Den Spagat zu machen zwischen Arbeit und Familie fällt vielen Eltern nicht leicht. Vor allem junge Mütter ohne Ausbildung haben es auf dem Arbeitsmarkt schwer. Trotzdem hat Rebecca Binder eine Lehrstelle gefunden – mit der Hilfe von AMIE, eines Projekts des Gewerbeverbands Basel.
«Ich möchte meinem Sohn die Selbständigkeit vorleben, die ich mir für ihn irgendwann einmal wünsche.» Rebecca Binder spricht ruhig und bedacht. Sie wünscht sich, nicht nur als junge Mutter, sondern als funktionierender, wertschöpfender Teil dieser Gesellschaft gesehen zu werden. Viele junge Frauen haben zum Zeitpunkt der Geburt noch keine abgeschlossene Ausbildung und sind dann von ihren Partnern abhängig, die alleinerziehenden leben oft von der Sozialhilfe.
Um dagegen etwas zu unternehmen, hat der Gewerbeverband Basel-Stadt vor sieben Jahren das Projekt AMIE ins Leben gerufen. Es bietet jungen Müttern zwischen 16 und 28 die Chance, während einem Jahr einen Kurs mit täglichem Unterricht zu besuchen. Das übergeordnete Ziel dieses Kurses ist es, die Frauen auf dem Weg zur Selbständigkeit zu begleiten. In den vergangenen zwei Jahren wurde das Projekt vom Marie Meierhofer Institut für das Kind wissenschaftlich begleitet und vor kurzem evaluiert (siehe Mitteilung auf der Rückseite des Artikels).
Seit der Gründung 2007 wurden 128 Frauen von AMIE begleitet, die Hälfte von ihnen fand eine Lehr- oder Arbeitsstelle. Rebecca ist eine von ihnen. Sie ist 25 Jahre alt, verheiratet und hat einen dreijährigen Sohn. Im August beginnt sie eine Lehre als Kauffrau. Trotz ihrer ruhigen Art kann sie ihre Freude kaum verbergen, als sie erzählt: «Eine Firma hatte das AMIE-Büro angefragt, da sie gerne einer jungen Mutter eine Chance geben wollten. Die Leiterinnen von AMIE haben mich dann auf die mögliche Lehrstelle aufmerksam gemacht.» Rebecca bewarb sich umgehend, wurde zum Probearbeiten eingeladen – und erhielt kurz darauf einen positiven Bescheid.
Das Selbstvertrauen stärken
Obwohl Rebecca das Ziel von AMIE nun eigentlich erreicht hat, stand es für sie nicht zur Debatte, das Projekt frühzeitig abzubrechen. «Ich kann bei AMIE trotzdem noch sehr viel lernen», sagt sie. Die Frauen sollen durch den Kurs nicht nur so schnell wie möglich eine Arbeit finden, sondern das Vertrauen in sich selbst schrittweise und in unterschiedlichen Bereichen stärken.
Die AMIE-Woche sei eine gute Mischung unterschiedlicher Angebote. Rebecca fühle sich heute sicherer in lange zurückliegenden Schulfächern, und habe wieder Lust gekriegt, zu lernen und vielleicht sogar noch eine Berufsmatur zu absolvieren. «Es ist aber auch toll, dass wir nicht nur trockene Materie büffeln. Am Montag haben wir Erziehungsmorgen. Dann werden unsere Kinder konkret mit einbezogen und lernen sich auch untereinander kennen.»
Wenn eine Frau mit 30 schwanger wird, ist sie in ihrem Umfeld selten die Einzige. Junge Mütter hingegen stehen mit ihrer Familiengründung oft alleine da. «Der Austausch mit Frauen, die in einer ähnlichen Situation sind, gab mir Sicherheit.» Zudem sei vieles einfacher, wenn man andere Eltern kenne: «Während dem Interview konnte ich meinen Sohn bei einer anderen AMIE-Teilnehmerin lassen.» Warum sie ihn nicht mitgebracht habe? «Mein Sohn ist extrem aktiv – wir hätten keine drei ruhigen Sätze wechseln können!»
Eine Ausbildung wollte Rebecca schon vorher machen
Schon vor der Schwangerschaft wusste Rebecca, dass sie irgendwann eine Ausbildung absolvieren wollte. Doch vorerst gab es andere, dringlichere Themen in ihrem Leben. «Als ich mit 19 mit der obligatorischen Schulzeit in Deutschland fertig war, hatte ich Lust, sofort irgendwas Praktisches zu machen, Geld zu verdienen, und mich zu verselbständigen.» Rebecca wollte reisen, die Welt sehen. Am liebsten mit ihrer Schwester, die nur zwei Jahre jünger ist als sie und ihr mehr eine Freundin ist. Und dann kam das Kind. Rebecca und ihr Mann waren damals schon verheiratet, trotzdem hätten sie mit der Familiengründung gerne noch ein paar Jahre gewartet.
Doch der Kinderwunsch der beiden war zu gross, als dass sie die Schwangerschaft hätten abbrechen können. «Ich würde lügen, wenn ich sagte, es hat nicht wehgetan, meine Reiseträume vorerst zu begraben. Doch ich hatte ja neun Monate Zeit, um meine Pläne schrittweise wegzustecken, mich auf ein Leben, in dem nicht immer ich an erster Stelle stehe, langsam und gut vorzubereiten.» Rebecca habe erkannt, dass eine Schwangerschaft nicht von aussen moralisch bewertet werden könne: «Die Leute sehen oft nur, was junge Mütter alles aufgeben für ihr Kind, und nicht, was sie dafür alles haben.»
Zudem sei es ein Klischee, dass eine Mutterschaft junge Frauen nur aus der Bahn werfen würde. «Gerade Frauen, die etwa ein sehr wildes, unregelmässiges Leben führen, lernen spätestens nach der Geburt notgedrungen, sich zu organisieren und Prioritäten zu setzen.» Rebecca ist deshalb überzeugt, dass junge Mütter eine Tagesstruktur und eine Reife haben, die sich mit anderen Gleichaltrigen kaum vergleichen lasse. Rebecca sagt: «Ich weiss, dass nicht alle Eigenschaften von Müttern für Arbeitgeber attraktiv sind: wir sind viel weniger flexibel.» Trotzdem findet sie, dass die gesellschaftliche Stigmatisierung und die Rahmenbedingungen die meisten Schwierigkeiten schaffen.
«Ein Kind zu haben bringt Struktur in ein Leben.»
Dieses Selbstvertrauen hatte Rebecca nicht immer. Nach der Schule arbeitete sie in verschiedenen Kleiderläden. Als ihr Sohn vier Monate alt war, nahm sie ihre Arbeit in dem Geschäft, in dem sie vorher tätig gewesen war, wieder auf. Nach zwei Monaten wurde ihr gekündigt. Nach dieser schwierigen Zeit stellte sich Rebecca voll auf ihr Mutterdasein ein. «Ich hatte zwei sehr intensive Jahre mit meinem Sohn», sagt sie. «Danach war es dann endgültig an der Zeit, wieder nach draussen zu gehen, wieder mehr Abwechslung und andere Gesichter als nur das seine um sich zu haben.»
Mit AMIE fing sie zum ersten Mal seit der Kündigung wieder ein geregeltes Leben ausserhalb der Mutterschaft an. Der harte Alltag als solcher habe ihr keine Mühe bereitet, daran seien sich Eltern eines so aktiven Jungen sowieso gewöhnt, meint sie lachend. «Ihn an ‹fremde Leute› zu geben, fiel mir anfangs allerdings schwer. Zuvor war er oft bei meinen Eltern, oder bei meinem Mann.» Doch das Vertrauen in die Fachleute von der Tagesstätte wurde schnell aufgebaut. «Ich habe mittlerweile gemerkt, dass es meinem Sohn guttut. Er ist viel weniger schüchtern als früher.»
Mit der zweiten Schwangerschaft will Rebecca noch warten
Die frühen Geburten sind in ihrer Familie fast schon Tradition: «Meine Mutter war 21, als sie mich kriegte.» Ihre jüngere Schwester kam kurz darauf zur Welt. Mit ihrer nächsten Schwangerschaft will Rebecca aber noch etwa zehn Jahre warten. «Ich will zuerst ein Leben auf die Beine stellen, auch finanziell mehr Halt haben für mich und meine Familie», gibt sie als Grund an. Und fügt dann hinzu: «Ausserdem nimmt es mich Wunder, wie es ist, zu einem Zeitpunkt schwanger zu sein, der in dieser Gesellschaft als ganz normal gilt. Bisher weiss ich nur, wie man als Exotin unter den Müttern betrachtet wird.»
Mit einem festen Partner an ihrer Seite hat es Rebecca in vielem leichter als ihre alleinerziehenden AMIE-Kolleginnen. Sie war nie von der Sozialhilfe abhängig, ihr Mann konnte die Familie immer knapp unterhalten. «Es tut gut, jemanden zu haben, der mir Rückendeckung gibt. Man ist dann weniger verletzlich als wenn man alleine mit Kind dasteht.» Über eine junge Mutter werde weniger hart geurteilt, wenn sie einen Mann habe. «Dafür kämpfen wir mit anderen Vorurteilen», fügt Rebecca an. Ihr Mann kommt aus Südafrika. Das sei allerdings ein anderes Thema.
Trotz der Freude über die gefundene Lehrstelle ist Rebecca verunsichert: «Mein Ausbilder hat sich bewusst für eine junge Mutter entschieden, ich bin gespannt, wie die Situation auf dem Arbeitsmarkt dann aussieht.» Zudem würde sie lieber eine Teilzeitausbildung machen. Den Kleinen täglich von morgens bis abends spät wegzugeben, wird ihr schwer fallen, das weiss sie schon jetzt. Doch sie ist sich sicher, dass es das Beste für sie und ihre kleine Familie ist: «Ich habe Lust, in meinem Leben etwas zu erreichen. Ich will von niemandem abhängig sein und meinem Sohn etwas geben können.»