«Geradeaus durchs Eisweglein» – eine Basler Stadtwanderung nach Anleitung

Seit wenigen Tagen hat Basel einen neuen Stadtführer: «Wandern in der Stadt Basel». Wir haben eine Route probegewandert und festgestellt: Das mit dem «Wandern» meinen die Autoren durchaus ernst.

Eine indische Frau lässt sich von einem Profi-Fotografen ablichten. Ein Hochzeitsfoto?

(Bild: Tino Bruni)

Es fühlt sich schon etwas eigenartig an. Als Ausgangspunkt für einen Spaziergang ist mir der Margarethenpark an und für sich vertraut. Doch jetzt blättere ich in einem Buch, damit uns der richtige Einstieg in unsere heutige Route gelingt – während andere Spaziergänger unbeschwert an uns vorbeischlendern. «Nach der Kunsteisbahn geradeaus durchs Eisweglein», steht da. Ich studiere, schaue, blättere, studiere. Und die anderen, die schauen mich schon etwas blöd an, oder? Ich fühle mich jedenfalls wie ein Tourist in meiner eigenen Stadt.

In meinen Händen halte ich den brandneuen Stadtführer «Wandern in der Stadt Basel». Mit seinen 304 Seiten ist dieser etwa so schwer wie der Regenschirm, den ich spontan zuhause liegen lassen durfte, weil das Wetter einmal mehr nicht den Prognosen gehorchte. Zum Glück.

» Die Qualitäten des Stadtführers im Überblick

Hätte ich das jedoch gewusst, es wäre mir wohl leichter gefallen, überhaupt erst eine der 17 Routen auszuwählen, die der Stadtführer im Klappentext vorschlägt. Denn so ist es bereits früher Nachmittag und die Wahl fast noch schwieriger als in einem schicken Restaurant, auf dessen Karte alle besonders interessanten Menüs eigentlich mein Budget sprengen.

Grosszügig ausgelegtes Stadtgebiet

In diesem Fall liegt der Preis pro Route oft bei über dreieinhalb Stunden. Für die Tour «Rund um den Kanton Basel-Stadt» sind sogar elf Stunden veranschlagt. Das mit dem «Wandern» nehmen die Autoren Iris Kürschner, Michael Koschmieder und Freddy Widmer offensichtlich ernst. Und so bedeutet «in der Stadt» für sie denn auch grosszügig: «Anlauf nehmen im Elsass, im Markgräfler Land, im Birseck und im Leimental».

Wir also nehmen zögerlich Anlauf bei der «Kunsti». Nachdem wir endlich auf die Idee gekommen sind, dass man sich ja in der Region befindet und daher ungefähr weiss, von wo aus ein Bus, Tram oder Zug wieder nach Hause fährt, haben wir beschlossen, eine der Routen einfach abzukürzen. Das hat uns schliesslich auf den letzten Abschnitt der 11-Stunden-Tour um Basel geführt, die beim Birskopf enden soll. Kostenpunkt: 2 h 45.

Auf dem Gipfel angekommen: Von der «Kunsti» bis zum Wasserturm, das sind immerhin 85 Höhenmeter.

Folgt man dem Wanderführer Wort für Wort, ist es gar nicht so leicht, zum Wasserturm zu gelangen. (Bild: Tino Bruni)

Das Eisweglein haben wir inzwischen gefunden. Dass der Wasserturm unser erstes Zwischenziel sein soll, hätten wir uns denken können. Doch wie wenn man eine Spaghetti-Tomatensauce plötzlich nach Rezeptbuch kochen würde, begleitet uns mit dem Stadtführer zu Beginn stets das Gefühl, wir könnten etwas falsch machen. Das führt dazu, dass wir unser Geplauder, das nun mal zu so einem Ausflug gehört, immer wieder mit Fragen unterbrechen müssen: Haben wir die Abzweigung in die Arbedostrasse bereits verpasst?

Haben wir natürlich. Also wieder zurück.

Für einen Augenblick wünsche ich mir einen Stadtführer herbei, der sich an meinem überaus geschätzten Kochbuch «Die echte Landküche» ein Vorbild nimmt, und so wunderbare Anweisungen schreibt wie: «Einen kräftigen Schluck Rotwein dazugiessen», «eine Handvoll Kräuter aus dem Garten beigeben» oder halt einfach «zum Wasserturm hochgehen».

Etwas viel Asphalt

Unser Ärger hält sich aber in Grenzen. Denn zum einen verstehen wir, dass die Autoren auch denen gerecht werden wollen, die sich auf dem Bruderholz überhaupt nicht auskennen, zum andern haben wir uns auch nicht allzu übel verlaufen. Dennoch beschliessen wir, fortan die Wegangaben eher als Inspiration zu lesen und weniger als zwingend zu befolgende Anweisungen. In anderen Worten: Wir wandern so, wie wir eine Spaghetti-Sauce kochen würden.

Felder, (kleine) Bergketten, Wanderwege: Was will man mehr?

Spätestens mit diesen Schildern ist klar: Das wird hier kein Spaziergang. (Bild: Tino Bruni)

Von da an verläuft unsere Wanderung und Plauderei ruckelfrei. Unter frühherbstlichem Sonnenschein passieren wir die Felder auf dem Predigerhof, die uns freundlicherweise sogar einen Apfel spendieren, biegen dann in Richtung Reinacherstrasse ein, wo uns jäh die, nun ja, nennen wir es Ästhetik der Übergangszone zwischen Münchenstein und Basel mit einem McDonald’s Drive-In sowie einem aggloüblich verzierten Verkehrskreisel empfängt.

In der Tat ein «drastischer Kontrast»: Eben noch haben wir das Panorama auf dem Predigerhof bestaunt und uns gefragt, warum wir, wenn wir im Ausland jemand kennenlernen, gerne behaupten, Basel sei ganz unschweizerisch und überhaupt nicht von Bergen umgeben. Und im nächsten Moment befinden wir uns schon auf der Reinacherstrasse, wo bloss eine Blechlawine rollt und man sofort vergisst, wie nahe jene anderen Stadtlandschaften doch sind.

Abwechslung ist auf dieser Route garantiert. Das kann man spannend finden. Muss man fast.

Abwechslung ist auf dieser Route garantiert. Das kann man spannend finden. Muss man fast. (Bild: Tino Bruni)

Der nächste Streckenabschnitt bis zum St.-Jakob-Park gehört denn auch nicht zu den Höhepunkten unserer Tour. Aber, wenn man zuletzt nicht oft auf dem Dreispitz-Areal gewesen ist, sind die Wandlungen vor Ort doch ziemlich beeindruckend. Trotzdem sind wir froh, als wir endlich an der Birs ankommen und zum ersten Mal seit dem Start etwas anderes als Asphalt unter die Füsse bekommen.

Eine Lektüre, leicht wie ein Spaziergang

Nach ziemlich exakt 2 Stunden und 45 Minuten setzen wir uns zum Schluss kurz vor dem Birskopf auf ein Bänklein im Halbschatten und lassen unsere Wanderung Revue passieren, indem wir Freddy Widmers ausführlichen Beschrieb derselben nachlesen. Was für ein Genuss!

Seine Sätze sind oft nur um weniges kürzer als seine Wandervorschläge. Aber mit einer Leichtigkeit geschrieben, dass wir unbedingt wissen wollen, welche Rückschlüsse er von den wohlgenährten Katzen auf dem Bruderholz auf die Menschen dort zieht. Oder wie der Dreispitz vom einstigen «Schlupfwinkel für Vaganten» zum «pulsierenden Stadtteil» und einem «der wenigen Felder» geworden ist, «auf denen die Zusammenarbeit zwischen BS und BL wirklich zügig funktioniert».

Die teils prächtigen Villen auf dem Bruderholz können auch zum Sterben langweilig sein. Wenn man hier leben muss. Besagt eine traurige Anekdote aus dem Wanderführer.

Viele Villen, wenige Menschen: das behagliche Bruderholz. (Bild: Tino Bruni)

Wir erinnern uns, dass auch wir zwischen den teils prächtigen Villen und Gärten auf dem Bruderholz «auffallend wenigen Menschen» begegnet sind. Die «Behaglichkeit», die im frühen 20. Jahrhundert eine junge Autorin namens Lore Berger offenbar buchstäblich zu Tode gelangweilt hat, sie ist wieder spürbar, wenn man Widmers Text zur Route liest.

Überhaupt kommt es uns so vor, als hätten wir durch die Lektüre nochmals eine zweite Wanderung gemacht. Eine, die uns mal mit einer «Zeitmaschine» in die Geschichte der Familie Merian führt oder mit einem «Seitenblick» in die Muttenzer Kurve, die sich seit der «Schande von Basel» im Mai 2006 so stark gewandelt habe, dass sie heute «das schönste (unausgesprochene) Kompliment» verdiene: «Die anderen Schweizer Spitzenvereine wünschten sich wohl, sie hätten auch so eine.»

Steaks vom eigenen Grill

Wieder zu Hause, sind wir erschöpft, aber auch zufrieden mit unserer kontrastreichen Wanderung. Auch wenn wir uns mit dem Stadtführer zu Beginn etwas schwer getan haben, hat er uns doch einen schönen Tag beschert. Und einen nicht minder gemütlichen Abend. Im Unterschied zu einem Wochenende in den Bergen mussten wir uns nicht um die Reservation eines Hotels oder Tischs kümmern.

Wir werden im eigenen Bett schlafen, essen auf dem eigenen Sitzplatz und schmeissen einfach ein paar Steaks auf den Grill. Als Beilage gibts selbstgemachte Antipasti und Ofenkartoffeln mit Kräutern aus dem Garten. Ein Rezept dazu benötigen wir nicht. So etwas nehmen wir wohl erst wieder in die Hand, wenn wir uns auf die nächste Stadtwanderung machen.

Die Qualitäten des Wanderführers im Überblick

Usability: Der Stadtführer «Wandern in der Stadt Basel» ist mit einem Gewicht von rund einem halben Kilo im wörtlichen Sinne erträglich. Allerdings passt er aufgrund seines Formats (etwas kleiner als A5) nicht in die Wanderhosentasche. Dafür finden aufmerksame Wanderer den Weg mit dem Beschrieb problemlos, auch wenn sich die abgebildeten Karten lediglich zur groben Orientierung eignen. Auf Kartenmaterial zum Herunterladen haben die Herausgeber verzichtet. Ein Buchzeichen an der entscheidenden Stelle tut es jedoch auch. So kann man das Handy auch mal einfach zu Hause lassen.

Umsetzung: 304 Seiten für 17 Stadtwanderungen wirken auf den ersten Blick etwas erschlagend. Das scheint auch den Autoren bewusst zu sein, wenn sie durchaus mit einem Augenzwinkern schreiben, dass sie «so manches Mal bedauert» hätten, «dass ein Text auch einmal fertig sein muss». Doch genau mit diesen Texten hebt sich der Führer auch ab von anderen. Sie kommen frisch und leicht daher und überraschen mit Details und Anekdoten, sodass man auch mal gerne zum Tourist in der eigenen Stadt wird. Gut ausgewählte Fotografien und ein ansprechendes Layout rechtfertigen zudem, dass für den Führer kein hosensacktaugliches Format gewählt wurde.

Routen: Der Entscheid, sich auf 17 Routen zu begrenzen, stellt sich am Ende als der richtige heraus, auch wenn dadurch die Gehzeiten zum Teil fast schon erschreckend lange ausfallen. Denn wären dieselben Routen schon im Inhaltsverzeichnis auf mehrere, dafür kürzere Teilabschnitte aufgeteilt worden, fiele die Routenwahl womöglich fast so schwer, wie wenn man in einem weniger schicken Restaurant aus mehreren Dutzend Menüs eines auswählen müsste. So weiss man wenigstens schon mal die Richtung, die man einschlagen möchte. Kürzungsmöglichkeiten sind durch die günstige ÖV-Situation rund um die Stadt jederzeit möglich. Zur Routenauswahl lässt sich nach einer gewählten Wanderung kein abschliessendes Urteil fällen. Was sicher ist: Man darf sich auch als regelmässiger Stadtwanderer auf neue Gegenden freuen, muss sich aber auch auf einige Kilometer Asphalt einstellen. Letzteres liegt aber in der Natur von Stadtwanderungen und weniger am Buch.

Fazit: Der Stadtführer «Wandern in der Stadt» mit seiner grosszügigen Auslegung dessen, was alles noch zur Stadt gehört, inspiriert dazu, gewohnte Wege zu verlassen, vielleicht ein wenig genauer hinzuschauen, wo man sich befindet, und er macht dies mit einer ansteckenden Freude an der Sache. Für diejenigen, die in Basel zu Hause sind, ist der Stadtführer vergleichbar mit einem Kochbuch für einfachere Speisen: Man braucht ihn nicht zwingend, ist aber mit Sicherheit immer mal wieder froh darum, dass man ihn hat. Insofern ist er auch mehr als nur Verlegenheitsgeschenk für jemanden, der frisch hierher gezogen ist. Man darf ihn sich mit gutem Gewissen auch einfach für sich selber kaufen.

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Wandern in der Stadt Basel, Rotpunktverlag, 304 Seiten. Kaufpreis: 39.90 Franken.

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