Gefordert: Paul Castle

Paul Castle kommentiert an den Olympischen Spielen von London live vor Ort die Ruderrennen. Der Mann aus Oberwil ist dabei gedanklich, stimmlich und in Bezug auf seine Kleiderwahl gefordert.

Obwohl selbst Ruderer, wird Paul Castle in London nicht auf dem Wasser aktiv sein. Er fährt im Auto neben den Booten her und kommentiert die Rennen. (Bild: Nils Fisch)

Paul Castle kommentiert an den Olympischen Spielen von London live vor Ort die Ruderrennen. Der Mann aus Oberwil ist dabei gedanklich, stimmlich und in Bezug auf seine Kleiderwahl gefordert.

Er wird vor allem als Stimme in London präsent sein. Was eigentlich schade ist. Denn die Kleidervorschriften, die Paul Castle für seine Arbeit an den Olympischen Spielen erhalten hat, versprechen auch optisch viel. Er solle bitte die eigene Garderobe nach London mitbringen, wurde dem 49-Jährigen mitgeteilt. Stil: english eccentric meets urban streetwear. «Ich werde also als Mischung aus Mr. Bean und Snoop Dogg auftreten», sagt Castle.

Das stimmt natürlich nicht ganz. Aber der Satz steht für jenen britischen Humor, den der in Oberwil lebende Engländer im richtigen Mass besitzt. Er wird ihm in London helfen. Dorthin reist Castle als eine Art Kurzgeschichtenerzähler. Er kommentiert die Ruderrennen für jene, die die Wettkämpfe vor Ort verfolgen. «Mehr als sieben Minuten bleiben mir nicht für meine Erzählungen.»

Informationen für Menschen, die eigentlich zum Trampolinspringen wollten

Paul Castle wird gebraucht, weil Rudern nicht der zuschauerfreundlichste Sport ist. Wer auf Höhe des Ziels sitzt, erlebt die ersten 1500 von 2000 Metern nur via ­Bilder auf der Grossleinwand – und dank den Kommen­taren von Castle und seinen Kollegen. So sind es ihre ­Informationen, die das Rennen auch für Laien ver­ständlich machen.

Auf unkundige Zuschauer wird er in London häufiger treffen als im Weltcup, an dem Castle seit 1994 ebenfalls kommentiert. Das sagt ihm die Erfahrung aus den Spielen von Sydney, Athen und Peking: «An den Spielen wollte die Mehrheit der Zuschauer vielleicht zum Trampolinspringen und hat dann Rudertickets erhalten. Also darf ich nicht dauernd mit Fachausdrücken um mich werfen.»

Eher wird er Anekdoten erzählen, Geschichten aus dem Startraum: «Immer fair und neutral.» Und doch mit dem nötigen Schalk. So wie beim Weltcup in München, als ein Ruderer ins Wasser fiel und Castle trocken auf ein Schild am Ufer verwies: «Freistaat Bayern – baden verboten.»

Wie es sich für jemanden aus Cambridge gehört, rudert der Kommunikationschef der Syngenta-Stiftung für Nachhaltige Landwirtschaft selbst, beim Ruderclub Grenzach. Genau deswegen sind diese Spiele für ihn ganz besondere. Mit Simon Niepmann sitzt nämlich im Leichtgewichts-Vierer der Schweiz ein Athlet, der seine erste Ruderstunde bei ihm in Grenzach nahm. Bei Niepmanns Rennen werden darum nicht nur Castles Kopf und Stimme gefordert sein: «Da fährt mein Herz mit.»

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 27.07.12

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