Tausende Flüchtlinge suchen Schutz in Europa. Unser Korrespondent begleitet sie auf ihrer Route von Griechenland nach Österreich. Teil 3.
Mittwoch, 2. September, 7 Uhr: Auf den Rastplätzen entlang der Strecke Szeged–Budapest wuseln Schleuser um auftauchende Flüchtlinge herum. In Szeged selbst reden die Menschen erstaunlich offen über die Flüchtlingskrise. Klagen oder gar Fremdenhass gibt es nicht.
Der malerische Grenzort Szeged, durchaus ein Touristenmagnet, wirkt wie eine gemalte Idylle. Im Café bekomme ich mein Frühstück von einem Schwarzen serviert. Was in Griechenland zumindest an einigen Tischen für bissige Kommentare sorgen würde, scheint in Szeged niemanden zu stören. Auf den griechischen Urlaubsinseln habe ich dagegen immer wieder frustrierte, gegen Überfremdung wetternde Hoteliers und Kaffeehausbesitzer erlebt. Ist der in ganz Europa kritisierte Fremdenhass der Ungarn am Ende doch eine Schimäre?
Wie aber sieht es auf der Nebenstrecke aus? Die war in Griechenland und Mazedonien am meisten vom Flüchtlingsstrom betroffen. Die Suche beschert mir zunächst eine positive Überraschung: Während die serbischen Grenzer entlang des frischen Grenzzauns beim Dorf Asotthalom bei Szeged die Medien lieber aussen vor haben wollten, treten die streng wirkenden ungarischen Grenzschützer zwar nicht freundlich, aber zumindest kooperativ auf. Noch ist der Zaun durchlässig.
«Geld für die Fahrkarte haben wir, aber nehmen die uns mit? In Serbien mussten wir 100 km zu Fuss gehen.»
Fotografieren ist zwar ohne Sondergenehmigung verboten, aber solange keine Beamten fotografiert werden, «können Sie sich frei bewegen», heisst es. Ich beginne querfeldein zu fahren. Denn die mir von der Reise bekannten Pulks mit Flüchtlingen konnte ich auf der Fahrt von Szeged nach Asotthalom nirgends entdecken. Nur vereinzelt wanderten kleine, verloren wirkende Grüppchen.
Eine syrische Grossfamilie beklagte sich, die Polizei habe sie kontrolliert, aber nicht mitgenommen. «Wie weit ist es zur nächsten grossen Stadt?», fragen die Flüchtlinge. Meine Auskunft sorgt für lange Gesichter. «19 km bis Szeged, aber es gibt einen Linienbus», sage ich dem Familienvater. «Geld für die Fahrkarte haben wir, aber nehmen die uns mit? In Serbien mussten wir 100 km zu Fuss gehen, wir sind tagelang unterwegs und wollen nach Budapest», jammert er erschöpft und zeigt auf seine hundert Meter weiter voran vor Erschöpfung torkelnde Gattin.
Müde, erschöpft und ohne Orientierung: Syrische Flüchtlinge bei Asotthalom. (Bild: Wassilis Aswestopoulos / n-ost)
Bei knapp 35 Grad ist das Wandern eine Tortur. Ich lasse meinen in Serbien erworbenen Vorrat an Mineralwasser zurück und ziehe mit einem mulmigen Gefühl weiter. An einer Ecke, zwei Kilometer vor dem Grenzübergang, sehe ich ein halbes Dutzend Polizisten und doppelt so viele Flüchtlinge.
Die Beamten sitzen in drei Polizeiwagen, die Flüchtlinge, allesamt aus Afghanistan, sitzen apathisch herum. Sie müssen abwarten, ob sie weiter dürfen oder nicht. Ein Polizist verteilt Brötchen, im Schatten stehen Wasserflaschen. Die Polizeipräsenz ist überall spürbar. Ich entdecke sogar Streifenpolizisten, die mit Pferden unterwegs sind. Jetzt geht es weiter nach Budapest.
Wasser für die Flüchtlinge – von der ansonsten so strengen Polizei Ungarns – direkt an der Grenze zu Serbien. (Bild: Wassilis Aswestopoulos / n-ost)
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Teil 1: Von Griechenland nach Österreich: Auf der Route der Flüchtlinge
Teil 2: «Es ist Irrsinn: Zwei Bäume als Tor nach Europa für 20’000 Menschen am Tag»
Teil 3: Haben Sie gerade gelesen.
Teil 4: folgt am Freitag.
Teil 5: folgt am Samstag.