Algorithmen spielen bei der Preisbildung eine immer wichtigere Rolle, nicht zuletzt im Online-Handel. Neue Studien zeigen, dass Algorithmen Preisabsprachen treffen können.
Algorithmen sind in unserem Alltag omnipräsent. Sie filtern E-Mails, unterbreiten Werbung und entscheiden, welchen Preis wir auf Amazon bezahlen. Buchungs- und Shopping-Portale haben schon seit längerer Zeit ein dynamisches Preismodell implementiert, das mithilfe von Algorithmen die Nachfrage antizipiert und auf dieser Grundlage Preise festsetzt.
Die Roboterverkäufer lernen mit jeder Datenanalyse hinzu (Stichwort machine learning) und können auf veränderte Bedingungen flexibel reagieren. Der Fahrdienstleister Uber nutzt einen Algorithmus, der seinen Preis je nach Nachfrage flexibel anpasst. Doch nicht immer funktioniert die automatisierte Preisbildung.
Eine Uber-Fahrt für 415 Dollar
2011 lag der Preis für «The Making of a Fly», ein Biologiebuch, auf Amazon bei 1,7 Millionen Dollar. Und 2013, inmitten eines Schneesturms, verlangte Uber für eine innerstädtische Fahrt 415 Dollar. Da konnte etwas nicht stimmen. Oder war es doch Kalkül?
Uber-Boss Travis Kalanick sagte: «Wir setzen nicht den Preis. Der Markt legt den Preis fest. Und wir haben Algorithmen, die bestimmen, was der Markt ist.» Die Argumentation ist einigermassen zirkulär. Was der Markt ist und wie die Algorithmen funktionieren, ist nicht klar. Uber legt die Kriterien für seine Fahrtarife nicht offen. Das Unternehmen sah sich wiederholt dem Vorwurf des «algorithmischen Monopols» ausgesetzt.
Die erratische Preisbildung könnte gleichwohl System haben. Wie eine neue Studie (Artificial Intelligence & Collusion: When Computers Inhibit Competition) belegt, können Algorithmen ein Parallelverhalten in der Preissetzung abstimmen (sogenannte horizontale Kollusion). Anders als Menschen können Computer zwar keine illegalen Preisabsprachen in verrauchten Hinterzimmern treffen, aber vorhersagen, wie sich andere Computer verhalten. Und mit dieser Information können sie effektiv miteinander kooperieren, indem sie ihre eigenen gewinnmaximierenden Interessen vorziehen.
Die Kartellrechtler Ariel Ezrachi von der University of Oxford und Maurice E. Stucke von der University of Tennessee schreiben in ihrem Working Paper: «Computer können den Wettbewerb nicht nur durch Vereinbarungen oder konzertierte Praktiken limitieren, sondern auch durch subtilere Mittel. Zum Beispiel kann das der Fall sein, wenn ähnliche Computeralgorithmen ein stabiles Marktumfeld fördern, indem sie die Reaktion und dominante Strategie der anderen vorhersagen.»
Erstmals ein Verfahren gegen E-Commerce-Portal wegen Preisabsprachen
Das US-Justizministerium in San Francisco hat im April erstmals ein Verfahren gegen den Betreiber eines E-Commerce-Portals wegen illegaler Preisabsprachen eingeleitet. David Topkins, der Gründer des Portals Poster Revolution, der auf Internetplattformen wie Amazon Poster vertrieb, soll mithilfe von Algorithmen künstlich Preise in die Höhe getrieben haben. Topkins gestand und akzeptierte eine Strafzahlung in Höhe von 20’000 Dollar, gegen deren Bezahlung das Verfahren eingestellt wurde. «Wir werden kein wettbewerbswidriges Verhalten dulden, ob es in einem rauchgeschwängerten Hinterzimmer oder über das Internet durch die Nutzung von Preisalgorithmen auftritt», sagte der leitende Staatsanwalt Bill Baer.
Die Justiz hat sich mit der rechtlichen Problematik, die durch den algorithmisierten Handel entsteht, noch kaum befasst. Das Problem ist nicht so sehr, Marktmanipulationen zu erkennen, sondern die juristische Zurechenbarkeit zu determinieren. Im Normalfall sind Algorithmen ein Werkzeug, das von Menschenhand geschaffen wurde. Die Verantwortung liegt klar beim Programmierer. Doch nicht immer führen Computer die Strategie des Menschen aus.
Ezrachi und Stucke skizzieren in ihrem Paper Szenarien, in denen Algorithmen kollusives Verhalten lernen. Die rechtliche (und auch ethische) Frage, die sich dabei stellt, lautet: Können Computer bestraft werden? Was, wenn ein Algorithmus einwandfrei programmiert ist, sich aber verselbständigt? Ist das Verhalten den Programmierern anrechenbar?
In ihrer Studie «Antitrust and the Robo-Seller: Competition in the Time of Algorithms» beschäftigt sich die Rechtsprofessorin Salil K. Mehra mit genau dieser Frage. Sogenannte «Robo-Seller» treffen Preisentscheidungen autonom.
«Die neue Technologie und ihre Integration in die Geschäftsmodelle des 21. Jahrhunderts haben ein Mismatch zwischen den aufkommenden Roboterverkäufern und den Paradigmen geschaffen, die auf menschliches Verhalten zentriert sind (…). Das Fehlen einer identifizierbaren Intention, Angst oder subjektiven Absicht stellt eine erhebliche Herausforderung für das Wettbewerbsrecht dar.»
Die rechtliche Konstruktion, Algorithmen als blosse Werkzeuge zu betrachten und dem Menschen anzurechnen, hält Mehra für zu simpel. Sie schlägt eine Regulierung der Robo-Seller durch eine unabhängige Agentur vor. Eine Art Kartellbehörde für Computer.
Das derzeitige Kartellrecht läuft gegenüber algorithmischen Preisabsprachen leer. Insofern scheint eine Novellierung der wettbewerbsrechtlichen Rahmenbedingungen unabdingbar. Denn Algorithmen drehen öfter an der Preisschraube, als man gemeinhin annimmt.