Eine Schweizer Delegation der «Demokratischen Juristen» ist in diesen Tagen in Hamburg. Als Beobachter will die NGO überprüfen, ob die Demonstrationsfreiheit rund um den G20-Gipfel gewahrt bleibt. Wir konnten mit einem der Vertreter sprechen, Pascal Ronc von der Uni Zürich.
Herr Ronc, in Hamburg herrscht Chaos, die Scharmützel zwischen Demonstranten und Polizei dauern bereits seit mehreren Tagen an. Je nach Quelle sind mal die Demonstranten für die Eskalation verantwortlich oder mal die Sicherheitskräfte. Können Sie die Lage beurteilen?
Die Situation vor Ort ist sehr unübersichtlich. Und es gibt auch nicht die Demo, sondern viele verschiedene grosse und kleine Umzüge. Bei den meisten Kundgebungen ist das Gros der Teilnehmer friedlich, doch die Polizei macht meist keinen Unterschied mehr zwischen friedlichen und gewaltbereiten Demonstranten.
Was bedeutet das?
Demos werden komplett aufgelöst, selbst wenn nur einzelne Chaoten die Veranstaltung zur Eskalation bringen wollen. Ich war gestern an der Schülerdemo. Dort ging die Polizei in Linienformation gegen friedliche Sitzblockaden vor. Die meisten Teilnehmer haben sich dann auch erhoben und wollten den Platz verlassen. Doch wir wurden gewaltsam weggestossen, weil wir uns «zu langsam» bewegten. Das widerspricht der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichtes, derzufolge die Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit auch dann gewahrt werden muss, wenn es innerhalb einer Kundgebung einzelne gewalttätige Elemente gibt.
Ist es denn im Moment überhaupt noch möglich, in Hamburg zu demonstrieren?
Die Polizei hat verschiedene Verbotszonen erlassen, wo keinerlei Versammlungen mehr geduldet werden.
Das heisst an gewissen Orten können weiterhin Kundgebungen durchgeführt werden?
Im Prinzip schon. Das Problem ist allerdings, dass diese Verbotszonen nicht klar gekennzeichnet sind. Es ist nicht sichtbar, wo noch demonstriert werden darf. Wir sind gestern selbst unwissentlich in eine solche Zone gelangt. Ein grosser Teil der Demonstranten kommt nicht aus Hamburg, da reicht es nicht aus, im Internet eine Karte mit den Verbotszonen zur Verfügung zu stellen. Diese sollten vor Ort auch klar gekennzeichnet werden. Diese Unsicherheit trägt bestimmt nicht zu einer Beruhigung bei.
Wird dies rechtliche Konsequenzen haben für die Stadt Hamburg?
Stadt und Polizei nehmen mit ihrem rigorosen Vorgehen auf jeden Fall eine Verurteilung in Kauf. Die Versammlungsfreiheit wird aktuell in Hamburg über Gebühr eingeschränkt.
Die Berichterstattung wird von der Gewalt rund um die Demonstrationen dominiert. Lohnt es sich da überhaupt noch auf die Strasse zu gehen, wenn die politischen Botschaften doch kaum noch Gehör finden?
Jetzt gerade während wir miteinander telefonieren, läuft hinter mir eine sehr bunte friedliche Demonstrationsgruppe durch. Darüber, was auf ihren Transparenten steht, wird wohl kaum jemand ein Wort verlieren. Umso wichtiger ist es, den Medienberichten über gewaltsame Kundgebungen ein eigenes Narrativ entgegenzustellen. Der politische Diskurs wird von den militanten Aktionen völlig unterbunden.
Viele Beobachter sprechen angesichts der Ausschreitungen von einer neuen Dimension der Gewalt. Teilen Sie diesen Eindruck?
Ich habe gestern gesehen, wie Leute vom schwarzen Block bei der Landungsbrücke von oben Flaschen auf die Polizei geworfen haben. Sie haben sich die Blockadesituation zu Nutze gemacht und gezielt Polizisten angegriffen. Dabei agierten Sie aus der zivilen Masse heraus, wobei sich Personen jeweils schnell von diesen angriffigen Leuten entfernten. Die Würfe verfehlten ihr Ziel und es wurden Opfer auf ziviler Seite offenbar billigend in Kauf genommen. In St. Pauli ging das Spiel dann mit Böllern, Flaschen und Feuerwerk weiter. Sie müssen sich das wie eine kleine Strassenschlacht vorstellen während Zivilisten mit dem Fahrrad vorbeifahren oder einfach in der Bar sitzen. Total surreal. An den üblen Verwüstungen am Abend war ich nicht dabei. Diese Gewalt ist jedenfalls nicht zu rechtfertigen.