Genetikfirma will in Basel mit Baby-Gentests das grosse Geld machen

Ein Tessiner Genetik-Unternehmen hat in Basel einen mondänen Flagshipstore eröffnet. Dort werden auch genetische Untersuchungen von Neugeborenen angeboten. Eine Expertenkommission des Bundes überprüft nun, ob das legal ist.

So empfängt das Tessiner Genetikunternehmen «genes-x» seine Besucher an der Hardstrasse 52. (Bild: Livio Marc Stoeckli)

Ein Tessiner Genetik-Unternehmen hat in Basel einen mondänen Flagshipstore eröffnet. Dort werden auch genetische Untersuchungen von Neugeborenen angeboten. Eine Expertenkommission des Bundes überprüft nun, ob das legal ist.

Der Hardhof hat schon vieles gesehen. Die Stadtvilla an der Hardstrasse, Höhe Sevogelplatz, beherbergte schon Basler Industrielle und die Uhrenmarke Ebel. Seit November nun wehen vor dem Prachtsgebäude die Fahnen eines neuen Mieters, «genes-x» steht auf den leuchtend grünen Stoffbahnen. «Genes-x» ist ein Tessiner Unternehmen, dessen Vision es ist, «eine neue Gemeinde von Genetikverbrauchern zu schaffen». Im Hardhof hat «Genes-x» nun einen Flagshipstore eingerichtet, eine repräsentative Basis, von der aus der Deutschschweizer Markt erobert werden soll.

Hinter «Genes-x» steht ein Tessiner Investor, der Anlegern in der Schweiz noch in unguter Erinnerung sein dürfte. Auf dem Höhepunkt der Biotechblase vollzog Fabio Cavalli mit seiner «Mondobiotech» den Börseneinstieg, das Unternehmen war mit astronomischen zwei Milliarden Franken enorm hoch bewertet. Nur wenige Jahre später dümpelte der Titel noch mit knapp zehn Millionen Franken vor sich hin, die Aktionäre verloren fast ihr gesamtes Geld. Gewinn erwirtschaftete das Unternehmen nie.

Cavalli hat das Geld mit beiden Händen ausgegeben, für einen Firmenjet etwa oder für das Sponsoring des ATP-Tennisturniers in Gstaad. Bereits die Mondobiotech hatte eine ihrer zahlreichen Niederlassungen im Hardhof. Gegenüber den Medien verglich Cavalli sein Unternehmen mit Google und Wikipedia. Bald darauf wurde er zuerst als CEO und dann als Präsident des Verwaltungsrates abgesetzt. Anfang 2013 wurde Mondobiotech schliesslich von einem italienischen Pharmaunternehmen geschluckt.

Man wäre gerne Google

Obwohl auf der Firmenwebsite von einer Eröffnung des Flagshipstores im Hardhof im Herbst 2013 die Rede ist, werden dort noch keine Kunden empfangen. Wir haben jedoch Glück, denn bei einem spontanen Besuch begegnen wir einem Herrn, auf dessen Visitenkarte «Senior Vice President» steht. Erfreut über das mediale Interesse, verspricht er uns noch für den gleichen Tag eine Führung. Wenige Stunden später zeigt uns der Herr das prächtige Gebäude, erklärt uns das Geschäftsmodell und die einzelnen Produkte. Wir füllen das Notizbuch mit Stichworten, die Speicherkarte mit Fotos und freuen uns über die Gesprächigkeit unseres Gastgebers. Noch.

Mehrere der grossen Räume sind vollgestellt mit bunten, bedruckten Kästen aus Aluminium, in zwei Reihen übereinander gestapelt. Die untere Reihe zeigt in verschiedenen Texten, Grafiken und Bildern die Entstehungsgeschichte des Internets mit Fokus auf Google. Parallel dazu zeigen die oberen Kästen, wie sich die Forschung zur menschlichen Genetik entwickelt hat, vom Human Genome Project zu 23andMe. Letztere ist eine amerikanische Firma, die den Gentest via Internet marktfähig gemacht hat.

«Genes-x» will Google sein, das wird schnell klar. Unser Gastgeber folgt in seiner Argumentation den Alukästen, er zieht Parallelen von der Informationstechnologie zur Genetik. Man wolle die Erkenntnisse der Wissenschaft möglichst allen zur Verfügung stellen. Ein aufklärerischer Anspruch also? Zumindest im Sinne einer Aufklärung künftiger Käufer. Denn in der breiten Bevölkerung sei das Wissen um die Vorzüge der Genetik noch nicht vorhanden, so der Gastgeber. Die Nachfrage nach dem angebotenen Produkt muss also erst noch geweckt werden.

Wir werden später sehen, dass diese Beurteilung für die zweite Anwendung von «genes-baby», das «infant screening», nicht gilt. Wie schon bei den Lifestyle-Tests werden dort Speichelproben eingeschickt. Allerdings wird die DNS der Neugeborenen daraufhin nicht auf die Eignung für unterschiedliche Sportarten untersucht, sondern auf Genmutationen, bei denen man davon ausgeht, dass sie bestimmte Erkrankungen nach sich ziehen. Das «infant screening» umfasst insgesamt acht genetische Defekte, darunter Herzkreislauf- und Stoffwechselkrankheiten. Der Gastgeber hat auch hierzu ein Beispiel parat: Er erzählt von einer Stoffwechselkrankheit, bei der die Betroffenen zu viel Eisen speichern. Diese Hämochromatose könne man mit dem «infant screening» nachweisen.

 

Wir setzen die Führung durch das obere Stockwerk fort und verabschieden uns bald darauf von unserem Gastgeber. Noch in der gleichen Nacht erreicht uns eine E-Mail, sämtliche Aussagen seien zurückgezogen. Weisung von oben.

Also rufen wir an, dort oben. Luigi Visani ist ein italienischer Unternehmer und CEO von «Genes-x». Leider hat er keine Zeit und bittet, von einer Publikation abzusehen. Wenn es denn sein müsse, sollen wir unsere Fragen schriftlich schicken. Die Antworten werden auf sich warten lassen.

Ein Gespräch mit dem Genetiker Peter Miny in seinem Labor beim Felix-Platter-Spital: Auf das von «Genes-x» angebotene «infant screening» reagiert Miny weit weniger gelassen als auf die Lifestyle-Sparte. «Genetische Untersuchungen von Neugeborenen auf Vorrat sind völliger Unsinn», sagt er. Aus medizinischer und ethischer Sicht sei es problematisch, Untersuchungen durchzuführen, ohne dass Symptome vorliegen.

«Mit diesem Produkt bewegt sich «Genes-x» nicht einmal mehr in der Grauzone, das ist komplett daneben.»

Peter Miny, Genetiker

Dies gelte insbesondere bei Neugeborenen, wie Miny erklärt, denn das Gesetz über genetische Untersuchungen am Menschen (GUMG) sehe ein «Selbstbestimmungsrecht der betroffenen Person» vor. Weiter steht dort, dass urteilsunfähige Personen nur dann einer genetischen Untersuchung unterzogen werden dürfen, wenn diese «zum Schutz ihrer Gesundheit notwendig ist». Für Miny ist der Fall klar: «Mit diesem Produkt bewegt sich «Genes-x» nicht einmal mehr in der Grauzone, das ist komplett daneben.»

Ausgerechnet das von unserem Gastgeber bei der Führung durch den Hardhof herbeigezogene Beispiel der Hämochromatose liefert Miny die nächste Steilvorlage, das «infant screening» zu kritisieren. «Diese Krankheit tritt erst im Erwachsenenalter auf, ein Neugeborenes ohne Symptome darauf zu testen ist unsinnig.» Ausserdem sei die genetische Untersuchung noch nicht einmal die Methode erster Wahl, um diese Erkrankung zu diagnostizieren, wie Miny erklärt. Denn nur weil der entsprechende genetische Defekt vorliege, bedeute das noch nicht, dass die Krankheit auch ausbreche.

Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) beurteilt diese Frage ähnlich wie Miny: «Die Abklärung der Veranlagung für Krankheiten, die erst im Erwachsenenalter ausbrechen, bereits im Kindesalter ist für die Gesundheit des Kindes aus der Sicht des BAG nicht notwendig und deshalb im Rahmen eines Baby-Tests nicht zulässig.»

Es erstaunt, dass ein Unternehmen in der Schweiz so ohne weiteres medizinische Produkte verkaufen kann, deren Zulässigkeit unter Fachleuten derart umstritten ist. Das BAG gibt die Verantwortung weiter. Es liege in der Verantwortung des behandelnden Arztes zu entscheiden, ob eine bestimmte Untersuchung medizinisch notwendig sei. Genes-CEO Visani wird später einer ganz ähnlichen Argumentation folgen.

Bundesrätliche Expertenkommission will «Genes-x»-Produkte überprüfen

Neben seiner Tätigkeit für das Unispital ist Miny auch Mitglied der Expertenkommission für genetische Untersuchungen am Menschen, die den Bundesrat in Fragen der Genetik berät. Diese Kommission hat zudem die Aufgabe, die Angebote auf dem Markt auf ihre Zulässigkeit zu überprüfen. «Bei unserer nächsten Sitzung werde ich das ‹infant screening› von ‹Genes-x› im Gremium zur Diskussion stellen», kündigt Miny an. Damit will er eine gründlichere Untersuchung der angebotenen Gentests erreichen und insbesondere überprüfen, ob «Genes-x» damit gegen das Gesetz verstösst.

«Genes-x» wäre nicht das erste Gendiagnostik-Unternehmen, das in Konflikt mit Behörden gerät. Der obenerwähnte Branchenführer 23andMe musste eben erst die Geschäftstätigkeit vorübergehend einstellen, weil die zuständige Aufsichtsbehörde Belege für die Aussagekraft der angebotenen Tests verlangte.

Es vergehen Tage und Wochen, bis im Maileingang endlich eine Nachricht von Visani auftaucht. Wir schickten einen umfangreichen Fragenkatalog. So wollten wir beispielsweise wissen, in welchem Labor «Genes-x» die genetischen Untersuchungen durchführen lässt, wie viele dieser «genes-baby»-Gentests schon verkauft worden sind und wann «Genes-x» das Geschäft in Basel für die Kunden öffnen werde. Weiter konfrontierten wir Visani mit dem Urteil des Genetik-Experten Miny.

Die Antworten fallen spärlich aus (die vollständige, englischsprachige Stellungnahme Visanis findet sich auf der Rückseite dieses Artikels). Mit «genes-baby» gerate man weder mit dem Gesetz noch mit ethischen Werten in Konflikt, da die Tests ausschliesslich auf ärztliche Verschreibung durchgeführt würden, schreibt Visani. Die Produkte sind jedoch problemlos über den firmeneigenen Internetshop erhältlich.

Zu den Labors schreibt Visani einzig, dass diese sämtliche erforderlichen Bewilligungen hätten und Qualitätsstandards erfüllen würden. Weiteren Fragen, beispielsweise zum Geschäfts- und Vertriebsmodell von «Genes-x», bleiben ohne Antwort.

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