Überstunden, niedere Arbeiten, harscher Umgangston – fünf Lehrlinge beklagen sich über Missstände in ihrem ehemaligen Lehrbetrieb und werfen der Lehraufsicht vor, zu wenig für sie getan zu haben. Die Jungsozialisten haben die Fälle dokumentiert.
Die Basler Jungsozialisten werfen der Lehraufsicht in einem offenen Brief vor, bei Problemen in Lehrbetrieben bewusst wegzuschauen. Das siebenköpfige Gremium würde passiv, zu schleppend oder zu lasch handeln. Fünf ehemalige Lernende zeigen sich mit der Arbeit der Lehraufsicht unzufrieden und haben ihre Fälle den Juso geschildert:
Leandra: «Ich habe meine Stunden aufgeschrieben und wurde dafür ausgelacht»
Vier Monate, nachdem ich meine Ausbildung zur Konditorin/Confiseurin angefangen hatte, arbeitete ich fast nur noch alleine, ohne Betreuung. Eine Ausbildung fand nicht statt. Nebenbei musste ich noch die Schnupperstifte betreuen. Meine Arbeitszeit wurde nicht erfasst. Als ich meinem Vorgesetzten meine aufgeschriebenen Stunden gezeigt habe, hat er mich nur ausgelacht. Ich habe die Ausbildung schliesslich abgebrochen. Die Lehraufsicht hat mich daraufhin angerufen – nach zwei Minuten war das Thema dann aber für sie erledigt.
Leandra K., ehem. Lernende Konditorin/Confiseurin. Wie sie der TagesWoche erzählt, hat sie inzwischen eine KV-Lehre angefangen und ist vollkommen zufrieden damit.
Mina: «Ich lernte vor allem, wie man richtig putzt»
In meinem Lehrbetrieb war ich laufend überfordert, weil mir niemand etwas beigebracht hat. Ich musste teilweise den Job für meine Chefin übernehmen, weil sie einfach so den Arbeitsplatz verlassen hat. Am Morgen wurde erwartet, dass wir 15 Minuten vor dem eigentlichen Arbeitsbeginn im Geschäft waren, was aber nicht als Arbeitszeit zählte. Wenn wir am Morgen nicht früher da waren, wurde uns das von unserer Mittagspause abgezogen. Unsere Chefin hat in unserer Pause einmal Tonaufnahmen erstellt, um herauszufinden, ob wir schlecht über sie reden.
Der Umgang mit Absenzen war sehr streng und von Misstrauen geprägt. Eine Mitarbeitende war einmal im Spital – der Betrieb rief dort an, um herauszufinden, ob das auch stimmte. Einmal war ich eine Woche krankgeschrieben. Aus Angst vor Ärger ging ich trotzdem arbeiten. Ich habe schliesslich gekündigt. Von der Lehraufsicht habe ich keine Unterstützung erhalten. Ich habe danach zum Glück einen neuen Betrieb gefunden. Dort habe ich endlich mehr als Putzen gelernt und meine Lehrmeisterin ist super.
Mina F., Fachfrau Betreuung Kinder in Ausbildung
Dominik: «Ich habe wochenlang ausschliesslich berufsfremde Arbeiten erledigt»
In meiner Ausbildung zum Konditor/Confiseur wurde ich bei Schwierigkeiten von der Lehraufsicht im Stich gelassen. Dabei hätte es mehr als genug Gründe gegeben, einzugreifen. Ich habe regelmässig Überstunden gemacht und wochenlang berufsfremde Arbeiten erledigt. Wenn ich dann mal in der Produktion gearbeitet habe, wurden mir Routinearbeiten zugeschoben und ich konnte nichts Neues lernen.
Mein Chef hat mich beleidigt, gemobbt und ab und zu flogen mir auch Backbleche hinterher. Ich habe mich bei der Lehraufsicht gemeldet. Daraufhin kam der Berufsinspektor vorbei und wurde von meinem Chef auf einen Kaffee eingeladen. Danach war wohl alles in Ordnung für den Inspektor. Ich wurde von meinem Betrieb entlassen. Die Lehraufsicht hat mich insofern unterstützt, als sie mir Listen mit potenziellen Ausbildungsbetrieben gegeben hat. Die Liste war acht Jahre alt und auch entsprechend aktuell. Ich habe schliesslich eine Lehrstelle in einer anderen Branche gesucht und gefunden.
Dominik S., ehem. Lernender Konditor/Confiseur
Olivia: «Kaffee-Bestellungen kamen bei mir per SMS»
Bevor ich meine Lehre als Medizinische Praxisassistentin begann, machte ich eine KV-Lehre. Mein damaliger Chef arbeitete auch als Wirtschaftslehrer, weshalb ich immer die Prüfungen seiner Schüler sortieren und mit einem Lösungsblatt für ihn korrigieren musste. Wenn er oder ein anderer Inhaber der Firma einen Kaffee wollten, schrieben sie mir eine einfache SMS mit den Worten «Kaffee» und ich musste ihn vorbeibringen. Oft musste ich für sie in der Reinigung oder in einem Laden private Bestellungen abholen.
An Weihnachten war es meine Aufgabe, den Kunden Geschenke vorbeizubringen. Einige wohnten weit weg in Deutschland. Eine Woche lang machte ich deshalb praktisch jeden Tag bis zu drei Stunden Überstunden. Anstatt sie mir auszuzahlen, glaubten mir meine Chefs nicht und behaupteten, ich hätte absichtlich einen längeren Weg gewählt. Was mich sehr störte, war die Tatsache, dass ich nicht über meine Rechte informiert wurde. Wahrscheinlich hätte es mir aber sowieso nichts gebracht, mich zu wehren, da ich nie ernst genommen wurde.
Wenn mir ein konkreter Begriff nicht bekannt war, da ich mich im ersten Semester befand und wir ihn in der Schule noch nicht gelernt hatten, wurde ich ausgelacht und als dumm und ungebildet bezeichnet. Meine KV Lehre endete damit, dass sie mich entliessen, ohne einen wirklichen Grund zu nennen. Was ich am schlimmsten finde, ist, dass jede meiner Freundinnen, die eine Lehre machte, genauso eine Geschichte von Unterdrückung zu erzählen hat.
Olivia P., ehem. KV-Lernende
Chiara: «Dass ich keine/n Lehrmeister/in hatte, interessierte keinen»
Während meiner Lehre habe ich regelmässig 54 Stunden pro Woche gearbeitet. Nachdem meine Lehrmeisterin kündete, weil sie es im Betrieb nicht mehr aushielt, hatte ich 1,5 Jahre niemanden, der für mich verantwortlich war, musste mir also alles selbst beibringen. Als ich mich deswegen bei der Lehraufsicht meldete, hiess es nur, ich solle es jetzt einfach durchziehen. Darauf, dass ich keine/n Lehrmeister/in hatte, reagierte die Lehraufsicht nicht, obwohl das ein zwingendes Kriterium wäre, überhaupt Lernende anstellen zu dürfen. Im Gegenteil, jetzt hat gerade wieder eine Lernende in meinem Betrieb angefangen! Die regelmässigen Überstunden versuchte der Verantwortliche der Lehraufsicht zu rechtfertigen. Ich sei falsch über meine Rechte informiert.
Chiara I., ehem. Lernende Detailhandelsfachfrau