Jacques Callot: Ein Künstler zwischen Komödie und Krieg

Einige Werke Callots reizen zum Schmunzeln. Andere wiederum sind grauenerregend.

Grotesk: buckliger Zwerg mit Geige.

Einige Werke Callots reizen zum Schmunzeln. Andere wiederum sind grauenerregend.

Manchmal sieht man vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr. Es kann aber auch das Gegenteil der Fall sein, und man sieht nur den Wald, ohne die einzelnen Bäume in ihrer jeweiligen Einzigartigkeit wahrzunehmen.

In dieser «Zeitmaschine» geht es allerdings weniger um Bäume als um Menschen in unterschiedlichen Zusammenhängen. Gezeichnet hat sie Jacques Callot, Zeichner und Kupferstecher aus der lothringischen Stadt Nancy.

Jacques Callot kam 1592 zur Welt. Da er sich früh mit seinen Zeichnungen hervortat, liess ihn sein Vater, der als Herold am herzoglichen Hof Lothringens wirkte, eine Lehre bei einem Goldschmied und Graveur machen. Kaum 16 Jahre alt, zog es Callot 1608 nach Rom und 1612 in die Stadt Florenz. Nach dem Tod seines Gönners Cosimo II. de‘ Medici im Jahr 1621 kehrte Callot nach Lothringen zurück, heiratete zwei Jahre später Cathérine Kuttinger und lebte bis zu seinem Tod im Jahr 1635 in seiner Geburtsstadt Nancy.

Sinn für das Groteske

Callot war ein äusserst produktiver Künstler. Neben mehreren Hundert Heiligen zeichnete er Figuren der italienischen Commedia dell’arte, bucklige Männchen, Zigeuner und Bettler. Hinzu kommen Darstellungen belebter Märkte, festlicher Inszenierungen und des Kriegsgeschehens und seiner Schrecken.

Callots frivol oder bombastisch auftretende Komödienfiguren entlocken dem Betrachter auch noch nach 400 Jahren ein Schmunzeln. Und seine buckligen Zwerge, die Gobbi, machen deutlich, dass Callot einen Sinn für das Groteske schlechthin besass. Welcher Anteil daran der realen Welt geschuldet und was Callots Fantasie entsprungen ist, lässt sich schwer abschätzen. Im Dunkeln bleibt auch, ob diese bizarren Gestalten vor allem der Nachfrage eines kaufkräftigen Publikums entgegenkamen oder ob sie eine spezifische Weltsicht Callots widerspiegeln.

Der Mensch in der Masse

Neben Darstellungen einzelner Gestalten oder kleiner Gruppen schuf Callot auch Werke, auf denen Menschen in Massen zu sehen sind, wie etwa auf dem «Markt von Impruneta» oder der «Belagerung von Breda» (Detail)



«Die Belagerung von Breda».

«Die Belagerung von Breda» (1628).

Letzteres Werk fertigte Callot im Auftrag der spanischen Infantin Isabella Clara Eugenia an, deren Soldaten die niederländische Stadt Breda am 2. Juni 1625 nach monatelanger Belagerung einnahmen. Auf dem monumentalen Werk  (125,5 x 147 cm) stellte Callot neben dem Plan der Stadt und ihrer Befestigungsanlagen schätzungsweise 10’000 Soldaten dar, und zwar, wie Bernd Schuchter schreibt, «mit einer Detailgenauigkeit und einem individuellen künstlerischen Ausdruck, die ihresgleichen suchen». Dennoch: Der einzelne Soldat verschwindet meist weitgehend in der Masse.

Gekämpft wurde zu Callots Lebzeiten nicht nur in den Niederlanden. Seit 1618 tobte in Europa der Dreissigjährige Krieg, eine Reihe von konfessionell gefärbten Konflikten zwischen katholischen und protestantischen Fürsten- und Königshäusern.

30 Jahre Krieg

1631 erreichte der Krieg auch Lothringen, zwei Jahre später wird Nancy erobert, das Herzogtum fällt an Frankreich. In dieser Zeit entsteht auch Callots 1633 gedruckter Zyklus «Les misères et les malheurs de la guerre». Callot zeigt hier ein schonungsloses Bild des Krieges und seiner Greuel: Schlachtgetümmel, gnadenlose Plünderungen, Zerstörungen von Klöstern und Dörfern, Massenexekutionen, Kriegsinvalide und Bettler, Bauern, die an ihren Peinigern grausame Rache nehmen.



«Die Gehenkten» aus dem Zyklus «Les misères et les malheurs de la guerre» (1633).

«Die Gehenkten» aus dem Zyklus «Les misères et les malheurs de la guerre» (1633).

Man ist versucht zu glauben, hier protestiere einer gegen den Krieg und seine Schrecken. Bernd Schuchter, der den Zyklus neu herausgegeben hat, nimmt allerdings an, dass es Callot nicht darum ging, «die grosse Klage gegen die Sinnlosigkeit des Krieges» zu erheben. Die gezeigten Massenhinrichtungen etwa seien eher «Strafmassnahmen gegen die eigenen Soldaten, gegen Deserteure», seien «Beispiele der Abschreckung, um die Moral der Truppe aufrechtzuerhalten».

Hat Callot also nicht nur mit kühlem Strich, sondern auch mit kaltem Blick gezeichnet? Hat ihn nicht berührt, wie der einzelne Mensch – sei es als Opfer oder als Täter – seine Einzigartigkeit verliert, wie Menschen im Krieg zu Menschenmaterial werden, das massenhaft verschlissen wird?

Und was geschieht in uns, die wir täglich von Tod und Verderben hören? Sind wir noch fähig, in jedem Menschen das menschliche Wesen zu erkennen, das er ist oder sein könnte?

Bernd Schuchter (Hrsg.): «Jacques Callot – Der grosse Schrecken des Krieges». Limbus Verlag, Innsbruck 2016. – Von Bernd Schuchter ist letztes Jahr zudem der historische Essay «Jacques Callot und die Erfindung des Individuums» im Braumüller Verlag Wien erschienen.

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