Der Zürcher Kaspar Fischer (1938–2000) war ein Multitalent: Maler, Schauspieler, Autor, Kabarettist – und vor allem ein Spassvogel mit philosophischem Tiefgang.
Ein Spiel mit unseren Assoziationen: das heisst mit dem, was wir auf den ersten und dann auf den zweiten Blick wahrnehmen. Auf den ersten Blick ist es in diesem Fall ein Mann, der seinen Kopf im Mund eines Krokodils hat. Der zweite Blick zeigt, dass das «Krokodil» ein Arrangement aus Autopneus ist. Wenn wir einen dritten Blick haben, dann kann dieser der Feststellung dienen, dass dieser Mann lacht, während er, im Schlund des Krokodils liegend, doch entsetzt sein sollte.
Ein weiterer Blick kann dem darum herum still und heimlich spriessenden Gras gelten, dessen leises Wachsen wir auch bei genauem Hinhören nicht wahrnehmen können. Es ist zusammen mit den abgewetzten Pneus am 9. September 1972 in Uerzlikon (Kanton Zürich am Albis) aufgenommen worden. Kunst im Gras: ein Kontrast zwischen künstlerischem Happening und natürlicher Ewigkeit. Ein Kontrast, den nur wir zusammen mit dem Fotografen wahrnehmen können, nicht aber der Mann, der in die Kamera blickt. Der lachende Männerkopf gehört Kaspar Fischer.
Kaspar Fischer war, wie man einem ihm gewidmeten Buch von Thomas Bodmer in der «Neuen Zürcher Zeitung» («Untierhaltung. Das Gesamtkunstwerk Kaspar Fischer», Verlag NZZ, 2001) entnehmen kann, ein subversiver Kindskopf: «Nichts war eindeutig bei ihm, nichts von sicherem Bestand, sondern alles war wandelbar; mühsam aufgebaute Identitäten zerfielen in Einzelteile, die neu kombiniert wurden, um dann erneut zu zerfallen.» Ein sicheres/unsicheres Leben im Rachen des «Krikidols».
Erst der fünfte Blick fällt auf den kleinen Punkt, der bei uns überhaupt ausmacht, dass wir schnell und unbewusst den Pneu als Krokodil erkennen. Wir sehen, dass das fingierte Biest ein Auge hat.
Kaspar Fischer war ein Tausendsassa, ein Spassvogel, ein Schalk, ein feiner Witzbold, ein Narr. Und dies mit den Mitteln der Kunst in vielen Disziplinen – von der Malerei über das Modellieren zum absurden Theater, ein Rundumkünstler, ein Multitalent, ein Prachtsexem-plar des ewig spielenden Wesens, des Homo ludens. Was eine zentrale Eigenheit des Menschseins ausmacht, ja dessen Voraussetzung ist. Das Krokodil kann nicht spielen und versteht keinen Spass. Spielen kann nur der Mensch.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 27.07.12