Dank des Projekts Primalogo haben schon über 1000 Schülerinnen und Schüler in der Region Basel programmieren gelernt. Wir haben im Schulhaus Fraumatt in Liestal den Unterricht besucht.
«Ihr habt jetzt das Fenster vor euch mit der Schildkröte, das vom letzten Mal», sagt der junge Mann vorne im Schulzimmer zur Klasse. Die Primarschülerinnen und -schüler nicken – und schauen wieder gebannt auf die Bildschirme ihrer Laptops.
Schildkröte? Laptops?
Ja, die Kinder sitzen vor Computern. Die Geräte wirken riesig auf den kleinen Pulten und etwas fremd im klassisch eingerichteten Primarschulzimmer mit bunten Kinderzeichnungen an den Wänden und einer grossen, schwarzen Doppel-Wandtafel. Überhaupt: Alles ist etwas anders als sonst an diesem Dienstagmorgen bei der Primarklasse 5d im Schulhaus Fraumatt in Liestal.
Programmierbefehle in Kreide
Die Basler Informatik-Studenten Martin Jehle und Gökhan Yesilyayla bringen im Rahmen von Primalogo Primarschülern das Programmieren bei. (Bild: Gabriel Brönnimann)
Schon bevor die Glocke die Pause beendet, sitzen alle Schülerinnen und Schüler an ihren Plätzen und warten darauf, die Laptops öffnen zu dürfen. Die beiden jungen Männer vorne an der Wandtafel leiten zwar den Unterricht. Doch sind sie nicht die Klassenlehrer der 5d, sondern gehören zum Unterrichts-Projekt Primalogo: Programmieren für Primarschüler.
Und die sind Feuer und Flamme. Die Augen leuchten, noch bevor die Bildschirme es tun. Klassenlehrer Gian Bollinger – er sitzt für einmal nicht im Zentrum, sondern hinten im Schulzimmer – schlägt eine Glocke an. Sofort kehrt Ruhe ein. Jetzt dürfen die Laptops angemacht werden. «Öffnet wieder das Programm vom letzten Mal», sagt Martin Jehle, einer der Primalogo-Kursleiter.
Höchste Konzentration – die Schülerinnen und Schüler sind voll bei der Sache. (Bild: Gabriel Brönnimann)
Jehle leitet den Kurs in Liestal zusammen mit Gökhan Yesilyayla. Beide studieren Informatik an der Universität Basel und geben einen kleinen Teil ihres Wissens im Rahmen von Primalogo den Kleinen mit auf den Weg. Ganz altmodisch – mit Programmierbefehlen, die sie mit Kreide auf die Wandtafel malen.
«Ich bin die Schildkröte»
«Seid ihr alle mit Aufgabe 17 fertig?», fragt Yesilyayla, worauf Petr* laut durchs Zimmer ruft: «Ich bin bei Aufgabe 43!». Gelächter, Raunen. Yesilyayla fragt, was man denn in die Funktion schreiben muss, damit die Schildkröte – um sie geht es bei der Programmiersprache Logo (siehe Box) – auch die gewünschten rechteckigen Formen zeichnet. Samira streckt auf: «Klammer auf, fd 100 rt 90 end!»
Schaut her: Geschafft! (Bild: Gabriel Brönnimann)
«Genau das», sagt Martin Jehle und schreibt die Programm-Zeile mit Kreide auf die Wandtafel. Die Schülerinnen und Schüler tippen ab – jedenfalls diejenigen, deren Schildkröte bis jetzt noch etwas verwirrt herumgelaufen ist. «Samira, wie hast du denn herausgefunden, wie du das hier machst?», fragt Jehle. Und die Schülerin antwortet: «Ich stelle mir einfach vor, ich bin die Schildkröte. Was macht sie? Wohin muss sie gehen? Vorwärts ist so!» – Samira zeigt mit den Armen in den leeren Raum, doch der Klasse scheint die räumliche Vorstellung nicht weiter erklärungsbedürftig – «Und dann rechts. So.»
Währenddessen wirbelt die Schildkröte auf Ahmeds Computer wild herum und zeichnet dabei komplexe Muster – konzentrische Kreise, ineinander verwoben. In Höchstgeschwindigkeit entsteht ein Muster auf seinem Bildschirm. «Das ist geil!», raunt sein Banknachbar, den Blick gebannt auf die malende Schildkröte: «Wann hört das auf?» Ahmed lächelt, schaut gebannt auf den Schirm und sagt: «Noch lange nicht.»
Übung und Eigeninitiative
Anders verhält es sich mit der Zeit. Die vergeht wie im Flug. Die Kinder machen die vorgegebenen Übungen – und die, die schon fertig sind, machen sich schon an die nächsten.
Wer eine Frage hat, streckt geduldig auf, bis einer der Instruktoren vorbeikommt. Das ist meistens gar nicht nötig: Die Kinder unterstützen sich gegenseitig, schauen sich in die Bildschirme – sie leisten Tech Support bei ihren Banknachbarn und darüber hinaus. «Schau, SO geht das», sagt Nadja, während ihre Finger über die Tastatur von Andrea huschen. «Weil ich keinen Abstand gemacht habe?», fragt Andrea. Und Nadja nickt tippend und sagt: «Ja, und weil du zweimal rechts abbiegen musst!»
Man hilft seinen Nachbarinnen selbstverständlich aus. (Bild: Gabriel Brönnimann)
Während die einen noch an Aufgabe 18 herumknobeln, versuchen andere, der Schildkröte eigene Tricks beizubringen. Die Lehrer halten sie dabei nicht auf – wichtig ist, dass sie bei den Aufgaben im Heft mitkommen. Das Experimentieren ist beim Programmierenlernen sogar eine gewünschte Entwicklung. «Es ist toll zu sehen, wenn das bei einigen einfach so losgeht», sagt Martin Jehle.
Erfolgserlebnisse
Der kleine Lionel reckt die Faust in die Höhe, «Tschacka!», er blickt stolz in die Runde. Seine Schildkröte zeichnet ein mehrfarbiges Bild auf den Schirm, die Instruktoren bleiben stehen, schauen in den Code, den der Schüler geschrieben hat, lächeln, nicken. «Die Funktion heisst Lionel», sagt er. Und grinst und grinst.
Nur noch ein, zwei Zeilen Code und… «Tschacka!» (Bild: Gabriel Brönnimann)
Sein Nachbar Ralph hat mit seiner Schildkröte einen verzierten Zirkelkreis gemacht. Nicht ganz so komplex wie die Funktion Lionel und dennoch: Ralphs Augen leuchten, als er sagt: «Jetzt mache ich das da grün. In Grün, verstehst du? Mann! Ja!»
Die zehnjährige Laurina hat ihrer Schildkröte beigebracht, Mandalas zu malen – und zwar jeweils nach den Lieblingszahlen der Banknachbarinnen. Es wird viel gekichert. Die Uni-Studenten, pädagogisch nicht geschult, greifen dann, wenn es im Raum zu laut wird, auf Klassenlehrer Bollinger zurück – tritt er auf den Plan, kehrt rasch wieder Ruhe ein.
Vor der neuen Sprache sind alle gleich
«Es ist toll zu sehen, was passiert», sagt Gian Bollinger. «Schülerinnen und Schüler, die bisher nicht gross aufgefallen sind – vom Typ her eher ruhig – blühen in diesen Stunden richtig auf.» Die Freude am Programmieren sei überraschend gross – bei Mädchen und Jungen gleichermassen.
Schülerinnen und Schüler, deren Muttersprache nicht Deutsch ist – sie gehören normalerweise eher zu den Zurückhaltenden –, seien in den Lektionen genau gleich gut und aktiv wie deutschsprachige Kinder, stellt Bollinger fest. «Es ist interessant: Weil das einfach eine logische Sprache ist, die aus Befehlen besteht – weil es keine sprachlichen Grundkenntnisse braucht, sondern nur logisches Denken, Schritt für Schritt, um ans Ziel zu kommen – haben hier alle gleich lange Spiesse.»
Die Schülerinnen und Schüler arbeiten eng zusammen: Man hilft einander und tauscht sich aus. (Bild: Gabriel Brönnimann)
Viel zu schnell läutet die Pausenglocke. Die Doppellektion ist vorbei, die Laptops werden ausgeschaltet und eingesammelt. Doch noch ist das Büchlein nicht durchgearbeitet: Nächste Woche werden die Schüler der 5d die kleinen Computer-Schildkröten wieder zum Leben erwecken.
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* Alle Namen der Kinder wurden mit Rücksicht auf die Schulregeln geändert. Die Eltern der abgebildeten Kinder haben ihr Einverständnis gegeben.
Bei der schon 1967 eigens für Unterrichtszwecke entwickelten Programmiersprache Logo dreht sich in der Primarschulvariante alles um eine kleine Schildkröte. Sie sitzt im Zentrum des Programmfensters der Entwicklungsumgebung XLogo4Schools, mit der Schülerinnen und Schüler ihre ersten Programmierbefehle schreiben lernen und ihre ersten Funktionen erstellen.
Das Konzept ist einfach: Gibt man im Programm den Befehl «fd 100» ein, bewegt sich die Schildkröte 100 Punkte nach vorne – und hinterlässt dabei einen schwarzen Strich, zeichnet also ihren Weg auf. Mit dem Befehl «rt 90» dreht sich das Pixel-Tier um 90 Grad nach rechts. Mit der Befehlsreihe
fd 100 rt 90
fd 100 rt 90
fd 100 rt 90
fd 100 rt 90
zeichnet die Schildkröte auf dem Bildschirm also ein Quadrat.
Erfolg ist sofort sichtbar, Fehler können Schülerinnen und Schüler durch die schrittweise Ausführung des Programms einfach beheben. Spielerisch und ohne es zu merken, programmieren die Kinder – und verinnerlichen grundlegende Konzepte des Programmierens. Die Unterrichtsmaterialien sowie das Programm können hier frei heruntergeladen werden.
Wer aufstreckt, erhält bald Besuch von einem der Studenten – die können weiterhelfen. (Bild: Gabriel Brönnimann)