Einmal den eigenen Film im Kino zeigen: Dieser Traum ging für 53 Jugendliche in Erfüllung. Sie zeigten die Kurzfilme, die die Woche über im Movie Camp entstanden sind – vom Gangsterdrama bis zum Drogenepos.
«Klappe – und Action!», ruft Annina. Ton, Licht und Kamera sind bereit. Annina sprintet aus dem Bild. Schon eilt Emily, die eigentlich Olivia heisst, die Treppe hoch, in der Hand eine Taschenlampe, auf dem Sofa schreckt der Hausherr hoch. Emily ist Mitglied einer Einbrecherbande – im Kurzfilm «Lost and Found».
Er ist einer von neun Filmen, die in dieser Woche im Walzwerk Münchenstein gedreht werden. Hinter Kamera, Mikrofon und Drehbuch stecken 53 Kinder und Jugendliche zwischen 8 und 20 Jahren. Sie sind Teilnehmer des zweiten Movie Camps, das von Filmemacher Giacun Caduff und seinem Förderverein «Innovative EYE» aufgebaut wurde, der auch das Gässli Film Festival oder das Autokino in Pratteln organisiert.
«Pssst, hier wird gedreht»
«Wir wollen Feuer entfachen», sagt Caduff, 36, und meint das Feuer für den Film. Er will seine Liebe zum Medium weitergeben. Und er will eine Alternative zum Standardprogramm aus Ausflügen und Robinsonspielplatz in den Osterferien bieten. Zu beobachten, wie die Kids Feuer fangen und von Einzelkämpfern zu Teamplayern werden, die sich in eine Sache reinbeissen, ist für Caduff und seine 18 Camp-Betreuer das Grösste: «Am Film geht nichts allein, ausser vielleicht bei Woody Allen. Es ist fantastisch, wie schnell die Teams zusammenarbeiten und mit welcher Power sie rangehen.»
«Lost and Found» ist mehr als ein banaler Überfall, wie auch das Movie Camp mehr ist als ein Haufen Jugendlicher mit Kameras. Wer nur einen Morgen lang bei den Drehs zuschaut, der staunt, wie schnell aus Schülern Drehbuchautoren, Regisseure, Tontechniker und Kamerafrauen werden. Caduff dagegen überrascht das längst nicht mehr.
Die Überfallsszene aus «Lost and Found» wird im nahegelegenen Wohnzimmer eines Camp-Teilnehmers gedreht. Als dessen Vater durch die geschlossene Tür pfeift, ruft Regisseur Timo, 16-jährig, ohne zu bitten: «Ruhe, wir drehen hier einen Film!» Und Ruhe herrscht. Regisseur Timo, Annina, das Klappen-Girl, Olivia in der Hauptrolle, Tonmeister Philipp, Kameramann Jakob: Sie gefallen sich in ihren Rollen, auch wenn es Zeit brauche, in sie hineinzuwachsen. «Es macht Riesenspass – und wir lernen unglaublich viel», sagt Annina.
Spass im Vordergrund
Am Freitag stattet Marcel Stucki, der Schweizer Stuntman schlechthin, den Nachwuchsfilmemacherinnen und -filmern einen Besuch ab. Zudem gibt es Workshops in Make-up oder Theater. Begonnen hat die Woche mit Theorie, dann wurden die Drehbücher geschrieben, gefilmt, geschnitten und am Ton gefeilt. Die Tage sind intensiv, der Schlaf kurz, aber der Erfolg gibt den Camp-Machern recht: Waren bei der Premiere im vergangenen Jahr noch 40 Teilnehmerinnen und Teilnehmer dabei, sind es diesmal bereits 53. Und es wären noch weit mehr gekommen, hätte das Camp genügend Platz gehabt. Etwas Ähnliches gibt es nämlich in der ganzen Schweiz kein zweites Mal.
Was dereinst daraus wird, ist schwierig abzuschätzen, auch für Caduff. «Natürlich wäre es schön, wenn aus allen Filmemacher würden», sagt er, «aber es geht darum, dass die Kids eine geniale Woche haben. Ein Smile auf jedem Gesicht: Das ist unser Ziel.» Darum erwähnt er immer wieder das Feuer. Ohne das gehe nämlich nichts im Film, vor allem nicht in Basel, wo die Filmförderung ein Nischendasein friste. Wenn der Grosse Rat Anfang April über die Aufstockung der Fördergelder debattiert, könnte sich das allerdings ändern – von einer halben auf über zwei Millionen Franken jährlich.
Schwieriges Pflaster für Filmschaffende
Filmemacher Caduff, der als Visual Effects Coordinator am Set des Hollywood-Blockbusters «The Prestige» schon mit Hugh Jackmann und Scarlett Johansson arbeitete, holt aus: «Basel ist praktisch in jeder Kunstform on top, nur der Film fällt hinten ab. Basel hinkt Bern und Zürich in punkto Film einfach hinterher. Wird die Förderung genehmigt, werden wir zwar nicht reich, aber wir können etwas machen – und Basel wird aufholen.»
Als Beispiel nennt er seinen Film «20 Regeln für Sylvie» mit Carlos Leal in der Hauptrolle, der im vergangenen Jahr in den Kinos war und in Basel gedreht wurde. Caduff hätte diese eine Verfolgungsjagd gern während der Herbstmesse gedreht, doch das Geld, um Leal eigens dafür aus den USA einzufliegen, fehlte. «Natürlich geht es auch so, aber das darf nicht der Anspruch eines Filmemachers sein. Und vor allem ist es für Basel allerbeste Werbung, wenn die Herbstmesse so prominent in Szene gesetzt würde.»
Darum bewirbt man sich als Filmemacher aus Basel heute zuerst um Fördergelder aus dem Bundestopf. Die Kantone Bern und Zürich unterhalten Filmstiftungen, allerdings mit Auflagen, die sich Caduff auch für Basel vorstellen könnte: ein spending requirement. Wer etwa für seinen Film 100’000 Franken von der Zürcher Filmstiftung erhält, ist verpflichtet, mindestens 150’000 Franken im Kanton Zürich auszugeben.
Premiere vor den Augen der Grossräte
Private Investoren wie in Hollywood hingegen fallen praktisch weg, denn bereits 10’000 Eintritte an den Kinokassen bedeuten hierzulande kommerziellen Erfolg. Damit lässt sich kaum etwas verdienen. Die Frage, ob Filmförderung in der Schweiz nun aber mehr Kultur- oder Wirtschaftsförderung ist, beantwortet sich trotzdem nicht.
Diesen Samstag um 11 Uhr wurden die neun Filme des Movie Camps im Kino Pathé Küchlin in Basel vorgeführt. Die Aufregung und Vorfreude waren gross. «Lost and Found» war genauso zu sehen wie das Drogenepos «Die Drogoholiker», der Beitrag der jüngsten Camp-Teilnehmer. Giacun Caduff, der auch bei der Schällenursli-Verfilmung seine Finger im Spiel hatte und in Kürze einen Film mit Serge Gainsbourgs Stöhnduettpartnerin Jane Birkin dreht, hat dafür eigens einige Basler Grossräte eingeladen. «Vielleicht hilft es ja», sagte er im Vorfeld.