Kanton streicht Experten für Maturprüfungen

Künftig werden die schriftlichen Maturprüfungen in Basel-Stadt nur noch sporadisch Zweitkorrektur gelesen. Das gefährde die Unabhängigkeit der Prüfungsabnahmen, sagen Gym-Lehrer.

Im Sommer schreiben Basler Maturandinnen und Maturanden jeweils ihre Abschlussprüfungen. Danach beginnt die Arbeit für die Lehrpersonen. (Bild: Jens Wolf)

Eine Maturandin schreibt ihre Maturprüfung in Deutsch, ein Aufsatz über den «Zusammenhang von Freiheit und Sicherheit in unserer Gesellschaft». Ihr Deutschlehrer liest den Text, benotet ihn und gibt ihn mit allen weiteren Aufsätzen aus dieser Klasse an einen Germanistikprofessor weiter, der Zweitkorrektur liest und schriftlich erklärt, ob er mit der Benotung des Lehrers einverstanden ist.

So lief es bislang an Basler Gymnasien, ab nächstem Jahr ist damit Schluss. An drei Schulen wurden die externen Experten, die Zweitkorrektur lasen, bereits abgeschafft. Am Leonhards- und Wirtschaftsgymnasium werden die externen Experten bei schriftlichen Maturprüfungen ab nächstem Sommer fehlen.

Unter Lehrpersonen macht sich Widerstand dagegen breit. Jean-Michel Héritier von der Lehrergewerkschaft Freiwillige Schulsynode erklärt, einige Lehrerinnen und Lehrer seien auf ihn zugekommen, weil sie sich wegen der neuen Regelung Sorgen machten: «Die Unabhängigkeit der Prüfungsabnahme ist damit nicht mehr gesichert.»

Bei Aufsätzen besonders heikel

Bei Deutschaufsätzen spiele zum Beispiel die subjektive Wahrnehmung der Lehrperson bei der Benotung mit. Da sei es problematisch, wenn nur der Klassenlehrer korrigiere, meint Héritier, der sich dabei auf Aussagen von Gym-Lehrpersonen bezieht.

Lehrpersonen an unterschiedlichen Basler Gymnasien erklären sich gegenüber der TagesWoche einverstanden mit dieser Aussage. Sie wollen anonym bleiben, zu gross ist die Angst davor, gegen den eigenen Arbeitgeber, das ED, auszusagen.

«Für die Lehrpersonen bedeutet es zwar weniger Arbeit, wenn sie ihre Bewertungen nicht mehr mit einem externen Experten absprechen müssen», sagt ein Lateinlehrer. «Aber die Qualität der Prüfungsabnahme sinkt dadurch deutlich.»

Zwar können die Lehrpersonen die Zweitkorrektur bei Bedarf an Fachkolleginnen und -kollegen an ihrem Schulhaus delegieren. Dies sei bei den bisherigen Maturprüfungen aber nur selten passiert, weiss eine Deutschlehrerin. «Es braucht immer eine gewisse Überwindung, wenn man sich an eine Fachkollegin oder einen -kollegen wendet und mit ihm oder ihr die Beurteilung aushandeln muss. Die Person findet bei der Zweitkorrektur vielleicht: Spinnt die, dafür eine Sechs zu geben?»

Keine Sparmassnahme

Ulrich Maier, Leiter Mittelschulen, versteht diese Kritik nicht. «Wenn sich Lehrpersonen davor scheuen, ihre Kolleginnen oder Kollegen aus der Fachschaft als Zweitkorrektoren einzusetzen, dann ist in diesem Team wenig Konfliktfähigkeit vorhanden.» Es sei eben wichtig, bei den Prüfungskorrekturen eng im Team zu arbeiten.

Eine «systematische Zweitkorrektur» habe es ohnehin nie gegeben, erklärt Maier. Er spricht von einer «Zweitbeurteilung», die bis vor Kurzem bestand. Tatsächlich hätten nicht alle externen Experten alle Aufsätze und Prüfungen von A bis Z durchgelesen. Zum Beispiel nur die besten und die schlechtesten einer Klasse. So erzählen es Gym-Lehrpersonen.

Doch neuerdings steht in den kantonalen Vorgaben zu Maturprüfungen: «Eine systematische Zweitkorrektur ist in der Regel nicht nötig.» Für die Deutschlehrerin ist deshalb klar: «Mit der neuen Regelung wird noch weniger Zweitkorrektur gelesen.»

Mit der Massnahme will das ED nach eigenen Angaben nicht etwa Geld sparen. Denn für die internen Zweitkorrekturen erhalten die korrigierenden Lehrpersonen einen Extra-Sold. Die Idee des ED ist vielmehr, die Prüfungen und Korrekturen zu vereinheitlichen. Maier sagt, die Prüfungen sollen intern Erst- und Zweitkorrektur gelesen werden, «so ist gewährleistet, dass die Maturandinnen und Maturanden von den Examinatoren gleich behandelt werden». Die neue Praxis bringe deshalb mehr Gerechtigkeit und stelle «eine Qualitätssteigerung bei der Prüfungsabnahme» dar.

Druck über Politik

Klar ist: Nicht alle Gym-Lehrpersonen sehen die neue Praxis als Problem. Die schriftlichen Prüfungen machen auch nur einen kleinen Teil der Maturnoten aus – nämlich etwa einen Zehntel.

Die Freiwillige Schulsynode will erst einmal abklären, ob eine Mehrheit der Gym-Lehrpersonen die neue Praxis als Problem sieht. Falls das der Fall sein sollte, würde der Lehrerverband nochmals beim ED intervenieren und allenfalls auch einen politischen Vorstoss ins Auge fassen, sagt Héritier.

Für die Zweitkorrektur von Maturprüfungen gibt es keine schweizweiten Vorgaben. Jeder Kanton hat seine eigene Praxis. Baselland kennt beispielsweise die Regelung ohne externe Experten, wie es neu auch im Stadtkanton gehandhabt wird. Zürich setzt hingegen nach wie vor auf externe Experten, die die schriftlichen Prüfungen Zweitkorrektur lesen.

Nächster Artikel