie gesagt, sie wollen dies jetzt konsequent durchziehen.» (sic)

G. hatte zuvor mit Renatus Zürcher gesprochen, einem der Organisatoren der als Performance geplanten Erinnerungsaktion an die Favela-Ausschreitungen im Vorjahr. G. stellte Zürcher vor dem Pausenplatz der Schule für Gestaltung zur Rede, in unmittelbarer Nachbarschaft zur Messe. Zürcher probte dort auf dem Messeplatz mit rund 20 Schülern und Künstlerkollegen für die Erinnerungsaktion. Mit Tortenböden in den Händen wollten sie die Ästhetik jener Polizeiformation nachstellen, die im Vorjahr eine illegale Party auf dem Messeplatz während der Art gewaltsam beendete.

G. behauptete in seiner Vernehmung gegenüber der Staatsanwaltschaft, Zürcher habe trotz seiner Warnung, eine Aufführung sei verboten, an der Aktion festgehalten.

Zürcher andererseits sagt, er habe G. bloss zugesichert, die Entscheidung mit der Gruppe zu diskutieren. G. räumt ein, nicht dabei gewesen zu sein, als Zürcher mit den Kollegen entschied, die gemeinsame Aktion abzublasen. Stattdessen beschlossen sie, als Einzelpersonen auf den Messeplatz zu gehen und dort Pappteller und Flyer an Passanten zu verteilen.

Beweisanträge der Klägerseite, welche die Aussage Zürchers stützen sollten, lehnt die Staatsanwaltschaft ab. Es steht Aussage gegen Aussage und die Staatsanwaltschaft entscheidet sich, der Version des Einsatzleiters zu folgen.

19.06 Uhr, unmittelbar nach der Konversation zwischen G. und Zürcher. G. funkt an Polizeikommissar K.:

«Dein Auftrag ist klar, es gibt keinen Marsch auf den Messeplatz, wird nicht toleriert, die halten wir vor dem Messeplatz an einem gewissen Ort an, von mir aus kannst du ohne weiteres OD Präsenz markieren, sodass sie merken, dass es uns ernst ist.»

19.06 Uhr. Zweiter Funkspruch von G. an «Kapo»:

«GESA informieren, dass wir eventuell Leute zuführen, etwa 20 Stück.»

Die nächsten zwölf Minuten verstreichen, ohne dass sich einer aus der Künstlergruppe vom Pausenplatz auf den Messeplatz begibt. 

Weiterer Funkverkehr mit den Polizisten bei der Schule (anonymisiert, d. Red.)

19.06 Uhr: «Ja, da ist der Volvo, das Grüppchen ist immer noch stationär auf dem Platz.»

Die Gruppe ist noch nicht losgelaufen.

19.09 Uhr: «Verstanden, Antwort» – «Wir haben Pos A auf diese Gruppe und die Riehenstrasse ist gut besetzt, also wir haben genug Vorlaufzeit für uns» – «Das ist richtig C., ich muss einfach gleich möglichst wissen, wenn sie ablaufen und von welcher Seite sie auf den Messeplatz wollen, das ist das A und O für mich.»

Der grösste Teil der Gruppe geht ins Schulhaus hinein.

19.13 Uhr: «Verstanden, jetzt ist der grösste Teil in die Liegenschaft, das heisst in das Schulhaus, es könnte sein, dass sie vorne heraus kommen in Richtung Riehenstrasse und dann wurden sie für Dich sein A., ein Teil ist noch dahinten und ich kann noch nicht mehr sagen – ja, OK, A. hat dies mit.»

Acht Personen betreten das Weglein vor dem Schulhaus.

19.17 Uhr: «AP 4 von X., Antwort» – «4 verstanden, Antwort» – «hältst du dich bereit, dass wenn wir eine statische Situation haben und diese Leute irgendwo eingekesselt haben, dass ihr dahinter den Verkehr etwas ableiten könnt, Antwort» – «Ja, verstanden – verstanden, ich weiss halt noch nicht wo, du musst halt dann entsprechend verschieben, merci, fertig» – «Ja das ist B. von der Fahndung, wir haben Sicht auf das Weglein zum Schulhaus, da kommen jetzt 8 hervor, das könnten diese sein.»

Renatus Zürcher wird von der Polizei entdeckt und soll mitgenommen werden.

19.18 Uhr: «OK, Kapo zwei mit dem Velo, schwarz gekleidet, haben sich getrennt, einer fährt Riehenstrasse mit einem Rennvelo, der andere ist Richtung Rosental nach vorne» – «(Kapo) Ja 8» – «Verstanden» – «X. von G. Antwort» – «Verstanden, Antwort» – [Einsatzleiter G. spricht, d. Red.] «Auftrag: Gilt für alle. Schwarz gekleidete Leute, die versuchen sich jetzt in Splittergruppen in Richtung Messeplatz zu begeben, alle diejenigen, welche einen solchen weissen Kartonteller mitführen und schwarz gekleidet sind, die werden alle angehalten und zwecks Kontrolle nach der GESA verbracht, Antwort» – «Ich habe dies verstanden G., merci» – «Ja , da ist der Volvo, jetzt brauche ich schnell den Funk, das ist wichtig, G. sie kommen jetzt aus allen Richtungen, der Chef, mit welchem du vorhin gesprochen hast, hat eine blaue Einkaufstasche in der Hand, läuft jetzt in Richtung Peter Rot-Strasse, wir bleiben einmal bei diesem dran» – (G.) «Jawohl und wenn ihr könnt, zieht gerade ein AP zu, dann wird er angehalten und anschliessend wird er mitgenommen.»

Für Opferanwalt Christian von Wartburg belegen die Funksprüche, dass die Polizei mit klarem Plan zu Werke ging: «Diese Ausführungen und Funksprüche zeigen unmissverständlich auf, dass es nie darum ging, dass die Personen nur kontrolliert werden sollten und dass dann kein ordentlicher Ablauf möglich war, sodass diese in die Gesa verbracht werden mussten.» Im Zentrum steht folgender Funkspruch:

19.18 Uhr, G. funkt an Polizeikommissar K.:

«Gilt für alle. Schwarz gekleidete Leute, die versuchen, sich jetzt in Splittergruppen in Richtung Messeplatz zu begeben, alle diejenigen, welche einen solchen weissen Kartonteller mitführen und schwarz gekleidet sind, die werden alle angehalten und zwecks Kontrolle nach der Gesa verbracht.»

Der Funkspruch lässt kaum einen anderen Schluss zu, als dass nie gedacht war, die Personenkontrollen vor Ort durchzuführen, sondern die Teilnehmer der Aktion sofort in den Waaghof zu überführen. Die Staatsanwaltschaft sieht das in der Einstellungsverfügung anders. Sie schreibt, G. habe den Befehl erteilt, die Gruppe auf dem Weg zum Messeplatz, spätestens aber dort, anzuhalten und zu kontrollieren, und dass das Wegschaffen in den Waaghof situativ entschieden worden sei, mit dem Ziel, die Persönlichkeitsrechte der Festgenommenen zu schützen. 

Wie G. bereits vor der Aktion auf dem Messeplatz gewusst haben kann, dass eine Kontrolle vor Ort nicht möglich ist, beantwortet die Staatsanwaltschaft nicht.

Starke Anzeichen für Amtsmissbrauch

Für Einsatzleiter G. und möglicherweise auch seinen Vorgesetzten, Polizeikommandant Gerhard Lips, ist die Bewertung des Funkverkehrs von zentraler Bedeutung. Amtsmissbrauch und Freiheitsberaubung können nur geahndet werden, wenn sie vorsätzlich geschehen sind.

Kommen die Richter zum Schluss, dass Festnahme und Wegschaffung der Studenten von Beginn weg geplant waren, können sie kaum anders, als auf eine vorsätzliche Handlung zu entscheiden. Dann wird auch der vorgeworfene Amtsmissbrauch wieder zum Thema.

Das Bundesgericht entschied vor ein paar Jahren gegen einen Solothurner Polizisten, dem Amtsmissbrauch zur Last gelegt wurde, weil er eine Person, die er kontrollieren wollte, auf die Wache brachte und dort einer Leibesvisitation unterzog. Ein ähnlicher Vorgang wie jener bei der Pappteller-Affäre.

Das Bundesgericht hielt fest:

«Eine Leibesvisitation ist nur rechtmässig, wenn sie dringend erforderlich und durch die Bedeutung der Übertretung gerechtfertigt ist, was nur in Ausnahmefällen zutreffend ist. Der Privatkläger hätte vor Ort über den Kleidern auf Waffen oder andere Gegenstände durchsucht werden können. Der Beschwerdeführer hat eine unrechtmässige Zwangsmassnahme veranlasst.»

«Mit Blick auf den Umstand, dass kein Tatvorwurf im Raum stand, waren die Leibesvisitationen nicht angezeigt, unangemessen, unverhältnismässig und damit missbräuchlich», schreibt Anwalt von Wartburg in der Beschwerde.

Die Bundesrichter merkten auch an, der Polizist hätte aufgrund seiner langjährigen Erfahrung wissen müssen, dass er zu weit geht und das Gesetz verletzt. Sie stellten also Vorsatz fest. Der Basler Einsatzleiter G. steht ein paar Jahre vor seiner Pensionierung, er weist jahrelange Diensterfahrung auf. Die Basler Staatsanwaltschaft berücksichtigte auch das in der Einstellungsverfügung nicht.

Brauchten die Künstler eine Bewilligung?

Mehrfach behauptet die Staatsanwaltschaft in der Einstellungsverfügung, für die während der Kunstmesse Art Basel geplante Aktion auf dem Messeplatz sei eine Bewilligung notwendig gewesen. Auch damit wird das resolute Vorgehen der Polizei gerechtfertigt. Klägeranwalt Christian von Wartburg stellt die Bewilligungspflicht in Abrede. Er verweist auf die Verordnung über den Strassenverkehr, die auch von der Kantonspolizei als gesetzliche Grundlage angeführt wird. Dort steht unter Paragraf 14, dass eine Bewilligungspflicht erst ab 60 Teilnehmern besteht. An der Kunstaktion sollten ursprünglich rund 20 Personen mitwirken, letztlich mitgemacht haben noch weniger.

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