«Ich habe meine Vorbehalte gegen diese ewige Forderung nach Transparenz»

Wie viele zusätzliche Millionen er sich von der Wirtschaft erhofft. Wie die Uni an das Geld herankommen und wie sie damit umgehen soll. Das sagt Antonio Loprieno, Rektor der Uni Basel, im Interview. Und dann erklärt er auch noch, warum er von klaren Richtlinien im Umgang mit Sponsorengeldern wenig hält.

Bringt etwas Licht ins Dunkel: Antonio Loprieno, Rektor der Uni Basel und Präsident der Rektorenkonferenz der Schweizer Universitäten, nennt die wichtigsten Sponsoren seines Hauses. Viel mehr möchte er lieber nicht verraten. (Bild: Michael Würtenberg)

Wie viele zusätzliche Millionen er sich von der Wirtschaft erhofft. Wie die Uni an das Geld herankommen und wie sie damit umgehen soll. Das sagt Antonio Loprieno, Rektor der Uni Basel, im Interview. Und dann erklärt er auch noch, warum er von klaren Richtlinien im Umgang mit Sponsorengeldern wenig hält.

Wenn uns morgen Novartis oder Roche 100 Millionen Franken für fünf Lehrstühle anbietet, dann nehme ich das selbstverständlich an, sagte Michael Hengartner, neuer Rektor der Uni Zürich, in einem Interview mit der «NZZ am Sonntag». Wie viel Geld erhoffen Sie sich von Novartis und Roche, Herr Loprieno?

Antonio Loprieno: Ich halte es für eher unwahrscheinlich, dass man in einer diesen beiden Firmen 100 Millionen hervornimmt und einer Uni gibt. Eine Unterstützung in einer solchen Höhe käme eher noch von einer Privatperson. Aber wenn wir ein solches Angebot hätten, nähmen wir es selbstverständlich sehr gerne an – falls dieses, nennen wir es mal «Geschäftsmodell», zu unserer Strategie und unseren Schwerpunkten passt. Aber eben: Ich rechne nicht damit – leider.

Trotzdem werden die privaten Geldgeber immer wichtiger für die Uni.

Die moderne Universität folgt einer doppelten Logik. Einerseits der Logik der Dienstleistung, des Service Public und der Transparenz. Daneben entwickelt sich immer mehr auch die Logik des Wettbewerbs. Dazu gehört der Kampf um Drittmittel, um Zusammenarbeitsmodelle mit der Wirtschaft. Seitdem die Universität in die Autonomie entlassen wurde, müssen wir in beiden Logiken denken.

Wohin führt dieser Wettbewerb?

Das ist schwierig zu sagen. Vor zwanzig Jahren hätte noch niemand gesagt, die Uni Zürich zum Beispiel sei besser als die Uni Basel, die ETH besser als die Uni Genf. Heute haben wir die Rankings, und die Universitäten, die dort jetzt schon oben sind, werden sich in den nächsten Jahren noch weiter absetzen und jene, die unten sind, werden noch tiefer fallen. Das Geld konzentriert sich dort, wo es am besten aufgehoben ist. Wenn Sie mich jetzt nach der Zukunft der Universität Neuenburg fragen, dann kann ich Ihnen sagen: Na ja, mit ihrer Grösse wird sie wohl kaum mehr nach oben kommen. Aber die Uni Basel? Ihre weitere Entwicklung ist schwierig vorauszusagen, weil sie im oberen Mittelfeld mitspielt.

Heute erhält die Uni Basel 30 Millionen Franken Drittmittel pro Jahr. Wie viel soll es in zehn Jahren sein – das Doppelte, Dreifache?

Das Dreifache? Eher nicht. Das Doppelte wäre schon ein Erfolg. Aber auch das ist kein Spaziergang. Wir müssen am Ball bleiben.

Was unternehmen Sie dafür?

Wir sind daran, eine Stelle für eine professionelle Betreuung der Sponsoren zu schaffen. Bis jetzt lief das eher so nebenbei. Einige andere Universitäten sind uns da schon voraus. Von dieser Stelle dürfen wir aber keine Wunder erwarten. Wichtig ist vor allem, dass wir die emotionale Bindung zur Uni Basel noch vertiefen, denn Emotionen können bei Mäzenen mehr Bindungen zur Institution auslösen als wir uns in unserem rationalistischen Weltbild vielleicht vorstellen.

Mindestens so viel wie von Wettbewerb ist von Synergien die Rede – auch jetzt wieder, bei der Präsentation des neuen ETH-Lehr- und Forschungszentrums. Dank dem neuen Life Sciences Campus mit der ETH und der Uni könnten die Synergien auch mit der Pharma nun optimal genutzt werden, heisst es. Das sei enorm wichtig für den Wirtschaftsstandort Basel.

Das ist wirklich interessant mit den «Synergien». Vor ein paar Jahren sprach noch niemand davon, heute benutze auch ich den Begriff selbst im Gespräch mit meinem Sohn über ein Skilager oder so. Auch das entspricht der Logik des Wettbewerbs. Nur durch Konzentration kann die nötige kritische Masse erreicht werden, um sich im Wettbewerb mit Zürich und dem Arc Lémanique zu behaupten. Von entscheidender Bedeutung ist das vor allem in den infrastrukturlastigen Bereichen wie den Life Sciences, die enorm teuer sind.

«Ich wäre ein ganz schlechter Rektor, wenn ich mir nicht Mühe gäbe zu lesen, in welche Richtung die Entwicklung geht.»

Sie preisen den Wettbewerb. Aber für eine Universität ist es doch schlecht, wenn es nur noch ums Geld und die schiere Grösse geht. Und genau darum geht es inzwischen ja auch an den Hochschulen. Der beste Beweis dafür sind die Rankings….

Vorsicht, Vorsicht!

Es gibt inzwischen ja auch schon Anti-Rankings, die das beweisen. Wenn man zum Beispiel die vorhandenen Mittel einberechnen würde, stünde die Uni Basel deutlich besser da als in den üblichen Rankings.

Sehen Sie! Da entwickelt sich doch etwas im Diskurs der Rankings. Die traditionellen Ranglisten halte ich ebenfalls für wenig aussagekräftig. Sie zeigen höchstens den Grad der Anpassung an das hegemonische angelsächsische Universitätsmodell. Ganz vorne sind die Angepasstesten.

Herr Loprieno, sind Sie jetzt ein Prophet des Wettbewerbs oder ein Kritiker?

Ich kann ihnen diese Frage so nicht beantworten, weil ich einfach nur ein Forscher bin, der sich für die Entwicklungen interessiert. Ich könnte Ihnen auch nicht sagen, ob die Republik nun besser ist als die Monarchie – oder umgekehrt. Ich kann nur feststellen, dass die Staatsform der Monarchie historisch eher rezessiv ist. Da spielt es dann auch keine Rolle mehr, dass ich persönlich der Meinung bin, dass die Probleme meines früheren Vaterlandes Italien von der unglücklichen Verbindung verschiedener Staaten herrühren. Ich bin heute zwar ein glücklicher Schweizer, würde mich aber auch als Bürger von Savoyen-Sardinien glücklich fühlen. Egal: Seit 1861 ist es vorbei mit dem Königreich Sardinien. Damit muss man sich abfinden.

Was genau wollen Sie uns damit sagen – dass Sie auch als Unirektor gar nicht wirklich eine Wahl haben?

Ich hätte vielleicht schon die Wahl, aber ich wäre ein ganz schlechter Rektor, wenn ich mir nicht Mühe gäbe zu lesen, in welche Richtung die Entwicklung geht. Das wäre ideologisch. Ein reaktionäres Getue.

Als Ägyptologe müsste Ihnen die Entwicklung aber Sorge bereiten. Schliesslich publizieren sie anstatt kurzer Aufsätze in den wichtigen Publikationen lieber dicke Wälzer, was im Ranking überhaupt nichts bringt. Im Wettbewerb sind die Geisteswissenschaftler verzichtbar.

Mit solchen Aussagen wäre ich vorsichtig, da es auch in diesem Bereich entsprechende Entwicklungen gibt. Ein Ägyptologe zum Beispiel machte früher «un peu de tout», Übersetzung, Archäologie, Geschichte, Religionsgeschichte. Nun findet eine Spezialisierung statt.

«Ich folge auch der wirtschaftlichen Logik. Und niemand erwartet zum Beispiel von Volkswagen volle Transparenz.»

Muss die Uni wie ein Unternehmen funktionieren – möglichst spezialisiert, möglichst effizient?

Nein! Bei einem Pharma-Unternehmen ist das endgültige Ziel klar: Medikamente verkaufen. Aber bei uns? Da geht es ganz grundsätzlich um Entwicklung von Wissen, um die Ausbildung von Studenten, um Innovation. Aber wir können diese drei Bereiche nicht hierarchisch gliedern. Darum sprach ich vorher auch von den zwei Logiken. Beide sind wichtig, jene des Service Public ebenso wie jene des Wettbewerbs. Keine der beiden darf dominant sein.

In Sachen Wettbewerb und Drittmittel gibt es auch in den Universitäten sehr unterschiedliche Haltungen. Die einen sind grundsätzlich dagegen, andere – trotz einiger Befürchtungen – eher dafür. Und dann gibt es noch jene, die einfach zugreifen. Sie gehören am ehesten zur letzten Kategorie, nicht wahr?

Ha! Wenn mein primäres Ziel wäre, möglichst viele Drittmittel zu generieren, dann wäre ich ja sensationell erfolglos. Aber will ich das tatsächlich? Ich würde sagen: Nein, ich bin nicht der Typ des rein wettbewerbsbejahenden Rektors, der mit dieser Haltung viel Geld holt. Ich bin kein Aebischer (Präsident der ETH Lausanne; Anmerkung der TagesWoche). Ich gehöre eher zu Ihrer mittleren Kategorie, auch wenn mir deren zögerliche Komponente nicht so gefällt. Ich habe zudem meine Vorbehalte gegen die ewige Forderung nach Transparenz. Das hat doch etwas Floskelhaftes. Lieber als ständig einfach nur darüber zu reden, folge ich auch der wirtschaftlichen Logik. Und sie funktioniert nun mal anders. Niemand erwartet von Volkswagen volle Transparenz, solange ein Auto noch in der Entwicklung ist.

Die Rektorenkonferenz unter Ihrer Leitung wollte Ende 2013 von einem nationalen Regelwerk im Umgang mit privaten Zuwendungen ebenfalls nichts wissen – zumindest vorerst nicht, wie es hiess. Die Gespräche laufen weiter. Mit welchem Ergebnis?

Wir müssen die Interessen aller Universitäten berücksichtigen, von der kleinsten bis zur grössten. Das macht die Sache schwierig. Vorgaben zu definieren, die zu allen Institutionen passen würden, ist fast nicht möglich. Entstehen würde höchstens ein bürokratisches Regelwerk, das die weitere Entwicklung behindert. Warum sollten wir den Universitäten vorschreiben, dass sie in Zukunft nur noch so und so viel Geld entgegen nehmen dürfen – die Uni Zürich nicht mehr als die viel kleinere Uni Luzern? Nein, so geht das doch nicht!

Aber ein Reglement allein für die Uni Basel könnten Sie doch problemlos verfassen.

Mit welchem Inhalt? Bei 95 Millionen ist Schluss?

Es braucht ja nicht unbedingt eine Limite, aber wenn die Uni Basel ein neues Sponsoring-Programm lanciert, müsste ihr doch auch klar sein, wie sie das Geld einsetzt und was sie den Sponsoren bereit ist zu bieten. Ob sie sich auch die Fragestellungen in der Forschung vorgeben lässt – oder eben nicht.

Diese Fragen sind berechtigt und sie werden auch bei jedem Engagement vorgängig geklärt, in einer Phase der Verhandlungen.

Das ist eben gefährlich. Ein Uni-Vertreter ist ja auch nur ein Mensch, der seinen Verhandlungspartner möglicherweise ganz sympathisch findet – und wenn er dann auch noch zu einem guten Essen mit einem wunderbaren Wein eingeladen wird, dann geht er vielleicht schon mal zu weit.

Zu weit – was bedeutet das? Es gibt keine allgemeingültigen Anstandsregeln. Aber selbstverständlich gibt es an allen Schweizer Universitäten klare Regeln, die auch befolgt werden. Die wichtigen Entscheide liegen immer bei den akademischen Gremien. Es kommt zum Beispiel keinesfalls infrage, dass ein Sponsor innerhalb eines Berufungsverfahrens etwas zu sagen hat.

Thomas Cueni von Interpharma war beim Lehrstuhl, den sein Verband gestiftet hat, im Berufungsverfahren mit dabei.

Er hatte aber kein Stimmrecht. Wenn ein Stakeholder investiert und schauen will, was mit seinem Geld passiert, dann freut uns das. Im Normalfall interessieren sich die Stifter nicht dafür – die von Millionenbeträgen übrigens noch sehr viel weniger als die von etwas kleineren Beträgen. Ihre Sorge ist also unbegründet.

Wie interessant Wissenschaftler für Unternehmen sein können, zeigen doch einige bekannte Fälle. Das Grippe-Mittel Tamiflu zum Beispiel wurde im Umkreis der WHO von scheinbar unabhängigen Experten besser dargestellt als es tatsächlich ist. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass diese Forscher in irgendeiner Form mit Roche verbunden waren. Zu diesem Zeitpunkt war das Medikament aber schon längst ein Verkaufsschlager.

Ein Uni-Sponsoring hat ganz andere Gründe – zwei aus Sicht eines Unternehmens. Erstens: Marketing. Die Firmen schmücken sich mit dem guten Namen einer Universität – am liebsten demjenigen einer grossen, zum Beispiel des amerikanischen Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston, leider für uns. Zweitens: unser Know-how. Die Firmen investieren in ein Potenzial, das der eigenen Forschung weniger entspricht, weil sie weniger frei und eher auf die Anwendung ausgerichtet ist. Diese Investition in unsere Grundlagenforschung wird sich aber für die Firma frühestens in zehn, zwanzig Jahren auszahlen – wenn überhaupt je.

«Aber das werden Sie kaum nachvollziehen können – als Etatisten reinsten Wassers.»

Drittmittel würden nicht zu einer Abhängigkeit führen, sondern die Autonomie einer Uni erhöhen, haben Sie in der Vergangenheit immer wieder gesagt. Das müssen Sie uns erklären.

Früher war die Uni ein Staatsbetrieb. Heute ist der Staat immer noch ein sehr, sehr wichtiger Geldgeber, aber nicht mehr der einzige. Wir haben die Wahl zwischen verschiedenen Stakeholdern. Das macht uns unabhängiger. Niemand soll mehr die alleinige Hoheit über die Uni haben, auch der Staat soll sich dem Wettbewerb stellen. Aber das werden Sie kaum nachvollziehen können – als Etatisten reinsten Wassers (lacht).

Wir sind nicht aus Prinzip für den Staat, fragen uns aber, ob sich die Uni in ihrer scheinbaren Autonomie nicht in neue Abhängigkeiten hineinbegibt, über die man möglichst offen reden müsste.

Sie haben irgendwie die Vermutung, im Geheimen passiere sehr viel Interessantes und Böses auch, aber das ist nicht der Fall. Es tut sich in diesem Bereich eher zu wenig als zu viel.

«Wir brauchen wieder mehr Vertrauen in unserer Kultur.»

Wenig bekannt ist auch über die Nebentätigkeiten der Professoren und ihre Zusatzverdienste.

Wir sind grundsätzlich froh, wenn sich unsere Dozenten auch ausserhalb der Universität engagieren. Darum dürfen sie 20 Prozent ihres Pensums für Nebentätigkeiten einsetzen – aber nicht mehr. Diese müssen zudem deklariert werden. Es ist eine eher liberale Regelung, aber eine sehr klare auch. Und ich habe das Vertrauen, dass sie befolgt wird.

Vertrauen hatte man auch in unsere Regierungsräte in den beiden Basel, bis sich herausstellte, dass einzelne Sitzungsgelder und Honorare eingesteckt haben, die sie eigentlich dem Staat hätten abliefern müssen.

Auch an der Uni leben wir nicht in einem Polizeistaat. Darum kämen wir auch nie auf die Idee, alle Professoren systematisch zu kontrollieren, nur weil sich ein Promill vielleicht nicht ganz korrekt verhält. Wenn wir auf ein entsprechendes Problem aufmerksam werden, dann regeln wir das im Gespräch. Das geht fast immer. Wir brauchen wieder mehr Vertrauen in unserer Kultur. Das ist extrem wichtig, sonst geht sehr viel unserer Lebensqualität verloren. 

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