«I like Pablo»

Wir blicken auf das Jahr zurück. Von März bis Juli hiess es im Kunstmuseum Basel «Die Picassos sind da!». Die Retrospektive von Werken des Überkünstlers aus Basler Sammlungen war ein einmaliges Ereignis.

«Femme au béret orange et au col de fourrure» (1937, Privatbesitz) (Bild: Dominique Spirgi – © Succession Picasso / , Zürich)

Hier wird die Kunststadt Basel ihrem Ruf ganz und gar gerecht: Es gibt nicht viele Orte auf der Welt, wo sich ausschliesslich aus lokalen Sammlungen heraus eine so hochkarätige und umfassende Picasso-Retrospektive zusammenstellen lässt, wie sie jetzt im Kunstmuseum Basel zu sehen ist.

Man könnte frei nach Goethes «Faust» zitieren: «Der Worte (über das legendäre Picasso-Wunder von 1967) sind genug gewechselt, lasst mich auch endlich die Bilder sehen». Nun sind sie also endlich wirklich da, die Picassos aus den Basler Sammlungen. Aber was heisst hier «da»? Das sind sie ja schon seit längerer oder ganz schön langer Zeit. Viele davon, man kann schon sagen: Glanzstücke von Weltruhm, sind seit Jahrzenten an sechs oder gar sieben Tage pro Woche im Kunstmuseum Basel und in der Fondation Beyeler öffentlich zugänglich.

Die Baslerinnen und Basler sind zu recht stolz auf das bedeutende Picasso-Konvolut in ihrer Heimatstadt. Und doch sind es wahrscheinlich nicht so viele, die diesen Meisterwerken regelmässig einen Besuch abstatten. Zum Beispiel nachdem man durch eine der Sonderausstellungen in den beiden Häusern flaniert ist. Und vielleicht kennt man das Schaffen des Künstlers, den als Persönlichkeit natürlich jeder kennt, gar nicht so gut, wie es sein könnte oder gar sollte?

Kunstmuseum Basel
17. März bis 21 Juli 2013
Die Ausstellung zeigt ausserdem eine Foto-Dokumentation zu den grossen Basler Sammlerpersönlichkeiten und zum Picasso-Jahr 1967 sowie den Dokumentarfilm «Das Picasso-Wunder von Basel» von Urs Kern, der am Sonntag, 17. März, 11.55 Uhr, auf srf 1 in der Sendung «Sternstunde Kunst» ausgestrahlt wird.
Zur Ausstellung ist ein umfassender Katalog erschienen.

Dem kann nun Abhilfe geschaffen werden. «Die Picassos sind da!» ist eine Ausstellung, eigentlich ein Ausstellungs-Muss für jedermann. Für den Laien bietet sich die einmalige Gelegenheit, das Werk der Schlüsselfigur der Kunst des 20. Jahrhunderts in seiner ganzen Bandbreite kennenzulernen. Die Lokalchauvinisten können sich die Schulter wundklopfen. Die Picasso-Liebhaberinnen können sich darauf freuen, dass es unter den über 60 Gemälden und Skulpturen sowie über 100 Arbeiten auf Papier sehr viele herausragende Einzelstücke gibt – darunter, und das ist der besondere Leckerbissen für die Spezialistinnen und Spezialisten, nicht wenige Werke von anonym bleiben wollenden Sammlerinnen und Sammlern, die bislang höchst selten oder noch gar nie öffentlich zu sehen waren.

Umfassende Retrospektive

Lange, sehr lange ist es her, als zumindest in der Schweiz eine solch umfassende Retrospektive zu sehen war. 1976 war dies, ebenfalls in Basel, anlässlich der Ausstellung «Picasso. Aus dem Museum of Modern Art New York und Schweizer Sammlungen», allenfalls noch 2001 bei «Picasso und die Schweiz» im Kunstmuseum Bern, die aber einige Lücken enthielt, oder bei der im Jahr 2010 wiederbelebten Picasso-Retrospektive von 1932 im Kunsthaus Zürich, die aber logischerweise lediglich das Schaffen bis zum Beginn der 1930er-Jahre umfasste. Es ist nun erstaunlich, wie umfassend sich das Schaffen Picassos alleine aus Basler Sammlungen zusammenstellen lässt. Selbst die Ausstellungsmacherinnen waren überrascht. «Wir wussten nicht genau, was da alles zusammenkommt», sagte Anita Haldimann, die die Ausstellung zusammen mit Nina Zimmer kuratiert hatte, an der Medienkonferenz. «Wir kamen uns vor wie Köche, die ein Menu du marché zusammenstellen mussten, ohne zu wissen, welche Produkte auf dem Markt im Angebot sind.» Es ist ein wunderbares Menu geworden.

Die Ausstellung ist chronologisch aufgebaut. Sie beginnt entsprechend mit dem Frühwerk, etwa aus der blauen Periode, die Dank des Depositums der Sammlung Im Obersteg im Kunstmuseum mit dem Doppelgemälde «Femme dans la loge» und «Buveuse d’absinthe» (1901) mit einem Meisterwerk vertreten ist. Und natürlich zählen «Les deux frères» (1906), ein Hauptwerk aus der rosa Periode dazu. Dieses hat als eines der beiden Werke, die durch den legendären Ankauf von 1967 in den Besitz der Stadt Basel kamen, einen Ehrenplatz in der Ausstellung: alleine an der Stirnwand des ersten Saals der grossen Raumflucht im zweiten Stock des Kunstmuseums. (Auf der anderen Seite, also im letzten Saal der Flucht, hängt als Gegenüber der «Arlequin assis» (1923) aus der neoklassistischen Periode.) Dazu kommen Meisterwerke aus der schwarzen Periode, wie etwa zwei Skizzen zu «Les Demioiselles d’Avignon» (1907) sowie das wunderbare Frühwerk «Femme» (1907) aus der Fondation Beyeler.

Bislang verborgene Schätze

Weiter geht’s zum Kubismus, damals der wohl revolutionärsten Erneuerung der bildenden Kunst seit hunderten von Jahren. Hier können die Basler Sammlungen einen Schwerpunkt aufweisen, der in Qualität und Umfang wohl einmalig ist, und um den Basel von vielen Miuseen weltweit beneidet wird. Hier die Meisterwerke aus dem Kunstmuseum und der Fondation Beyeler nebeneinander betrachten zu können, ist schon alleine einen Ausstellungsbesuch wert. Nun kommt aber mit «Mademoiselle Léonie» ein weiteres wundervolles Werk von einem oder einer Basler Sammler/in dazu. Eine oder einer, die oder der anonym bleiben möchte.

Insgesamt sind 60 Werke aus 22 anonymen Privatsammlungen in der Ausstellung zu sehen. Bei vielen handelt es sich um Zeichnungen oder Druckgrafiken, aber es sind auch nicht wenige stattliche Ölbilder darunter. Weniger beim Frühwerk bis zum Neoklassizismus (obschon da mit dem «Arlequin jouant la guitare» von 1914-1918 ein bemerkenswertes Werk zu entdecken ist), mehr sind es beim Surrealismus (eine unbestrittene Stärke der Sammlung Beyeler), bei den Werken aus den 1950er-Jahren und vor allem beim Spätwerk. Dies mag vielleicht auch daran liegen, dass das «Picasso-Wunder» von 1967 bei den Basler Sammlern tatsächlich so etwas wie einen Picasso-Boom ausgelöst hat, dass man sich vom Slogan der damals verkauften Buttons «I like Pablo» hat anstecken lassen.

Zeichen des Reichtums

Dies kann auch als ein Zeichen dafür interpretiert werden, dass es in Basel nicht wenige Kunstsammlerinnen und -sammler gab und gibt, die viel Geld für ihre Sammlungen zur Verfügung haben. Denn der 1967 erfolgte Ankauf der beiden Picasso-Bilder für 8,4 Millionen Franken wurde  weltweit nicht nur als Grosstat der Basler Bürgerinnen und Bürger gefeiert. Es mischten sich auch sorgenvolle Worte in den Kanon. Noch nie zuvor waren nämlich für Werke eines noch lebenden Künstlers so hohe Preise bezahlt worden. Im Wirtschaftsteil der «Zeit» war im Januar 1968 zu lesen: «,Les deux frères‘ und ,Arlequin assis‘ sind über Nacht zum Symbol für die Kunstbegeisterung des Kantons Basel-Stadt und darüber hinaus zu stummen Zeugen eines Preistaumels geworden, wie ihn der Kunstmarkt seit 1754 nicht mehr erlebt hat.» Das heisst, dass auch die Privatsammler nach 1967 tiefer in die Tasche greifen mussten, es aber fleissig getan haben.

Hier nun alle die Werke aus nicht namentlich genanntem Privatbesitz aufzuzählen, würde den Rahmen dieses Berichts sprengen. Sie sind aber eines der Gründe, warum man diese Ausstellung in keinem Fall verpassen sollte. Denn ab 21. Juni, wenn sie zu Ende gehen wird, werden diese Bilder wieder in die geheimgehaltenen Wohnstuben verschwinden, wo sie dann, aus dem Blick auf das Gesamtwerk herausgelöst, nur noch für auserlesene private Gäste sichtbar sein werden. Dann werden also nicht wenige Picassos nicht mehr «da» bzw. so leicht zugänglich sein. Sofern vielleicht der eine oder die andere Sammlerin durch diese einmalige Ausstellung nicht doch noch auf die Idee kommen sollte, das Werk als Depositum oder gar als Schenkung dem Museum zu überlassen. Viele private Sammlerinnen und Sammler haben dies zuvor schon getan – Raoul La Roche, Karl bzw. Jürg und Doris Im Obersteg, Rudof Staechelin, Maja Sacher-Stehlin, Georges Bloch oder Ernst Beyeler (mit seinem eigenen Museum) sind hier die grossen Vorbilder. Auch darüber ist in der Ausstellung einiges zu erfahren.

(Bild: Hans-Jörg Walter)

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