Das Geschäft mit dem Tod floriert in der Region Basel – auch der Sterbetourismus nimmt zu. Volker Dittmann, Leiter des Instituts für Rechtsmedizin, ist diese Entwicklung ein Dorn im Auge. Die Urteilsfähigkeit werde oft zu leichtfertig bescheinigt, sagt er.
Sterbehilfeorganisationen wie Exit oder Eternal Spirit, die noch nicht sehr lange hier aktiv sind, erfreuen sich grosser Beliebtheit. Volker Dittmann, noch bis Ende Juni Leiter des Instituts für Rechtsmedizin, muss die Suizid-Patienten des Gesetzes wegen anschliessend untersuchen, er hat ausgemacht, dass sich immer mehr Menschen in der Region in den Tod begleiten lassen. Er blickt diesem Trend mit Besorgnis entgegen: «Was uns grosse Sorgen bereitet, ist die Zunahme des assistierten Suizids mit Sterbehilfeorganisationen wie Exit und Eternal Spirit. Es kommen vermehrt Leute aus dem Ausland in die Region, um sich in den Tod begleiten zu lassen. Das hat stark zugenommen.»
Allein in diesem Jahr haben er und sein Team in der Region Basel schon 47 Fälle untersucht. «Das Problem ist, dass sich zunehmend Leute mit Depressionen und anderen psychischen Problemen in den Tod begleiten lassen», sagt der Gerichtsmediziner und forensische Psychiater. Die Beihilfe zum Suizid ist in der Schweiz im Strafgesetzbuch klar geregelt: Sie ist nur dann straffrei, wenn die sterbewillige Person voll urteilsfähig ist, selbst handelt und die Helfer keine eigennützigen Motive verfolgen. Dittmann hatte bei Nachuntersuchungen hin und wieder seine Zweifel, ob die Person tatsächlich voll urteilsfähig gewesen ist. «Das grösste Problem ist nach unserer Erfahrung, dass die Urteilsfähigkeit oft zu leichtfertig bescheinigt wird.»
Ärzte werden zu Psychiatern
Dittmann findet es nicht korrekt, wenn die gleichen Ärzte, die den Entscheid zur Suizidbeihilfe treffen, auch noch das Gift besorgen und die Urteilsfähigkeit bescheinigen. «Ich halte es für geradezu anmassend, wenn fachfremde Ärzte sich zutrauen, mit nur wenigen Zeilen und ohne nähere Begründung die volle Urteilsfähigkeit zu attestieren – eine Abklärung, für die sogar ausgebildete Psychiater jahrelange Erfahrung und spezielle Kenntnisse benötigen.»
«Das grösste Problem ist nach unserer Erfahrung, dass die Urteilsfähigkeit oft zu leichtfertig bescheinigt wird.»
Gereizt auf Dittmanns Äusserungen reagiert Erika Preisig, Präsidentin der Sterbehilfeorganisation Eternal Spirit. Seit September 2012 hat die Organisation eine Wohnung im Iselin-Quartier und begleitet dort, anders als bei Exit, auch schwer kranke Ausländer in den Tod. Preisig geriet letzten November in die Schlagzeilen, weil sich ein 62-Jähriger mit gefälschten Arztzeugnissen aus Italien in Basel das Vertrauen ihrer Sterbehilfeorganisation erschlichen hatte.
Preisig sagt: «Wir machen für die Behörden bei jeder Begleitung einen Film, auf welchem der Betroffene viele Fragen beantworten muss.» Unter anderem werde ihm die Frage gestellt, wieso er hierher gekommen sei und ob er wisse, was passiere, wenn er diese Infusion aufmache.
Keine Zahlen von Eternal Spirit
«Ein Mensch mit eingeschränkter Urteilsfähigkeit kann diese Fragen so auf dem Film beantworten, dass der Staatsanwalt den Fall als korrekt abschliesst. Nach den Fragen filmen wir die Hand, die die Infusion öffnet und wie die Infusion zu laufen beginnt.» Die Urteilsfähigkeit werde bei Eternal Spirit mindestens von drei verschiedenen Personen beurteilt. «Die Urteilsfähigkeit wird nicht leichtfertig beurteilt, denn wir alle wollen weiter unheilbar leidenden Menschen helfen – und nicht hinter Gitter kommen, weil wir etwas riskiert haben.»
Ab und zu müssten auch Menschen abgelehnt werden: «Gerade diese Woche musste ich ein Mitglied, das ich in Nizza besucht habe, abweisen, da sein Parkinson schon zu derartigen geistigen Defiziten geführt hat, dass es nicht mehr sicher urteilsfähig ist.»
Wie viele Menschen, darunter Ausländer, von Eternal Spirit bereits in den Tod begleitet wurden, will die Hausärztin aus Biel-Benken nicht verraten. «Zahlen geben wir absolut keine bekannt, mit denen wird immer Schlagzeilenhascherei getrieben. Dieses Spiel spielen wir nicht mit», sagt Preisig.
Mindestens zwei Gutachten bei Exit
Auskunfsfreudiger diesbezüglich ist Exit, die rund 73’000 Mitglieder zählt und letzten Oktober eine Zweigstelle im Binningen eröffnet hat. Sie begleitete vergangenes Jahr 32 Person aus den beiden Basel in den Tod. Vizepräsident Bernhard Sutter weist die Vorwürfe von Dittmann zurück, er sagt: «Exit und die zur Feststellung der Urteilsfähigkeit involvierten Hausärzte und Konsiliarärzte gehen bei der Abklärung der Urteilsfähigkeit fachgerecht und mit äusserster Sorgfalt vor. Urteilsfähigkeit ist das wichtigste Kriterium zur Zulässigkeit einer Freitodbegleitung.»
Bei psychisch Leidenden würde Exit mindestens zwei Gutachten von unabhängigen Fachärzten verlangen und das Sterbemedikament würde nicht durch den rezeptierenden Arzt abgegeben. «Hingegen stimmt die Aussage, dass das selbstbestimmte Sterben auch in Basel, der zweitgrössten Agglomeration der Schweiz, im Zunehmen begriffen ist. Das hat mit der hohen Lebenserwartung und einer selbstbewussten älteren Generation zu tun. Patienten wollen sich heute nicht mehr von Professoren sagen lassen, wie lange sie leiden müssen und wie sie zu sterben haben», so Sutter mit Seitenhieb auf Dittmann.