IV-Bezüger sollen strenger überwacht werden als Terrorverdächtige

IV-Ermittler sollen künftig bei Verdachtsfällen ganz legal Bild- und Tonmaterial aufnehmen und GPS-Tracker einsetzen dürfen. Die Hürden dafür sind beim Geheimdienst teils höher.

Der überwachte Bezüger: Wer IV kriegt, kann im Zweifelsfall in den Fokus von Ermittlern geraten.

Geht es nach dem Ständerat, so dürfen Sozialdetektive in Zukunft Ton- und Bildaufnahmen von Verdächtigen machen und sie mit GPS-Tracker orten. Das steht im neuen Gesetz, das der Ständerat am Donnerstag absegnete.

Staatsrechtler wie Markus Schefer von der Uni Basel finden insbesondere stossend, dass die IV-Ermittler auch an Orten überwachen dürfen, die «von einem allgemein zugänglichen Ort aus frei einsehbar sind». Das ist zum Beispiel der Fall, wenn ein Ermittler von der Strasse aus in eine Wohnung oder in einen Garten hineinfotografiert.

Mit diesem Passus geht der Ständerat bei IV-Bezügern sogar weiter als bei Terrorverdächtigen. Zwar hat der Nachrichtendienst deutlich mehr Instrumente zur Überwachung, aber bei Bild- und Tonaufnahmen an «nicht allgemein zugänglichen Orten» stehen die Sozialdetektive mit dem neuen Gesetz besser da. Die Geheimdienstler brauchen dafür in jedem Fall eine gerichtliche Genehmigung, die IV-Ermittler dürften künftig einfach so in die Wohnung eines Verdächtigen hineinfotografieren.

Ursprünglich noch mehr Überwachung geplant

Für Schefer ist diese Handhabung «in sich widersprüchlich». In einem offenen Brief hatten er und weitere Staatsrechtler an die Ständerätinnen und Ständeräte appelliert, das aktuelle Gesetz zu ändern. Das hat sich ausbezahlt.

Denn ursprünglich hatte der Ständerat geplant, auch den Einsatz von GPS-Tracker ohne richterliche Genehmigung zu erlauben. Am Donnerstag fügte der Ständerat dann einen Passus ein, der GPS-Tracker nur dann erlaubt, wenn ein Gericht zustimmt.

Das neue Gesetz ist eine Reaktion auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR). Dieser hatte kritisiert, dass die Überwachung von IV-Bezügern nicht gesetzlich verankert sei. Die Parlamentarierinnen und Parlamentarier wollten deshalb die bestehende Praxis in ein neues Gesetz giessen.

Dass die Sozialversicherungen bei Verdachtsmomenten überhaupt Überwachungen durchführen, ist für Schefer grundsätzlich fraglich. Er meint, das könnte gerade so gut die Staatsanwaltschaft tun, wenn nicht sogar besser. «Mir ist aber bewusst, dass dieser Vorschlag politisch chancenlos ist.»

Das Gesetz kommt im Frühjahr 2018 in den Nationalrat. Dort wird Schefer in der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit (SGK) als Experte auftreten und seine Kritik wiederholen.

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