Ich habe meine Facebook-Freunde ausspioniert und sie haben es gehasst

Ausgedruckt würden die Daten, die Facebook über mich hat, locker ein Expedit-Regal füllen. Aber eigentlich ist mir das egal. Doch was passiert, wenn ich meine Facebook-Freunde mit Ihren Schlafgewohnheiten konfrontiere? Empörung.

Ausgedruckt würden die Daten, die Facebook über mich hat, locker ein Expedit-Regal füllen. Aber eigentlich ist mir das egal. Doch was passiert, wenn ich meine Facebook-Freunde mit Ihren Schlafgewohnheiten konfrontiere? Empörung.

Liebe Facebook-Freunde

Ich weiss, wie lange Ihr über Ostern geschlafen habt. Ich weiss, wer bis tief in die Nacht gefeiert hat. Und ich weiss das nicht, weil Euer Facebook-Status «Ostern 2016 krassester Hangover ever» war. Nein, ich weiss das, weil ich eine Woche lang aufgezeichnet habe, wann Ihr online wart und wann nicht.

Ich habe Euch nicht gehackt. In Euren Computer oder Euer Smartphone musste ich mich nicht einklinken, so etwas kann ich gar nicht. Eure Gewohnheiten kombiniert mit rudimentärer Technik haben ausgereicht: Abends ins Bett gehen, das Licht löschen und als letzte Handlung: Facebook checken. Morgens aufstehen, einen Kaffee machen und gleichzeitig: Facebook checken. Wenn man diese Daten dann über mehrere Tage sammelt, ergeben sich interessante Muster. Und plötzlich weiss man, ob der Facebook-Freund am Wochenende gefeiert hat, bevor man ihn dann am Montag danach fragt.

Party On: Dieser Facebook-Freund kam an Ostern kaum zum Schlafen.

Party On: Dieser Facebook-Freund kam an Ostern kaum zum Schlafen.

Aber wie ging das jetzt genau? Der Facebook-Messenger hat es mir verraten. Das Chat-Programm von Facebook sammelt akribisch Daten über Euch, registriert, wann Ihr zuletzt online wart. Den Messenger selbst müsst Ihr auch gar nicht benutzen, es reicht, wenn Ihr nur mal kurz die Facebook-App aufmacht, einmal hoch und runter scrollt und schon gibt es einen Eintrag unter «lastActiveTimes». Diese Daten sind im Seitenquelltext des Messengers für jeden einsehbar, der einen Rechtsklick beherrscht.

Diese Daten kann jetzt natürlich kein Mensch entziffern, aber hier hilft das Internet: ein Blogpost über das Tracken der Online-Aktivität von Facebook-Freunden, mit Anleitung und der dazugehörigen Software. Und schwups sind die Abhörwanzen in Euren Smartphones und damit in den Zimmern, Wohnungen, Trams und auch auf allen Strassen, Plätzen und in jedem Park auch für mich aktiv.



Durch die Verfügbarkeit auf Facebook ergeben sich Muster und daraus lassen sich die Schlafgewohnheiten ablesen.

Durch die Verfügbarkeit auf Facebook ergeben sich Muster und daraus lassen sich die Schlafgewohnheiten ablesen.

«Hey, aber was soll das überhaupt? Werden jetzt einfach alle Mitarbeiter überwacht?» Die wütenden Fragen eines Arbeitskollegen habe ich noch im Ohr. Er reagierte verständnislos auf das Mini-Überwachungsprojekt. So lange Google Daten sammelt, ist es egal. Und auch wenn Facebook auf seinen Servern Daten im Umfang von mehr als 1200 gedruckten A4-Seiten pro Person lagert (Stand 2011, also noch in einer Prä-Mobile-Ära), stört uns das nicht. Wer ist Facebook überhaupt? Wer ist Google? Das sind doch einfach riesige Unternehmen in den USA, die sich nicht für mich, JA, für MICH, interessieren.

Aber wenn plötzlich ein Freund (ein Facebook-Freund um genau zu sein) weiss, wann man ins Bett geht, dann nervt das. Und zwar so richtig doll.

Gut, das verstehe ich natürlich. Es war auch nicht böse gemeint. Aber es geht mir eigentlich um mehr.

In der digitalen Welt hinterlassen wir ständig Spuren. Zum Teil sind wir uns dessen bewusst und gucken uns etwa beim Arbeitsplatz keine einschlägigen Seiten an, zum Teil merken wir es gar nicht. Mit der Omnipräsenz von Smartphones hören die Spuren häufig nicht mehr an der Eingangstür oder im Wohnzimmer auf, sondern verteilen sich überall hin, auch bis ins Schlafzimmer. Dort liegen wir dann, nackt und ausgeliefert, und merken gar nicht, dass der Nachbar (ein Facebook-Freund) mit grossen Stielaugen in die Wohnung starrt.

Wir sind gläserne Menschen geworden. Und sollten uns nichts vormachen, sondern lieber der Welt wieder häufiger etwas vormachen.

Es geht nicht um Überwachungsparanoia. Das Jahr 1984 ist Geschichte und Überwachung keine Paranoia mehr, sondern Realität. Wir müssen uns dieser Realität bewusst sein und auch entsprechend bewusst handeln. Facebook wird diese Möglichkeit, Nutzerdaten auf so einfache Weise abzugreifen, bestimmt bald unterbinden. Doch der Konzern selbst wird weiterhin über die Daten verfügen, diese analysieren und Werbeangebote entsprechend gestalten.

Wir sind gläserne Menschen geworden. Und wir sollten uns nichts vormachen, sondern lieber der Welt wieder häufiger etwas vormachen. So hat auch ein Kollege auf die Spionage-Attacke reagiert. Nachdem er davon erfahren hatte, hat er nicht mehr gleich am Morgen früh sein Facebook-Konto gecheckt, sondern absichtlich einige Stunden zugewartet, um die Daten zu verfälschen. Für die Spionage ist das verheerend, für den gläsernen Menschen ein erlösender Verhüllungstrick.

Überwachung und der verantwortungsvolle Umgang mit Daten sind Themen, die uns alle angehen. Aber nach wie vor viel zu wenig beachtet werden.

Wer sich nun trotz aller Langeweile-Reflexe mit diesem hochrelevanten Thema auseinandersetzen will, findet hier den besten Text aller Zeiten (mindestens!) dazu: Daten, die das Leben kosten.

Und wer sich für die rechtlich-technische Seite des Datensammelns interessiert: Wem gehören meine Daten?

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