In Baselland wachsen die Bestrebungen, Harmos und Lehrplan 21 prinzipiell zu verhindern oder die Reformen des Bildungswesens auf ein Minimum einzudampfen. Das blockiert die Bildungspolitik des Kantons. Eine Einschätzung.
Monica Gschwind kam, sah und blies zum Marschhalt. Mit einer ihrer ersten Entscheidungen als neugewählte Baselbieter Bildungs-, Kultur- und Sportdirektorin stoppte sie die bereits angelaufenen Reformen in der Sekundarschule. Damit erntete sie bei den Skeptikern und fundamentalen Gegnern von Harmos und Lehrplan 21 Applaus.
Obwohl die Bildungsdirektorin selber eine bekennende Skeptikerin ist, dürfte dies nicht ihr primäres Ziel gewesen sein. Mit dem Marschhalt will Gschwind nach eigenen Angaben Ruhe in die aufgebrachte Debatte bringen. Viel mehr als ein frommer Wunsch ist das nicht. Die Reform-Skeptiker gewinnen in Baselland zunehmend die Oberhand. Und sie torpedieren jeden Schritt, der in Richtung Harmos und Lehrplan 21 führt.
Zeichen dafür sind die zwei parlamentarischen Initiativen, die am 5. Juni zur Abstimmung gelangen und die im rechtsbürgerlich dominierten Landrat bereits deutliche Mehrheiten erhalten haben: Die eine Vorlage hat zum Ziel, die Einführung von Sammelfächern zu verhindern, mit der anderen soll dem Bildungsrat die Entscheidungsbefugnis beim Lehrplan entzogen und dem Landrat übertragen werden.
Sturmlauf gegen Lehrplan 21 und Harmos
Gschwind gibt sich Mühe, nach aussen Ruhe zu verbreiten. Sie betont im Interview mit der TagesWoche, dass der Lehrplan 21 lediglich eine Mustervorlage sei, die man relativ frei umsetzen könne, ohne den Harmonisierungsgedanken gleich ganz über Bord zu werfen. Die Bildungsdirektorin will nach eigenen Angaben den Fuss vom Gaspedal nehmen, das ihr Vorgänger Urs Wüthrich ihrer Ansicht nach viel zu stark durchgedrückt hat.
Die Reformgegner lassen sich durch den Marschhalt aber nicht von ihrem radikalen Destruktionskurs abbringen. Eine massgebende Rolle spielt dabei das Komitee Starke Schule Baselland um den streitbaren Lehrer und Landrat Jürg Wiedemann (Grüne-Unabhängige).
Dieses Komitee produziert eine wahre Flut an Initiativen und parlamentarischen Vorstössen, die allesamt zum Ziel haben, die Schulreformen massgeblich einzudämmen oder gar ganz rückgängig zu machen. Schon aus den Titeln der eingereichten Initiativen ist die pure Verachtung gegenüber den Reformen herauszulesen:
- Die Volksinitiative «Ja zum Austritt aus dem überteuerten und gescheiterten Harmos-Konkordat» spricht die deutlichste Sprache. Ziel der zustande gekommenen Initiative ist der Austritt des Kantons «auf den nächstmöglichen Termin». Damit würde das Baselbiet, das als Pionierkanton die Schulharmonisierung einst in Gang gebracht hatte, quasi zum Totengräber der eigenen Idee.
- Die Initiative «Ja zu den Fächern Geschichte, Geografie, Biologie, Physik und Chemie» zielt in die gleiche Richtung wie die aktuell zur Abstimmung kommende Vorlage «Verzicht auf kostentreibende Sammelfächer».
- Die Initiative «Niveaugetrennter Unterricht in den Promotionsfächern» spielt auf das Lehrplan-21-Schreckgespenst Gesamtschule an und möchte verhindern, dass die Wahlpflichtfächer Mint (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik), Latein, Italienisch, Bildnerisches Gestalten, Musik, Textiles Gestalten, Technisches Gestalten niveauübergreifend unterrichtet werden können.
- Die Initiative «Stopp dem Verheizen von Schüler/-innen: Ausstieg aus dem gescheiterten Passepartout-Fremdsprachenprojekt» wendet sich gegen den bereits umgesetzten Unterricht von zwei Fremdsprachen auf Primarschulstufe und insbesondere gegen die neuen, weniger auf grammatikalischen Grundlagen basierenden Lernmethoden.
- Dasselbe Anliegen verfolgt die Initiative «Stopp der Überforderung von Schüler/-innen: Eine Fremdsprache auf der Primarschulstufe genügt».
- Die Initiative «Ja zu fachlich kompetent ausgebildeten Lehrpersonen» will die Lehrerinnen und Lehrer der Sekundarschule wieder zwingend an die Universität oder ETH schicken. Die Fachausbildung an der Pädagogischen Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz wird als ungenügend erachtet.
- Die Motion «Stufenlehrpläne mit transparentem Inhalt» der parteilosen Landrätin Regina Werthmüller (sie ist Vorstandsmitglied des Komitees «Starke Schule Baselland») möchte die im Lehrplan 21 verankerten Kompetenzen durch klar definierte Lerninhalte und Themen ersetzen. Der Landrat überwies die Motion im März an die Regierung, was vom Komitee «Starke Schule Baselland» mit den Worten gefeiert wurde, dass damit das Aus für den Lehrplan 21 immer wahrscheinlicher werde.
Zweigleisige Ausbildung an der Fachhochschule
Je nach Ausgang der aktuellen und künftigen Volksabstimmung dürfte sich der Riss zwischen Baselland und Basel-Stadt, das den Lehrplan 21 auf Sekundarschulstufe im vergangenen Sommer bereits eingeführt hat, vertiefen. Auch an anderen Grenzen tun sich Gräben auf: Der Kanton Solothurn will den Lehrplan 21 auf das Schuljahr 2018/2019 hin, Aargau auf 2020/2021 umsetzen.
Das hätte auch Folgen auf die Ausbildung der Lehrer an der Pädagogischen Hochschule der FHNW. Wenn im Baselbiet die Sammelfächer aus dem Lehrplan gekippt werden, müssten die Lehrer unter Umständen zweigleisig ausgebildet werden – mit den entsprechenden Kostenfolgen.
In der Pädagogischen Hochschule will man sich dazu noch nicht konkret äussern. Integrationsfächer wie Natur & Technik oder Physik & Chemie werden schon seit vielen Jahren angeboten. Und auf das Jahr 2017 wird die Hochschule ihre Studiengänge turnusgemäss erneut anpassen müssen.
Aus freien Stücken kann sie dies aber nicht tun. Letztlich muss sie die Vorgaben der Regierungen der vier Trägerkantone umsetzen und die Auflagen der eidgenössischen Erziehungsdirektorenkonferenz erfüllen. Wenn die beiden Basel, Solothurn und der Aargau in ihren Lehrplänen auseinanderdriften, müssen sich also zuerst die zuständigen Regierungsräte auf einen wie auch immer gearteten gemeinsamen Weg einigen.