Hansruedi und Doris Suter sind untypische Gärtner – aber treue. Wie 22 400 andere Basler stimmten sie für den Erhalt der Familiengärten.
S-p-i-n-a-t. In gut sichtbaren Buchstaben hatte er die Samenkörner ausgelegt. Und so wuchs er dann auch, der Spinat. Jeder konnte lesen, um welches Gemüse es sich in diesem Beet handelte. Vierzig Jahre ist das nun her. Spinat pflanzen Hansruedi (77) und Doris Suter (76) inzwischen keinen mehr an. Im Garten aber, da sind sie immer noch gern. Oder besser: wieder.
Das Paar ist der Beweis, dass «Schrebergärtner» entgegen dem Klischee keine Spiesser sein müssen. Und dass ein Garten ohne Schweizerfahne auskommen kann. Und und und. Aber alles der Reihe nach. Es begann 1972.
Stadtentwicklung als Fremdwort
Auf dem Feld neben dem Familiengarten-Areal Bruderholz in Binningen an der Grenze zu Basel standen Dutzende Kirschbäume. Die vier Kinder von Doris und Hansruedi Suter waren keine Babys mehr, zum Teil schon Teenager. Die Wohnung aber, die blieb klein. Es war Zeit für ein Stück Freiheit. Die Familie übernahm einen Schrebergarten und die Verantwortung für das Beizli und den Verkauf von Dünger, Bast und anderem Gartenbedarf auf dem Areal.
Das Wort Stadtentwicklung gab es noch nicht. Vielleicht sprachen Architekten im stillen Kämmerlein davon. Schrebergärtner aber hatten mit Stadtentwicklung nichts am Hut. Warum auch? Verdichtetes Wohnen war kein Thema. Als Hochhaus galt ein Gebäude, das die Nachbarshäuser überragte.
Pächter von Familiengärten mussten nicht um ihr Stück Freiheit bangen. Sie mussten es richtig bewirtschaften, mit genügend Gemüse und ohne Rasen; sie hatten sich an die Regeln des Vereins zu halten. Angst, dass ihr Garten Neubauten weichen muss, mussten sie aber keine haben. Ein Garten war ein Stück Heimat für die Ewigkeit.
Olivenbäume und Felder
Mai 2011. Die Basler stimmen über die Familiengarten-Inititative und den Gegenvorschlag dazu ab. Hansruedi Suter verfolgt die Debatte in den Medien. Er will den Gegnern der Initiative nicht so recht abnehmen, dass sie Wohnraum für Menschen mit niedrigem Einkommen schaffen wollen und stimmt Ja für den Gegenvorschlag und damit für den Erhalt der meisten Gärten. «Für viele Familien wäre es schlimm, würde man ihnen den Garten wegnehmen. Sie haben einen grossen Teil ihres Lebens dort verbracht.» Ganz im Gegensatz zu seiner Frau und ihm.
1986 wandern Doris und Hansruedi Suter nach Italien aus. Von ihrer Wohnung aus sehen sie Olivenbäume und Felder. Aus Altersgründen kommen sie 2004 zurück in die Schweiz. Hier ist die Wohnung wieder klein. Und die Natur fern.
Doris Suter verbringt viel Zeit bei einer Freundin im Familiengarten. Sehnsüchtig schaut sie zu ihrem ehemaligen Garten gegenüber. «Ich wollte wieder einen pachten, aber nicht irgendeinen – sondern wieder diesen.»
Gemüse im Laden günstiger
Als ob das so einfach wäre. Neulich starb der älteste Gärtner auf dem Areal. Er pflegte sein Gärtchen seit 1959. Die meisten Familiengärtner geben ihr Pachtland nur ab, wenn es gute Gründe gibt. Als das Ehepaar Suter im Süden lebte, bewirtschaftete ein Maurer ihren ehemaligen Garten. Er baute einen Brunnen, eine Aussenküche, vollendete das Holzhaus, das Doris und Hansruedi Suter einst selber gebaut hatten.
Da sass sie also und bewunderte das Stück Land, das sie einmal pflegte. Beobachtete, wie ehemalige Gemüsegärtner Blumen pflanzen, weil Gemüse im Laden heute günstiger ist als im Eigenanbau. Und wie die Gärtner Dünger anschleppen. Sah zu, wie Migrantenfamilien einziehen und ebenfalls Schweizerfahnen hissen. Wie Fertighäuser angeliefert werden und ihr ehemaliges Haus herausragt. Und wünschte sich ihren Garten zurück.
Diagonal angeordnete Blumen
Dann passierte das kleine Wunder: Der Pächter gab den Garten ab. Das Ehepaar Suter bewarb sich und bekam zurück, was es zwanzig Jahre zuvor verlassen hatte.
Wo früher Kirschbäume blühten, weiden Kühe auf einem baumlosen Feld. Es fliegen mehr Flugzeuge über das Areal. Sonst ist vieles, wie es war.
Im Winter gehen Suters kaum in den Garten, im Sommer umso mehr. Sie feiern ihre Geburtstage hier, die ihrer Kinder und Enkel. Für das Clubbeizli sind andere Pächter verantwortlich. Doris und Hansruedi haben die Zeiten hinter sich, in denen sie sackweise Würste für Salat in den Garten trugen.
Im Sommer fällt ihr Platz wieder aus der Reihe. Die Sonnenblumen sind diagonal angeordnet. Für den entsprechenden Schriftzug hätte das Rasenstück aber kaum gereicht.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 30/12/11