Draussen spielen war gestern. Heute sollen Kinder in speziellen Zimmern in Bewegung gebracht werden. Das Modell – eine Koproduktion von Basler Behörden, Forschern und Ikea – ist innovativ. Und fragwürdig.
Dumm, dick und aggressiv: So beschreibt Manfred Spitzer, der bekannte deutsche Hirnforscher und Buchautor unsere Jugend. Schuld daran seien, na klar, Computer, Playstation, TV und so weiter.
Und Spitzer ist längst nicht der einzige, der so redet.
Nun gut, könnte man als Erwachsener sagen. In dem Fall müssen die Kinder ihre «Grätli» eben mal abschalten und rausgehen. An die frische Luft, spielen.
Das Problem ist, dass die Strassen in der realen Welt aber oft noch gefärlicher sind als jene in der virtuellen Spielwelt mit all ihren Bösewichten und sonstigen Bedrohungen.
Also bleiben die Kinder daheim. An ihren Geräten.
Dagegen will das Basler Erziehungsdepartement (ED) nun mit dem Institut für Sport und Sportwissenschaften der Universität Basel und Ikea etwas unternehmen. Gemeinsam präsentieren sie ein so genanntes Bewegungszimmer.
Das ist ein Kinderzimmer, in dem die Möbel und Utensilien so angeordnet sind, dass sich die Kinder zum Schaukeln, Balancieren und Klettern animiert fühlen, wie einer Pressemitteilung zu entnehmen ist.
Eine Weltneuheit
An diesem Sonntag kann das – Irrtum vorbehalten – weltweit erste Bewegungszimmer dieser Art begutachtet werden – in der Ikea in Pratteln, versteht sich.
Es ist ein unbestritten innovatives Projekt. Eines aber auch, das Fragen aufdrängt.
Erstens: Ist es eine Staatsaufgabe, einem bestimmten Möbelhaus mithilfe einer solchen Aktion zusätzliche Kunden zuzuführen?
Antwort aus dem Erziehungsdepartement: «Wir machen keine Werbung. Das hätte Ikea auch gar nicht nötig. Die Leute gehen am Sonntag sowieso dorthin», sagt Oliver Schwarz, Leiter Sportförderung im ED. Umso wichtiger sei die Aktion für das Sportamt: «Auf diese Weise bekommen viele Familien unsere Botschaft mit: wie wichtig Bewegung ist und wie einfach sie auch daheim garantiert werden kann.»
Zweite Frage: Wäre es nicht besser, dafür zu sorgen, dass die Kinder draussen wieder besser spielen könnten als die Kinderzimmer aufzurüsten?
Eine naive Frage offenbar, wie Schwarz zu verstehen gibt: «Die Realität ist nun mal, dass viele Kinder gerade in einer Stadt wie Basel immer mehr Zeit daheim verbringen.» Und am «Grätli» sitzen. «Es sei denn, sie können ihren natürlichen Bewegungsdrang ausleben», wie er sagt. Dafür brauche es nicht einmal viel: «Wichtig ist vor allem der Platz, der möglichst unverstellt bleiben sollte.»
Will heissen: In einem oder anderen Haus gibt es wohl jetzt schon eher zu viele als zu wenige Spielsachen. Wahrscheinlich wird man sich bei der Ikea aber trotzdem freuen, wenn am Sonntag die eine oder andere Zimmer-Schaukel, der eine oder andere Krabbelwurm zusätzlich verkauft wird.