Kein Mädchen wird gezwungen, «Ronja Räubertochter» zu lesen

Die Kinderbücher-Tipps der Abteilung Gleichstellung Basel haben für Wirbel gesorgt. Staatliche Literaturkritik sei vermessen, heisst es. Uns interessiert vielmehr: Haben Prinzessin Lillifee und Peter Pan wirklich einen so grossen Einfluss auf Kinderseelen? Stefanie Schälin vom Zentrum Gender Studies hat Antworten.

Wenn Gender draufsteht, gibts Ärger.

Die Kinderbücher-Tipps der Abteilung Gleichstellung Basel haben für Wirbel gesorgt. Staatliche Literaturkritik sei vermessen, heisst es. Uns interessiert vielmehr: Haben Prinzessin Lillifee und Peter Pan wirklich einen so grossen Einfluss auf Kinderseelen? Stefanie Schälin vom Zentrum Gender Studies hat Antworten.

Vor Kurzem hat die Abteilung Gleichstellung die Broschüre «Himmelblau und Rosarot» herausgegeben, mit Tipps für Kinderbücher, die nicht den gängigen Rollenklischees entsprechen. Bei der TagesWoche-Community kam das gut an: 250 Leserinnen und Leser drückten auf Facebook «gefällt mir».

«Sieben Kinderbücher ohne Rollenklischees»

Weniger begeistert waren andere Medien und manche Politikerinnen und Politiker. Die «Schweiz am Wochenende» schrieb von «amtlich geprüften» Büchern und die LDP-Präsidentin Patricia Falkenstein sagte: «Wenn das die Aufgabe des Gleichstellungsbüros ist, kann man dieses gleich abschaffen.»

Darüber kann man diskutieren, wir aber wollten in erster Linie wissen: Welchen Einfluss haben Kinderbücher auf Buben und Mädchen? Und riefen bei Stefanie Schälin im Zentrum Gender Studies in Basel an. Sie forscht unter anderem zu Rollenklischees in Kinderkrippen.

Stefanie Schälin, kommt es drauf an, ob meine Tochter «Prinzessin Lillifee» oder «Meine Mama ist Feuerwehrfrau» anschaut?

Ja, Kinder suchen sich Vorbilder, sie identifizieren sich mit den Heldinnen und Helden in den Büchern. Wenn also Ihre Tochter in Kinderbüchern immer nur Mädchen sieht, die sich schön machen und auf den Prinz warten, oder Frauen, die sich um Kinder kümmern, denkt sie, dass eine Frau so sein muss, während Knaben Abenteuer erleben und Hindernisse aktiv überwinden.

Ich wandle alle männlichen Hauptpersonen in weibliche um, wenn ich meiner Tochter vorlese. Kann ich darauf hoffen, dass sie einmal etwas Rechtes wie Physikerin oder Informatikerin wird?

So eins zu eins funktioniert das nicht. Aber zumindest weiss Ihre Tochter so, dass es für Mädchen und Frauen mehr Möglichkeiten gibt, als sich zum Beispiel nur mit dem Aussehen zu beschäftigen. In einer Studie des Zentrum Gender Studies wurde festgestellt, dass sich Mädchen und Knaben heute immer noch für geschlechtsstereotype Berufsausbildungen entscheiden.

Und das hat wirklich mit Kinderbüchern zu tun?

Nicht nur mit Büchern, sondern auch mit Spielzeug und Erziehung. Kinder müssen erst noch lernen, wie die Gesellschaft funktioniert, und das lernen sie anhand ihrer Umgebung. Eine Studie der Universität St. Gallen hat gezeigt: Je weniger Kinderkrippen nach dem gängigen Muster «Puppe für die Mädchen, Eisenbahn für die Knaben» eingerichtet werden, desto weniger nehmen die Kinder typische Rollenklischees an.

Aber ich gebe mir grosse Mühe, meine Tochter nicht wie eine Prinzessin zu behandeln und ihr Autöli schmackhaft zu machen. Trotzdem spielt sie lieber mit ihrer Puppe. Liegts nicht vielleicht doch an der Biologie?

Das hat mit dem ganzen Umfeld zu tun. Sie alleine können nicht die Geschlechterbilder ändern, die Jahrzehnte lang in unserer Gesellschaft herrschten. Sie sind ja nicht der einzige Einflussfaktor – im Spielzeugladen, auf Werbeplakaten und im realen Leben sieht ein Kind heute oft noch geschlechtertypische Rollenmuster.

Sehen Sie es als Aufgabe des Staates, eine Broschüre mit gendergerechten Kinderbüchern herauszugeben?

Ich verstehe die Aufregung nicht. Die Liste ist ja nur ein Angebot, sie zwingt niemanden dazu, der Tochter «Ronja Räubertochter» vorzulesen, und sie verbietet keinem Mädchen seine Puppe. Es geht auch nicht darum, Kinder in etwas zu verwandeln, das sie nicht sind. 

Nicht?

Ein Kind soll sich individuell gemäss seinen Interessen und Fähigkeiten entwickeln. Diese Liste gibt ihnen mehr Vorbilder, mehr Möglichkeiten. Das ist doch begrüssenswert.

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