Hört mal auf mit diesem Wir-Denken!

Rocker oder Hip-Hopper? FCB oder FCZ? Christ oder Moslem? Knackeboul hat eine Wurzel menschlichen Übels entdeckt: das überhöhte Wir-Gefühl.

Schubladendenken ist nicht nur doof, es ist auch noch gefährlich.

(Bild: Nils Fisch)

Rocker oder Hip-Hopper? FCB oder FCZ? Christ oder Moslem? Knackeboul hat eine Wurzel menschlichen Übels entdeckt: das überhöhte Wir-Gefühl.

Die Outgroup ist in. Schubladendenken grassiert. Identifikation des Selbst durch Abgrenzung gegenüber dem Anderen, das hat Hochkonjunktur. Nur nicht sein wie die anderen! Die Ausländer, die Armen, die Sozis, die Bonzen, die Linken, die Rechten.

Es ist unglaublich, wie oft ich mit In- und Outgroup-Denken konfrontiert bin. Wenn ich mich sogenannt politisch äussere, werde ich als Linker abgestempelt. Von Menschen, die sich als Rechte definieren. Wenn ich Musik veröffentliche, wird sie von meiner vermeintlichen Ingroup (Schweizer Hip-Hop-Szene) meist nur goutiert, wenn sie gewissen, von dieser Szene selbst festgelegten Kriterien entspricht. Beziehungsweise sie wird von vielen Menschen gar nicht angehört, weil sie sich einer anderen Subkultur zuordnen.

Gut, ich kriege oft das Feedback: «Ich höre ja sonst eher Rock, aber dein Konzert fand ich jetzt tipptopp!» Doch selbst in diesem wohlwollenden Kommentar schwingt eine bittere Note Spiessertum mit. Ich höre Rock, mit echten Instrumenten und so. Du machst Hip-Hop, so mit bum-bum-tschät und so. Als wäre das so klar zu trennen. Als gäbe es keinen gemeinsamen Ursprung dieser Stilrichtungen. Als gäbe es keine Überschneidungen. Als gäbe es überhaupt klar definierbare Genres. Manchmal hab ich das Gefühl, dass manche Menschen vor lauter Genre die Musik nicht mehr hören.

Mir ist bewusst, eine gesunde Prise Lokalpatriotismus ist nichts Gefährliches. Sorgen macht mir der Fanatismus.

Das Phänomen ist symptomatisch. Drinnen sein – oder draussen. Dieser Denkweise begegne ich auch auf meiner Tournee ständig. Bei meinen Konzerten rufe ich oft das Publikum auf, mir Themen zuzuwerfen, zu denen ich dann live freestyle, also improvisierend rappe. Fast jedes Mal soll ich einen Fussball-Verein, eine Ortschaft, eine Band loben oder deren Kontrahenten dissen. In Basel heisst das, Zürich fertigmachen, in Obwalden Nidwalden, und wenn ich in meiner alten Heimat Bern sage, ich wohne jetzt in Zürich, ernte ich Kopfschütteln und Sticheleien.

Mir ist bewusst, eine gesunde Prise Lokalpatriotismus ist nichts Gefährliches. Es kann auch einfach Freude machen, Anhänger von etwas zu sein. Vermutlich ist gerade das Mitfiebern mit seinem Lieblings-Sportclub eine gute Plattform, spielerisch dieses Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Feindbildern auszuleben. Was mir Sorgen macht, ist der Fanatismus.

Das unschuldige Wörtchen «Fan» stammt davon ab. Die Besessenheit, mit der Patrioten ihr Heimatland, Völker ihre Herrscher, religiöse Gruppen ihre Heiligen, Fussballfans ihre Clubs anbeten – diese Besessenheit ist beängstigend. Und ich habe das Gefühl, dass sie eskaliert, und das ausgerechnet aus Angst vor Chaos, aus dem Wunsch nach mehr Ruhe und Ordnung.

Dieses Denken in Gruppen ist der Ursprung fast allen menschlichen Übels.

Anders gesagt: Wenn die Zeiten verunsichern, sei es durch zu viele Möglichkeiten oder zu wenig Chancen, sehnen sich die Menschen nach klaren Formen, einfachen Messages und Zugehörigkeit. Szene-Zugehörigkeit, Fan-Kult, aber eben auch Religion und Nationalstolz können so als Pseudo-Identitäts-Stifter walten. Klingt jetzt etwas dramatisch – ist es auch. Und es wird noch schlimmer: Ich glaube nämlich, dass dieses Denken in Gruppen der Ursprung fast allen menschlichen Übels ist.

Neben der Besessenheit, mit der Clubs, Heimatländer, Heilige verehrt werden, gibt es in solchen Kreisen eine Energie, die macht noch mehr Angst: die Dämonisierung der Outgroup! Schon gibt es einen Feind. Einen Sündenbock. Dies nicht selten in den eigentlich eigenen Reihen: Der FCB-Fan, der den Zürcher hasst, der Christ und der Moslem, der Working Poor und der Sozialfall – dass es sich bei diesen Gruppierungen einfach um Fussballfans handelt, um Gläubige oder um Hilfsbedürftige, das geht in der allgemeinen Selbstbezogenheit völlig unter.

In solch fatalem Eifer wurden im Holocaust Millionen Juden vergast, haben in den Neunzigern die Hutus 800’000 Tutsis niedergemetzelt. In diesem Geiste werden Bomben in Flughäfen gelegt, Asylunterkünfte angezündet, Menschen unterdrückt. Aus einem Mythos heraus, einem Märchen. Das Märchen von der In- und Outgroup.

Es braucht nur einen, der das Märchen gerissen genug erzählt, und seine Geschichte kann im kollektiven Wahn enden.

Wenn man sich das mal vor Augen führt, wird einem klar, dass Millionen von Menschen sterben mussten und leider Gottes wohl auch noch sterben werden. Wegen erfundenen Geschichten. Der Illusion von einem unantastbaren «Wir» und dem bedrohlichen, schwachen, verfluchten «Anderen». Wie uns die Vergangenheit zigfach lehrte: Es braucht nur einen, der das Märchen gerissen genug erzählt, der die richtige Plattform erhält, und seine Geschichte kann im kollektiven Wahn und für andere im Tod enden.

Wieso sehen wir das nicht? Dass wir zwar dem FCZ oder dem FCB zujubeln, aber vor allem Fussball-Begeisterte sind? Dass wir zu Rock headbangen oder zu Hip-Hop-Beats nicken, aber vor allem Musik-Nerds sind? Christen oder Moslems, aber vor allem Gläubige? Europäer oder Afrikaner, aber vor allem einfach Mensch! Gäbe es doch einen zweiten Globus, wie dies eine Kollegin mal vorgeschlug. Dann könnten wir sagen: «Tja, die da drüben missachten die Menschenrechte. Wir sind da weiter und würden so was nie tun. Die verstricken sich in Kriege. Wir aber haben schon längst gelernt, dass wir gemeinsam am stärksten sind.»

Klar darf unsere eigene Kultur als Mittel der Abgrenzung gegenüber anderen dienen – aber niemals in Form der Ablehnung.

Ich will damit nicht sagen, wir sind alle gleich. Klar darf unsere eigene Kultur als Mittel der Abgrenzung gegenüber anderen dienen – aber niemals in Form der Ablehnung. Das Verbindende ist die Qualität der Kultur. Der gemeinsame Ursprung. Ich glaube nicht, dass wir uns gegenseitig anbiedern müssen. Aber ich glaube, dass wir voneinander viel lernen können und wir so viele Gemeinsamkeiten haben, dass wir in unserer Verschiedenartigkeit koexistieren können.

Wir müssen den Gedanken überwinden, dass es derart eindeutig klare Gruppen gibt, einen Feind, der alles anders macht als wir oder uns gar zerstören will. Denn der Feind sind oft wir selbst. Und gerade der Wunsch nach Sicherheit hat in der Geschichte immer wieder Zerstörung gebracht. Die Realität ist nicht starr und einfach, sondern komplex und fliessend. Du kannst nicht Teil einer Ingroup sein, ohne gleichzeitig in einer Outgroup zu sein. Die Schlange beisst sich in den Schwanz. Der grössere Kreis besteht aus Schnittflächen. Omnia est unum. Amen.

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