Auf der Sondermülldeponie der Basler Chemie im jurassischen Bonfol kamen Arbeiter im Sommer 2010 mit krebserregendem Benzol in Kontakt. Die Verantwortlichen bestätigen Informationen der TagesWoche, wonach die Schutzanzüge nicht dicht waren. Kritik gibt es an der Informationspolitik der Aufsichtsorgane.
Der Lehm von Bonfol gibt seine Geheimnisse nur Baggerschaufel für Baggerschaufel preis. In der früheren Deponie der Basler Chemie schlummert ein hochtoxischer Cocktail, mindestens 114’000 Tonnen Chemieabfälle insgesamt. Doch welche Gifte in welchen Mengen vorhanden sind, welche Gefahren unter der Erde lauern, weiss keiner so genau. «Niemand kann mir sagen, was wir morgen dort finden werden», sagt Jean Parrat, Arbeitshygieniker des Kanton Jura und zusammen mit der Suva für die Sicherheit der Arbeiter verantwortlich.
Parrat steht im Fokus einer Sicherheitsdebatte, in deren Kern die Frage steht, ob Arbeiter mit ungenügenden Schutzanzügen in die Giftgrube geschickt wurden. Aufgeworfen hat die Frage der Basler Altlastenspezialist und dezidierte Kritiker der Basler Chemie Martin Forter. An der letzten Sitzung der Commission d‘ Information et de Suivi, einer Vereinigung der wichtigsten Anspruchsgruppen rund um die Deponiesanierung, brachte Forter die Vorfälle ans Licht. Forter waren Informationen zugespielt worden, wonach Arbeiter im Sommer 2010 mit krebserregendem Benzol in Kontakt gekommen sind. Das hätten Tests ergeben, deren Ergebnisse nie veröffentlich worden seien, sagte Forter. «Warum haben wir nicht davon erfahren?», wollte er wissen. Eine Antwort habe er nicht erhalten.
Ungenügend geschützt
Eine Quelle (Name der Redaktion bekannt), die nahe am Projekt ist, weiss über die Vorfälle detailliert Bescheid: «Im Sommer 2010 wurde festgestellt, dass die Schutzanzüge im Lot B nicht genügen. Es wurden im Innern der Anzüge Benzol-Mengen nachgewiesen, die die Arbeiter hätten belasten können.» Die Benzoldämpfe, Hinterlassenschaften aus der Lösungsmittelherstellung, drangen nahezu widerstandsfrei durch die Anzüge. «Nach anderthalb Stunden betrug die Konzentration die Hälfte der Aussenluft, nach drei Stunden waren Aussen- und Innenluft gleich stark belastet.» Die Arbeiter standen wortwörtlich im Giftnebel.
Der kantonale Arbeitshygieniker Parrat räumt diese Funde ein. Die Benzol-Menge habe aber weit unter den Grenzwerten gelegen. «Toxikologisch bedeuten die Funde sehr, sehr wenig», behauptet Parrat. Sie bedeuten aber zumindest, dass auch andere Gifte den Weg in den Schutzanzug gefunden haben: Benzol gilt als Leitsubstanz, wo man es nachweisen kann, dürften auch andere mitunter deutlich gefährlichere Gifte vorkommen. Parrat bestätigt das: «Wir haben auch andere Substanzen gefunden.» Die Konzentrationen seien wiederum gering gewesen.
Durch die Haut
Über die Innenluft im Schutzanzug drang das Benzol über die Haut in die Arbeiter ein. Die Quelle sagt, es habe daraufhin Urin-Kontrollen gegeben, bei denen «wahnsinnige Peaks» festgestellt worden seien. Seine Schlussfolgerung: «Das Ziel, eine Gesundheitsgefährdung der Arbeiter auszuschliessen, wurde verfehlt.»
Parrat und Bernhard Scharvogel, Mediensprecher der von Roche, Novartis und Konsorten eingesetzten Deponiebetreiberin BCI, dementieren diese Funde. Es habe zwischen dem Start der Aushubarbeiten anfangs April 2010 und einer Explosion auf dem Deponiegelände am 7. Juli, die den Betrieb länger stilllegte, keine solchen Urin-Tests gegeben.
Aber selbst wenn Benzol im Urin nachgewiesen werden kann, habe das nur eine geringe Aussagekraft, weil der Stoff auch beim Zigarettenkonsum oder Tanken aufgenommen wird. Deshalb habe man im September 2011 auch beschlossen, Benzol aus dem Bio-Monitoring, einem Testprogramm, das Blut- und Urinwerte der Arbeiter kontrolliert, zu entfernen.
Zweifel am Vorgehen
Die Quelle bezweifelt, dass das ein richtiger Entscheid war: «Es hat nie eine Kontrollgruppe gegeben, mit der erhöhte Benzolwerte abgeglichen wurden, um festzustellen, ob sie von der Deponie stammen oder von woanders.» Parrat bestätigt das. Seine Begründung: Auch Kontrollgruppen würden kaum verlässliche Werte liefern. Die Benzolbelastung sei individuell zu verschieden.
Aufschlussreicher, um das Verhalten der Behörden und Deponiebetreiber beurteilen zu können, ist die Frage nach den Schutzanzügen: Warum wurden die Arbeiter mit ungenügenden Anzügen auf den toxischen Müllhaufen geschickt? Immerhin vergingen mehrere Wochen, bis die Messungen durchgeführt wurden. Parrat sagt dazu: «Es gibt nie einen hunderprozentigen Schutz. Es waren aber sehr gute Anzüge, die wir gewählt haben.» Man habe schlicht nicht gewusst, was für Stoffe in der Deponie lauern. Man habe aber sofort reagiert, als rauskam, dass sie durchlässig sind.
Mittlerweile werden die Schutzanzüge mit Frischluft gespült, um die Gifte rauszuwaschen. Ausserdem würden solche Anzugmessungen sonst nirgendwo durchgeführt. Nicht auf der Sondermülldeponie in Kölliken, nicht in den Chemiewerken am Rhein. «Wir tun alles dafür, dass die Arbeiter keinem Risiko ausgesetzt sind», versichert Parrat.
Es bleibt der Vorwurf der Vertuschung, da die Benzolfunde nicht öffentlich gemacht wurden. Unsere Quelle und Martin Forter sagen: «Hier wird versucht, etwas zu verheimlichen.» Der jurassische Arbeitshygieniker Jean Parrat sagt: «Wir haben die Arbeiter informiert. Weitergehen wollten wir nicht, weil uns der Fund schlicht als zu unbedeutend erschien. Es gibt tausende Messungen in Bonfol und viele Werte, die besorgniserregender sind.» Er wolle nun aber an der nächsten Kommissionssitzung im Juni umfassend über die Benzolgeschichte informieren.