Im Kleinbasel stinkt es verdächtig nach giftigem Lindan-Abfall. Altlastenspezialist Martin Forter erhebt schwere Vorwürfe gegen Novartis. Der Pharma-Riese soll angeblich beim Sanieren des kontaminierten STEIH-Areals gespart haben.
Im Kleinbasel zwischen Dreirosenbrücke und Hafen liegt seit Monaten immer wieder ein seltsamer Geruch in der Luft. Anwohner und Zwischennutzer am Hafen beschreiben ihn als «modrig» oder vergleichen ihn mit dem Geruch von Mottenkugeln.
Auf der gegenüberliegenden Seite des Rheins, just dort, wo Frankreich beginnt, saniert Novartis seit Juli 2012 unter grossen weissen Schutzzelten den Boden des so genannten STEIH-Areals. Dieser ist durch mehrere Tonnen Lindan-Abfall, die ein französischer Insektizidhersteller bis in die 1970er-Jahre dort angehäuft hat, kontaminiert. Da der typische Geruch von Lindan-Abfall genau dem entspricht, wie es jetzt im Kleinbasel wiederholt riecht, liegt ein Zusammenhang auf der Hand. Heikel dabei ist, dass Lindan-Abfall giftig und als potenzieller Krebserreger bekannt ist.
Ist die Kleinbasler Bevölkerung also in Gefahr? Die beiden Basler Ämter, die dies am besten wissen sollten, können keine befriedigende Antwort geben. Weder das Amt für Umwelt und Energie (AUE) noch das Lufthygieneamt beider Basel hat bislang Messungen vorgenommen.
Ohne Klagen kein Handeln
Gemäss Dominik Keller, dem stellvertretenden Amtsleiter vom AUE, bestehe kein Anlass zu Messungen, solange es keine Anhaltspunkte gäbe. Diese müssten die Bevölkerung selber liefern, so die Haltung beim AUE. Beschwerden über den verdächtig modrigen Geruch würden ausreichen. Beim AUE seien jedoch «keine Reklamationen eingegangen», sagte Keller vor einer Woche gegenüber der TagesWoche. Folglich könne das AUE nicht handeln, zumal die Sanierung auf französischem Boden stattfinde.
Dasselbe gilt für das Lufthygieneamt: ohne Klagen keine Anhaltspunkte und kein Handeln. Lediglich einen Kläger habe es gegeben, sagt der Amtsleiter Andrea von Känel. Dies sei im Juni und Juli gewesen. Gemeinsam mit dem Kläger habe man die Situation vor Ort angeschaut und sich vergewissert, dass Novartis die Sanierung mit der neusten Technik durchführe.
Bei beiden Ämtern heisst es, die französischen Behörden seien für die Überwachung der Sanierungsarbeiten zuständig. Trotzdem arbeite das Lufthygieneamt eng mit Novartis zusammen. «Letztlich können wir aber nur indirekt Einfluss nehmen», räumt von Känel ein. Um direkt Einfluss zu nehmen, müsste sich das Lufthygieneamt über die französische Präfektur einschalten. «Das ist jedoch kompliziert», sagt von Känel. Scheinbar ist es für das Lufthygieneamt angenehmer, direkt mit Novartis zusammen zu arbeiten.
Da Novartis die Sanierung finanziere, liege es im Ermessen des Pharmakonzerns, wie sie die Sanierung durchführt, sagt von Känel. Er versichert aber, dass Novartis unter Sicherheitsvorkehrungen arbeite, die dem schweizerischen Standard der Technik entsprächen.
Schwere Vorwürfe gegen Novartis
Der Altlastenexperte Martin Forter beobachtet die Sanierungsarbeiten schon seit Wochen. Er bezweifelt, dass der von Novartis eingehaltene Sicherheitsstandard tatsächlich ausreicht. In einer am Donnerstag veröffentlichten Medienmitteilung erhebt er schwerwiegende Vorwürfe gegen Novartis. «Anstatt teure und riesige Hallen wie im jurassischen Bonfol oder im aargauischen Kölliken zu bauen, liess Novartis in Huningue grosse günstige Zelte über den Gift-Gruben errichten, um sie auszugraben», heisst es darin.
Diese Sparmassnahme könnte gemäss Forter Folgen haben: Um «Gestanks- und Gift-Austritte» zu verhindern, wird in den Schutzzelten ein Unterdruck erzeugt. Videoaufnahmen zeigen jedoch deutlich, dass der Unterdruck bei Wind nicht aufrechterhalten wird und die riesigen Zeltwände flattern. Auf den Wind folge «meistens» der muffige Gestank. Laut Forter besteht dann jeweils auch das Risiko, dass der Staub vom Lindan-Abfall unter anderem ins Kleinbasel gelange und den Bewohnern Schaden zufüge.
Forters Mitteilung erwähnt noch eine weitere Gefahrenquelle: Ein Teil der kontaminierten Erde wird nach Nordeuropa verschifft und dort unschädlich gemacht. Beim Schiffverlad in Basel kommt es offenbar vor, dass die Schiffbunker «vollständig offen» sind. Dies haben Zwischennutzer mit bestem Blick auf die Sanierungsarbeiten gegenüber der TagesWoche bestätigt.
Novartis: Alles sicher
Bei Novartis will man nichts von einem Risiko wissen. «Am Basler Hafen gibt es zahlreiche potenzielle Staub- und Geruchsquellen», erklärt Novartis in einer schriftlichen Stellungnahme. Der besagte Geruch stamme nicht vom Lindan-Abfall, so das Fazit aus Geruchsanalysen, die «durch zwei unabhängige Instanzen» durchgeführt worden seien. Bei der STEIH-Baustelle seien «keine Staubemissionen vorhanden», und auch beim Verlad habe man bei den permanenten Kontroll-Untersuchungen «nie Staub beobachtet oder identifiziert», schreibt Novartis. Allerdings könne «ausnahmsweise» beim Schiffverlad von «leichter belastetem Boden (…) sehr kurzfristig lokal Staub auftreten», was dann jeweils aber sofort mit «Korrekturmassnahmen» gestoppt werde.
Dass die von Novartis getroffenen Sicherheitsmassnahmen wirkungsvoll seien, dafür bürge gemäss Novartis ein ganzer Kontrollapparat. «Die Ausführung aller dieser Massnahmen werden von STEIH, der Sanierungsfirma (Sita), der Bauleitung (Ingerop), einem unabhängigen von der Behörde ausgesuchten Experten (HPC), einem Koordinator für Gesundheitssicherheit sowie auch von den Behörden kontrolliert», schreibt Novartis. Welche Behörden damit genau gemeint sind, lässt Novartis offen.
Aufruf aus der Vergangenheit
In Anbetracht der Gefahr, die von Lindan-Abfall grundsätzlich ausgeht, wünscht man sich, dass Novartis mit ihrer Beurteilung recht behält. Laut der Mitteilung von Martin Forter beinhaltet Lindan-Abfall nämlich Substanzen, die im Menschen «wie Hormone wirken» und sich im Fettgewebe von Mensch und Tier anreichern.
Anfangs der 1970er-Jahre, als der französische Insektizidhersteller den Abfall noch tonnenweise offen herumliegen und vom Wind verwehen liess, durfte im weiteren Umkreis bis Riehen keine Kuhmilch mehr getrunken werden. In einigen deutschen Grenzgemeinden sollen die Behörden sogar Mütter aufgefordert haben, ihre Babys nicht mehr zu stillen, weil sie ansonsten die Substanzen per Muttermilch weitergegeben hätten, schreibt Forter.
Dominik Keller vom AUE ruft die Bevölkerung auf: Man soll jeweils den verdächtigen Gestank bitte sofort beim AUE oder Lufthygieneamt melden.