Jetzt gibt es keinen Platz mehr im Kinderzimmer

Franziska und Benjamin haben einen langen und schmerzvollen Weg hinter sich. Nur dank medizinischer Hilfe sind sie heute glückliche Eltern von Anna und Noah.

«Anna und Noah wissen, dass sie mal im Tiefkühler waren», sagt Mutter Franziska. Sie und Benjamin reden offen darüber, dass sie nur dank medizinischer Hilfe Eltern wurden. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Franziska und Benjamin haben einen langen und schmerzvollen Weg hinter sich. Nur dank medizinischer Hilfe sind sie heute glückliche Eltern von Anna und Noah.

Dass ihre Eltern heute zwei Männern von der Zeitung erzählen, wie sie in den Bauch ihrer Mutter gekommen ist, findet Anna nicht verwunderlich. «Ist doch klar, das machen alle Mamis so», sagt die Sechsjährige. Anna weiss, dass sie aus dem Tiefkühler kommt. Und ihr kleiner Bruder Noah weiss es auch. Aber was spielt das schon für eine Rolle? Anna muss jetzt los, ihre Freundinnen warten draussen in ihren orangefarbigen dreieckigen Leuchtwesten. Der Kindergarten beginnt gleich.

Noah hat sich derweil ins Wohnzimmer zurückgezogen. Hin und wieder hört man ein Xylophon klimpern, einmal singt er dazu leise ein paar Takte vor sich hin. Franziska und Benjamin, die Eltern, nehmen am grossen Esstisch Platz. Wir setzen uns dazu.

Der Weg zur glücklichen Familie war lang für die beiden und von Hindernissen übersät.

«Ab Mitte 20 war uns beiden klar, dass wir Kinder wollen», sagt Benjamin. Drei Jahre später war Franziska immer noch nicht schwanger. Der Kinderwunsch war übermächtig, allgegenwärtig, er bestimmte den Alltag. «Ich sah überall nur noch Schwangere und Kinder», sagt Franziska.

Im Verhör

Eine Zeit voller Arztbesuche, Tests und schwindender Hoffnung begann. Bis dann an einem Freitag im März 2007 der Gynäkologe den definitiven Befund ausstellte: Die Wahrscheinlichkeit, dass Franziska von Benjamin schwanger wird, liegt ungefähr bei eins zu einer Million. Das hat zwei Gründe: Sie leidet unter dem sogenannten PCO-Syndrom (polyzystisches ovarielles Syndrom) – einer Hormonstörung, die dazu führt, dass kein Eisprung stattfindet. Er wiederum produziert nicht ausreichend funktionsfähige Spermien.

Die beiden reagierten sehr unterschiedlich auf die enttäuschende Botschaft. Franziska versank in einem emotionalen Loch, weinte viel, war verzweifelt. Benjamin wollte nicht wahrhaben, dass ihr lang gehegter Kinderwunsch unerfüllt bleiben sollte und googelte los.

Nur wenige Wochen später sassen sie im Kinderwunsch Zentrum und mussten sich einem regelrechten Verhör unterziehen. Der Arzt wollte sichergehen, dass der Kinderwunsch bei beiden Partnern vorhanden ist. Er wollte prüfen, wie stabil die Beziehung ist und ob Franziska und Benjamin in der Lage sind, sich gegenseitig zu unterstützen. Mit 30 waren beide eher jung, das Durchschnittsalter bei Frauen die eine künstliche Befruchtung wünschen, liegt zwischen 35 und 38 Jahren.

«Anna hat uns insgesamt 25’000 Franken gekostet», sagt Mutter Franziska trocken.

Zu diesem Zeitpunkt waren sie beide bereit, grosse Opfer zu erbringen. Benjamin sagt heute: «Ich hätte meinen Arm gegeben, wenn das etwas geholfen hätte.» Solch drastische Massnahmen waren zwar nicht nötig, die folgenden Monate waren trotzdem hart.

Da war die Kostenfrage. «Anna hat uns insgesamt 25’000 Franken gekostet», sagt Franziska trocken. Es ist eine irritierende Aussage, die seltsam berührt. Ins Bild der heilen Familie passt kein Preisschild. Franziska und Benjamin reden dennoch offen darüber; Fakten müssen benannt werden, Probleme besprochen. Das haben sie auf ihrem leidvollen und langen Weg gelernt. Nur so komme man als Paar heil durch diese Zeit.

Die Kosten jedenfalls, die übernahmen teilweise die Eltern von Franziska und Benjamin.

Benjamin wurden operativ Spermien entnommen, Franziska musste sich einer intensiven Hormonbehandlung unterziehen. «Wochenlang nahm ich Tabletten und musste mir täglich Hormone spritzen.» Die Behandlung folgte einem genauen Zeitplan. Manchmal klingelte der Handyalarm mitten in der Nacht, weil wieder eine Dosis fällig war, erzählt sie. Mit dieser Behandlung wird der Körper auf eine Schwangerschaft vorbereitet.

Unermessliche Erwartungen

Bei der ICSI-Methode (introzytoplasmatische Spermieninjektion) werden die Spermien mittels einer mikroskopisch feinen Nadel in die zuvor bei der Frau gewonnenen Eizellen injiziert. Und einige Tage später als Embryo in die Gebärmutter übertragen. Dieser Vorgang wird «Transfer» genannt.

Der erste Transfer misslang, der Embryo starb nach wenigen Wochen ab. Der zweite Transfer war erfolgreich und heisst heute Anna.

Der zweite «Transfer» war erfolgreich und heisst heute Anna.

Eine durch künstliche Befruchtung erzeugte Schwangerschaft gilt erst ab der 16. Woche als reguläre Schwangerschaft mit reellen Erfolgsaussichten. Diese Zeit beschreibt Benjamin heute als die schlimmste Phase. «Als Franziska endlich schwanger war, stiegen die Erwartungen ins Unermessliche. Gleichzeitig war da diese Angst, dass doch noch etwas passieren könnte.»

Es liegt in der Natur der Sache, dass diese Behandlung stark auf die Frau ausgerichtet ist: die vielen Arzttermine, die Hormoninjektionen, das körperliche Befinden, das «gefühlte» Schwangersein. Der Mann spielt dabei zumindest aus Sicht der Behandlung keine Rolle mehr. Benjamin aber wollte weiterhin involviert sein. «Ich wollte meinen Teil dazu beitragen, gerade auch in dieser Zeit der Ungewissheit.»

Unendliche Dankbarkeit

Er übernahm den Part des Unterstützers, der für die hormonbedingte Empfindlichkeit von Franziska Verständnis fand. Der aber auch darauf achtete, dass Franziska sich nicht in ihrer emotionalen Blase isolierte. Der für Ablenkung sorgte und dafür, dass ihre Beziehung nicht von diesem einen Thema erstickt wurde.

«Als Anna nach neun Monaten gesund zur Welt kam, waren wir unendlich dankbar», sagt Franziska. Während Benjamin das neu gewonnene Familienglück nicht zusätzlich herausfordern wollte, wurde bei Franziska der Kinderwunsch durch Anna fast noch grösser. Schon bald war klar, dass sie es noch einmal versuchen wollten.

Zwei weitere Hormonbehandlungen und neun Monate später wurde Noah geboren. Das war vor etwas mehr als vier Jahren.

Noch einmal wollen die beiden diese Strapazen nicht auf sich nehmen. Heute wären die Erfolgsaussichten auch wesentlich geringer. «Anna wünscht sich noch ein Schwesterchen», erzählt Franziska, «dann erklären wir ihr, dass das nicht so einfach ist.» Und Benjamin fügt an: «Oder wir sagen einfach, dass es im Kinderzimmer keinen Platz mehr gibt.»

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Franziska und Benjamin wollen zum Schutz ihrer Kinder nicht mit Nachnamen genannt werden.

Wenn Kinderwünsche nur dank medizinischer Hilfe wahr werden

Basel ist als Ort für die künstliche Befruchtung äusserst beliebt. In unserem aktuellen Wochenthema gehen wir der Frage nach, wieso dies der Fall ist. Haben Sie Anregungen oder Hinweise? Schreiben Sie uns: dienstpult@tageswoche.ch.

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