Endlich erscheint die Fortsetzung des Politthrillers «House of Cards». Die Serie über den machtgeilen Parlamentarier Frank Underwood (Kevin Spacey) demonstriert eindrücklich, was die Zuschauer im 21. Jahrhundert wollen: starke Stoffe, die sie sich zeit- und ortsungebunden reinziehen können – Internet sei dank.
Ein Jahr lang haben die Fans ungeduldig darauf gewartet, jetzt ist es soweit: Die zweite Staffel von «House of Cards» wird am 14. Februar veröffentlicht. Komplett. Und vorerst nur im Internet.
Der Erfolg von «House of Cards» ist in mehrfacher Hinsicht symptomatisch für Entwicklungen im Filmgeschäft: Die Qualität dramatischer Serien hat im neuen Jahrtausend einen Höhepunkt erreicht: «The Wire», «Breaking Bad» oder «Mad Men» begeistern die ganze Welt – ebenso europäische Formate wie «Borgen» oder die israelische Vorlage zu «Homeland», «Hatufim».
Die grossen Hollywoodstudios hingegen schlitterten in eine Krise – was sich 2013 in millionenteuren Flops wie «Lone Ranger» und einem markanten Besucherrückgang an den Kinokassen zeigte (wir berichteten im Dezember darüber).
Serien wie «Breaking Bad» oder «House of Cards» ziehen mit ihrer starken Bildsprache auch Filmfans in ihren Bann. Vorbei die Zeit, als die Reputation von Serien und Soaps nur für Waschmittelwerbung reichte. Und während Schauspieler und Regisseure früher davon träumten, via TV den Sprung nach Hollywood zu schaffen, so kehren etablierte Stars zur Serie zurück: In «The West Wing» übernahm Martin Sheen, der für Regie-Asse wie Francis Ford Coppola vor der Kamera stand, die Hauptrolle, während sein Sohn Charlie, durch Filmkomödien bekannt geworden, in der Sitcom «Two and a Half Men» abräumte.
Hollywood-Stars gehen fremd
Auch Independent-Stars scheuen sich nicht mehr, fremdzugehen. William H. Macy zum Beispiel, der Mann, der in vielen Filmen wunderbare Verlierertypen gespielt hat («Boogie Nights» oder «Fargo»), übernahm 2011 die Hauptrolle in der Serie «Shameless».
Darin gibt er einen heruntergekommenen, dauerbetrunkenen, alleinerziehenden Vater, der von seinen sechs Kindern gestützt werden muss: abgefahrenes Remake einer britischen Vorlage, was man auch von «House of Cards» sagen kann.
Kevin Spacey spielt so furchterregend stark wie immer – er, der in den 1990ern zwei Oscars für seine grossartigen Leistungen in den Spielfilmen «The Usual Suspects» und «American Beauty» gewann, vergrössert damit seine Popularität. Dass ihm mit David Fincher ein gestandener Hollywoodregisseur als Produzent zur Seite steht, verdeutlicht einerseits den Brain Drain in Hollywood, andererseits den Reputations-Aufschwung des Seriengeschäfts.
«House of Cards» hebt sich zudem in der Produktionsform von bisherigen Serien ab, denn mit Netflix steht ein Anbieter von Internet-Streamings hinter der Umsetzung. Als sie mit dem Projekt hausieren gingen, seien alle grossen TV-Networks der USA interessiert gewesen, erklärte Kevin Spacey 2013 an einer Branchentagung in Edinburgh. «Aber alle TV-Kanäle verlangten eine Pilotfolge. David Fincher und ich waren dagegen – und das nicht etwa aus Arroganz, sondern weil wir eine Story erzählen wollten, die sich langsam entfaltet. Dafür brauchten wir Zeit – mehr Zeit als bei einem Pilotfilm, der in 45 Minuten alle Charaktere vorstellen muss.»
Daten sagten Erfolg voraus
Nur ein Interessent, so Kevin Spacey, hatte den Mut, auf einen solchen «Testballon» zu verzichten: Netflix. «Sie schenkten uns das Vertrauen mit den Worten: ‹Wir haben unsere Daten analysiert und kommen zum Schluss, dass das Publikum diese Serie sehen möchte.›»
Netflix ist in der Schweiz (noch) nicht verfügbar. Der Onlinedienst aus den USA funktioniert «on Demand»: Die User lösen ein Abo (8 Dollar pro Monat) und erhalten Zugang zu Sendungen und Filmen.
Dabei wertet der Streaming-Dienst die Sehgewohnheiten seiner 29 Millionen Kunden aus – und war sich sicher, dass der Serienthriller ankommen würde. Weil ihre Analysen zeigten, dass Filme mit Spacey bei den Kunden sehr gefragt sind, ebenso Finchers Werke («Seven», «The Social Network»).
Die dritte Staffel von «House of Cards» ist beschlossene Sache
100 Millionen Dollar investierte Netflix Gerüchten zufolge in die ersten zwei Staffeln, eine Folge kostet über vier Millionen Dollar, das ist mehr, als die grossen TV-Unternehmen wie ABC oder HBO in der Regel ausgeben. Der Aufwand scheint sich für Netflix zu rechnen, «House of Cards» wurde weltweit lizenziert – und vor zwei Wochen gaben die Verantwortlichen bekannt, dass eine dritte Staffel produziert wird.
Der Internetdienst stellt die TV-Gepflogenheiten zusätzlich auf den Kopf, indem er die Staffeln auf einen Schlag veröffentlicht – und das werbefrei. «Die Leute sind bereit, eine grundsätzliche Gebühr zu zahlen, um danach auf eine Serie zugreifen zu können, wann und wo sie wollen», stellt Kevin Spacey fest. Ein Erfolgsmodell in Zeiten der «Internetpiraterie»?
Es scheint so: Computergigant Microsoft und Onlinehändler Amazon mischen mittlerweile ebenfalls im Produktionsgeschäft mit, die Telekomfirma Verizon prüft den Einstieg. Und der US-Sender TNT klärt derzeit ab, ob er neue Programme in Auftrag geben soll, statt sein Geld wie bisher für alte Lizenzen auszugeben.
Der Serienboom, so scheint es, hat erst begonnen.
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Wer die 2. Staffel von «House Of Cards» in einem Zug sehen möchte, stöbert am besten im Netz.
Wer geduldiger ist, wartet auf die Ausstrahlung im Fernsehen: Zum Beispiel beim Pay-TV-Sender Teleclub (via Sky Atlantic HD), oder beim Schweizer Fernsehen, das erst kürzlich die erste Staffel gezeigt hat.
Artikelgeschichte
Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 14.02.14