Helge Schneider – wenn es ihn nicht schon gäbe, müsste er sich erfinden

Der Mann ist ein Gesamtkunstwerk: brillanter Multiinstrumentalist, moderner Dadaist, genialer Parodist und sympathischer Clown. Jetzt wird Helge Schneider, der einfallsreiche Jazzmusiker aus Mülheim an der Ruhr (D), 60 Jahre alt.

Begeistert mit seinem unverwechselbaren Stil: Helge Schneider.

Der Mann ist ein Gesamtkunstwerk: brillanter Multiinstrumentalist, moderner Dadaist, genialer Parodist und sympathischer Clown. Jetzt wird Helge Schneider, der einfallsreiche Jazzmusiker aus Mülheim an der Ruhr (D), 60 Jahre alt.

Er nahm seine Berufung immer schon ernst, aber nicht immer sich selber: Helge Schneider. Der talentierte Pianist hatte sich in den 1970er-Jahren als klassischer Musiker durchzuschlagen versucht. Doch die Lust auf seriösen Jazz verging ihm bald, «weil ich lieber spielte als übte. Daher taugte ich nicht wirklich als Band- oder Studiomusiker», wie er uns in einem Gespräch vor einigen Jahren offenbarte.

Helge Schneider besann sich daher auf sein zweites Talent: seinen Sinn für Komik. Er begann, Konzerte mit Klamauk zu kombinieren, sein Aussenseitertum hervorzuheben. Ein gewagtes Unterfangen, denn zunächst war das Publikum zwar verdutzt, irritiert, aber vor allem auch selten dabei. Schneider tourte durch halbleere Clubs, mit kaum was in der Tasche ausser einem Führerschein.

Mit «Katzeklo» richtig durchgestartet

1984, da war er 29 und Vater einer Tochter, fuhr er für ein Engagement von Mülheim an der Ruhr nach München: «Ich hatte drei Soloauftritte. Am ersten Tag spielte ich vor vier, am dritten vor dreissig Leuten. Da hatte ich das Gefühl: Es geht bergauf.» Mit solch sympathischer Ironie schildert er die Anfänge seiner Karriere. Einer Karriere, die erst später wirklich als solche bezeichnet werden konnte. 1994 sang Schneider «Katzeklo», ein Lied, das nicht nur bei aller Dämlichkeit, sondern gerade auch wegen dieser hängen blieb und ihn durch einen Auftritt in «Wetten, dass…?!» im deutschsprachigen Raum bekannt machte. Ein «Hit».

Schon zuvor hatte Helge Schneider eine Platte mit dem Titel «Seine grössten Erfolge» veröffentlicht – was für seinen Humor sprach: Der Titel funktionierte als Parodie auf Schlager, enthielt aber auch eine selbstironische Note. Welche Erfolge? Die kamen, aber sie manifestierten sich primär live. Dort, wo Helge Schneiders Talente am furiosesten erlebbar werden.

Wortwitz und Hang zum Absurden

Denn es ist die Unberechenbarkeit, die den Multiinstrumentalisten auszeichnet: Gerne stellt er die Setliste der Songs spontan auf den Kopf, fordert so sich und seine Mitmusiker heraus – und ebenso das Publikum, das ihm an den Lippen hängt, miterlebt, wie er sich in einer erfundenen Geschichte verliert, voller Wortwitz, Wahnsinn und liebevollem Hang zum Absurden. Keiner imitiert so herrlich wortlos spanischen Flamenco oder rekapituliert pfeifend den Untergang der Titanic zu einer Western-Melodie. Keiner vor ihm – na gut, zumindest seit den Dadaisten – schrieb Bücher mit Titeln wie «Eiersalat – eine Frau geht seinen Weg» und drehte Filme, die die Welt wirklich nicht braucht. Keiner vor ihm wurde von Alexander Kluge öfter als Experte in Interviews eingespannt, keiner trug über perückengleichen Haaren eine weitere Perücke. Wildstrub die Frisur, abstrus der Humor, all das vereint mit einem Schuss Genie macht Helge Schneider zum Gesamtkunstwerk. Zum Kultwerk.

Auf ein einzelnes möchten wir uns bei seinem reichlich grossen Output gar nicht beschränken (okay, das 2004 erschienene Live-Album «Füttern verboten» ist ziemlich stark), sondern vielmehr seine nächsten Konzerte in der Schweiz empfehlen. Jenem unserem Land, dem er auch schon mal eine Improvisation kredenzt hat.

Ein Gesamtkunstwerk wie ihn muss man auf der Bühne erlebt haben. Unbedingt. Und wenn es ihn nicht schon gäbe, diesen Helge, dann müsste er sich neu erfinden.

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Dieser Text erschien erstmals vor Helge Schneiders Konzerten am 8./9. September 2014 in Zürich.
Damals, so hiess es, handelte es sich um Helges vorläufig letzte Schweizer Konzerte. Im März 2016 jedoch kehrt er bereits zurück – leider jedoch nicht nach Basel.

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