Die neue Kontakt- und Anlaufstelle für Drogenkonsumenten auf dem Dreispitz-Areal provoziert keinen Protest. Ganz anders war es 1988, als das erste Fixerstübli in der Stadt seinen Betrieb aufnahm.
Kleinbasel Mitte der 1980er-Jahre: trist, grau und rau. Düstere Gestalten tummeln sich vor Hauseingängen und in Massen vor dem Basilisk-Brunnen am Oberen Rheinweg auf der Suche nach der nächsten Dosis befristeten Glücks. Spritzen werden verwendet und wie warme Brötchen weitergereicht.
Mittendrin Klaus Meyer, Gassenarbeiter des Schwarzen Peters. Der heute 62-jährige Angestellte der Abteilung Kantons- und Stadtentwicklung erinnert sich gut an die Zeit zurück, als Heroinkonsum auf der Gasse und die zunehmende Verelendung der Konsumenten seinen Arbeitsalltag dominierten. An vorderster Front und gegen massiven Widerstand setzte er sich für die Schaffung von Fixerstuben in der Stadt ein.
Kommenden Samstag wird auf dem Dreispitz-Areal, in unmittelbarer Nähe zum Friedhof Wolfgottesacker und dem Club Hinterhof, eine neue Kontakt- und Anlaufstelle (K+A) eröffnet. Die einstigen Gassenzimmer an der Spitalstrasse und der Heuwaage verschwinden. Sie passen nicht zum im Januar 2011 eröffneten Universitäts-Kinderspital und zur geplanten Aufpolierung der Heuwaage und des Nachtigallenwäldeli durch den Kanton.
Jörg Schild drohte mit Gefängnis
Gegen das 2,65 Millionen teure Projekt auf dem Dreispitzareal wehrten sich zwar Familiengärtner, Anwohner und Mitglieder der kantonalen Friedhofskommission. Doch verglichen mit früher fiel die Opposition eher bescheiden aus. Meyer sagt im Interview: «Grund für den damaligen massiven Widerstand gegen die Gassenzimmer war sicherlich, dass die Drogenszene im Oberen Kleinbasel sehr gut in den Köpfen der Menschen präsent war. Die Leute hatten extrem Angst davor, dass die Drogenkonsumenten in ihr Quartier kommen.» Heute gebe es keine derart grosse Szene mehr, möglicherweise sei deshalb die Angst der direkten Anwohner weniger gross.
In den 1980er-Jahren waren Meyer und sein Team permanent damit beschäftigt, den Leuten auf der Gasse ein Überleben zu ermöglichen. Der Tod war dabei oft näher als das Leben. «Obwohl wir saubere Spritzen verteilten, mussten wir feststellen, dass die Leute trotzdem auf die Gasse gingen, Spritzen austauschten und an einer Überdosis starben. Wir kamen zum Schluss, dass sie einen Ort zum Fixen brauchen – unter möglichst hygienischen Bedingungen.»
1988 entstand am Lindenberg 1 das «Sprützehüsli» (später Fixerstübli genannt), und die Anwohner liefen Sturm. Das Gebäude, das Junkies ermöglichte, ihre Drogen in heimeliger Atmosphäre zu konsumieren, sorgte über die Landesgrenzen hinaus für Aufsehen und war auch der britischen Rundfunkanstalt BBC eine Reise nach Basel wert. Erzürnt über die Inbetriebnahme des «Sprützehüsli» war auch Jörg Schild, damals Chef des Betäubungsmitteldezernats in Basel und später Regierungsrat. Er drohte Klaus Meyer mit Gefängnis. Denn, was die Gassenarbeiter taten, war illegal.
Kantonsarzt musste gehen
Die Diskussionen über Sinn oder Unsinn von Fixerstuben waren damals stark ideologisiert, die Fronten extrem verhärtet. Dies bekam auch Kantonsarzt Christian Herzog zu spüren, der mit einem Stop-Aids-Bus Spritzen an Fixer verteilen wollte. Anwohner der Utengasse verweigerten ihm die Durchfahrt. Und für Herzog hatte das Engagement für die Junkies ein folgenreiches Nachspiel: Die Regierung verweigerte ihm die Wiederbestätigung als Kantonsarzt.
Meyer bezeichnet die Zeit am Lindenberg 1 als «verrückt» und «menschlich fast nicht ertragbar». Dennoch kamen die Gassenarbeiter zum Schluss, dass es weitere solche Orte brauche. Um ihrem Anliegen Ausdruck zu verleihen, stellten sie im April 1991 neben der Elisabethenkirche einen Fixer-Container auf. Der damalige LDP-Regierungsrat Peter Facklam wollte die Inbetriebnahme des Containers mit einem zwei Meter hohen Zaun verhindern. Nach Gesprächen erteilte er aber eine Bewilligung dafür – es kam zu insgesamt 21 Einsprachen. Trotzdem konnte der Betrieb aufgenommen werden, es dauerte aber nur einen Monat, bis der Container einem Brandanschlag zum Opfer fiel.
Bevor im Sommer 1991 das erste offizielle Gassenzimmer an der Spitalstrasse aufging, gab es eine weitere provisorische Lösung am Picassoplatz. «Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie Peter Facklam bei einer Veranstaltung von vornehmen Anwohnern des Dalbenlochs bedroht wurde. Er meinte aber, er müsse diesen Weg mit den Gassenzimmern gehen.» Facklam habe mutig entschieden und viel ausgehalten, sagt Meyer. Bei den Wahlen 1992 wurde er nicht wiedergewählt. Ausschlaggebender Grund dafür dürfte sein Einsatz für die Fixerstuben gewesen sein.
Die Nachfrage sinkt
25 Jahre nach der umstrittenen Eröffnung des «Sprützehüsli» am Lindenberg 1 sind solche Einrichtungen nicht mehr aus Basel wegzudenken. Für Philipp Waibel, Leiter Bereich Gesundheitsdienste, sind sie «essenziell», damit es keine Verzettelung der Drogenszene mehr gibt wie in den 1980er-Jahren. Dass künftig mit den Standorten Dreispitz und Wiesenkreisel nur noch zwei statt drei K+A vorhanden sind, führt er auf die Nachfrage zurück. Geplant ist, dass die K+A an der Spitalstrasse im Januar 2014 und diejenige an der Heuwaage im März für immer schliessen.
Waibel dementiert, dass man mit dem Standort Dreispitz die Drogenkonsumenten aus der Innenstadt verbannen wolle. «Das Dreispitz-Areal kann nicht als am Rand der Stadt angeschaut werden, zumal dort aus stadtplanerischer Sicht noch einiges passieren wird.»
Die Drogenkonsumenten haben offenbar mit dem neuen Domizil kein Problem. Gemäss Aussagen von Michel Steiner, Gassenarbeiter des Schwarzen Peters, ist der neue Standort bei ihnen kein Thema. «Ich habe bis jetzt nichts gehört. Das überrascht auch mich.»
Artikelgeschichte
Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 08.11.13