Tausende Flüchtlinge suchen Schutz in Europa. Unser Korrespondent begleitet sie auf ihrer Route von Griechenland nach Zentraleuropa. Fünfter und letzter Teil.
Aachen, Freitag, 5. September, 3 Uhr: In den frühen Morgenstunden komme ich zu Hause an. Ich fühle mich müde und geschlaucht. Für eine normale Autofahrt von Athen nach Aachen sind knapp 2.700 km Distanz zu veranschlagen, mein Tacho zeigte am Ende der Reise ungefähr 3.650 km mehr als bei der Abfahrt. Schließlich bin ich an vielen Etappenzielen das Umfeld auf der Suche nach Flüchtlingen abgefahren. Mehrere Grenzen habe ich hin- und wieder zurück überquert, statt zwei war ich mehr als vier Tage unterwegs.
Das alles ist aber nichts im Vergleich zu den drei, vier oder fünf Wochen, welche die Flüchtlinge unterwegs sind. Lediglich im provisorischen Flüchtlingsbahnhof von Gevgelija traf ich durch Zufall auf einen der Flüchtlinge, den ich zuvor, vom 15. bis 18. August, auf Kos gesehen hatte. Von all den anderen, mit denen ich Telefonnummern austauschte, fehlt noch jede Spur. Es beruhigt mich, dass einige Handys abgeschaltet sind. Das lässt hoffen, dass sie es zumindest in ein weiteres Land geschafft haben.
An jeder Grenze versuchen die Flüchtlinge, für das jeweilige Land gültige Prepaid-Sim-Karten zu erwerben. Das hat sich vor allem bei den Mobilfunkbetreibern herumgesprochen. Überall dort, wo sich Flüchtlinge sammeln, stehen meist junge Frauen in Firmenkleidung und unzähligen Sim-Karten im Angebot.
Die geschulten, auf Provisionsbasis schuftenden jungen Menschen haben es selbst in Eidomeni an der Grenze zu Mazedonien geschafft, griechische Sim-Karten und Prepaidpakete für das Telefonieren im Ausland zu verhökern. Längst ist der so genannte Flüchtlingsstrom zu einer Einnahmequelle für Geschäftemacher geworden, nicht nur für die Schleuser.
Ich habe auf meiner Reise durch Griechenland für Wasserflaschen mit einem halben Liter Inhalt an Kiosken oder Autobahnraststätten jeweils 0,50 Euro gezahlt, so schreibt es ein griechisches Gesetz vor. Den Flüchtlingen wurden jedoch oft zwei Euro abgeknöpft. Und die Taxifahrer kassieren überall gern Pauschalpreise pro Kopf statt nach Tarif abzurechnen.
«Hilfe wird den Menschen vor allem durch solidarische Bürger und Hilfsorganisationen zuteil.»
An allen Orten war ich dank meiner Euros und dem passenden Reisepass ein gern gesehener Kunde. Die Flüchtlinge hingegen werden als vogelfrei betrachtet. Zahlreiche von ihnen hatten in Ungarn gültige Tickets für eine Weiterfahrt per Zug erworben. Sie wurden polizeilich am Reiseantritt gehindert, bekamen die Fahrtkosten jedoch nicht zurückerstattet.
Hilfe wird den Menschen in allen Ländern vor allem durch solidarische Bürger und nationale oder internationale Hilfsorganisationen zuteil. Sowohl in Griechenland, als auch in Mazedonien und Ungarn müssen die Flüchtlinge unter katastrophalen hygienischen Bedingungen leben. Ich konnte jedoch überall beobachten, dass sie sich auch unter den unmöglichsten Bedingungen um Körperhygiene bemühen.
Und sie haben es durch ihre Entschlossenheit geschafft, die zögerliche griechische Regierung dazu zu bringen, sie mit Schiffen von den Inseln aufs Festland zu bringen. An der griechisch-mazedonischen Grenze gaben sie trotz Stacheldraht und Tränengas nicht auf. Auch hier erreichten sie, dass der Staat Sonderzüge einsetzte. Offenbar gelingt Ähnliches nun auch in Ungarn.
Dass das an allen Orten mit Fotos, Videos und dem Druck der Öffentlichkeit geschah, macht mir Mut. Dass an der türkischen Küste nach jüngsten offiziellen Angaben immer noch hunderttausende Menschen warten, und dass die Passage übers Meer im Herbst immer gefährlicher wird, macht mir Angst.
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Teil 1: Von Griechenland nach Österreich: Auf der Route der Flüchtlinge
Teil 2: «Es ist Irrsinn: Zwei Bäume als Tor nach Europa für 20’000 Menschen am Tag»
Teil 3: «Geld für die Fahrkarte haben wir, aber nehmen die uns mit?»
Teil 4: Flucht nach Europa: «Germany! Germany!»
Teil 5, Schluss: Haben Sie soeben gelesen.