Traurige Unglücke wie die «Amokfahrt» in Basel und der schreckliche Bus-Unfall im Wallis sind besonders für Kinder schwer zu begreifen. Joachim Küchenhoff, Chefarzt der Psychiatrie Baselland, sagt im Interview, wie Eltern damit umgehen können.
Wie erklären Erwachsene Kindern ein tragisches Unglück wie die «Amokfahrt» auf der Mittleren Brücke?
Es ist gut, wenn Erwachsene mit Kindern überhaupt über so schockierende Ereignisse sprechen oder hellhörig darauf sind, ob Kinder darüber sprechen wollen. Das ist nicht leicht, weil auch der Erwachsene eine tiefe Sprachlosigkeit überwinden muss, die mit dem eigenen Entsetzen über eine so sinnlos grausam erscheinende Tat zu tun hat. Kinder brauchen Sicherheit, und es ist wichtig, ihnen zu vermitteln, dass sie den Schutz weiter haben, dass sie sich in Basel weiterhin geschützt fühlen können. Kinder haben keine Vorstellungen darüber, wie selten so ein Unglück passiert, und es lohnt, wenn Erwachsene klar machen, dass auch sie so etwas nie erlebt haben. Erst, wenn das Kind selbst nicht mehr beunruhigt ist, können sich Gedanken daran anschliessen, was in dem Täter vorgehen mag, der sich so bedroht fühlt oder in die Ecke gedrängt fühlt, dass er die Kontrolle in diesem schrecklichen Ausmass verliert. Vielleicht ist es auch notwendig, Kinder erst einmal darauf aufmerksam zu machen, dass es psychisch kranke Menschen gibt, und dass sehr viel getan wird, um ihnen zu helfen und sie aus ihrer Not und inneren Einsamkeit heraus zu führen.
Kann es sein, dass Kinder nicht gross auf die Erklärungen der Erwachsenen reagieren – dann aber still leiden und allenfalls Angstzustände bekommen?
Kinder werden sehr darauf achten, wie ihre Eltern oder wichtige Bezugspersonen sich verhalten. Wenn die Erwachsenen sich sehr bedroht fühlen und gleichzeitig nicht über die Vorfälle reden, wird den Kindern die Angst der Erwachsenen sehr spürbar werden. Sie werden die Angst übernehmen, ohne dass sie verarbeitet werden könnte. Dann werden sie leiden. Auch wenn die Eltern selbst aggressiv reagieren und davon reden, dass solche Menschen weggesperrt werden müssen, dass psychisch Kranke kein Recht haben auf ein freies Leben, dann wird das Kind sich durch diese plötzliche Heftigkeit der Eltern bedroht fühlen. Was die Eltern vorleben, ist für die Kinder auch da entscheidend. Nun mag es aber auch sein, dass ein Kind das Ereignis zwar mitbekommt, dass aber ganz andere Dinge in seinem Erleben im Vordergrund stehen, dass es sich also gar nicht damit beschäftigen mag. Dann muss es auch das Recht haben, sich nicht damit zu befassen. Wenn Kinder also nicht reagieren, kann es Ausdruck einer übermässig grossen oder aber keiner Betroffenheit sein.
Bei welchen Altersklassen gibt es besondere Schwierigkeiten?
Die Herausforderung, die so ein Ereignis bedeutet, wird altersabhängig sehr unterschiedlich sein. Kinder im Primarschulalter lesen und hören in Märchen viel auch von Unvernunft, Grausamkeit und Gefahr. Sie wissen, dass es das im Bereich der Phantasie gibt. Ein solches Ereignis kann wie der Durchbruch der Phantasie in die Wirklichkeit erscheinen. Betroffen werden aber auch die Kinder sein, die in der Pubertät selbst sehr stark mit der Integration von Aggression, Verwirrung, innerer Aufgewühltheit zu kämpfen haben. Das Ereignis kann in jeder Altersstufe belasten und bedrücken. Sobald die Kinder sich mit ihren Sorgen an die Erwachsenen wenden, sind sie nicht mehr so schlimm. Schwierig wird es, wenn die Verunsicherungen und Bedrohungen abgewehrt werden, indem die Kinder sich über «die Verrückten» lustig machen oder allzu hart gegen den Täter urteilen. Von dieser Abwehr lässt sich auf das Ausmass der Irritation rückschliessen, die allerdings versteckt wird und deshalb nicht offen mitgeteilt werden kann. Es erleichtert die Kinder, wenn sie davon lassen können und stattdessen mit den Eltern und Angehörigen betroffen und traurig sein können.
Können Kinder ein Unglück wie dieses überhaupt begreifen?
Kinder können sich bereits in der Kindergartenzeit vorstellen, was es heisst, einem anderen Lebewesen Gewalt anzutun und es leiden zu lassen. Sie haben eine Vorstellung von Tod und Sterben, können aber die Endgültigkeit des Todes nicht abschätzen. Sie haben eigene Erfahrungen mit Zuständen von Verzweiflung und Zorn, aber haben keine Möglichkeit, sich in anhaltende und andauernde seelische Verstimmungszustände hinein zu versetzen. Kinder können das Ausmass des Leidens spüren, aber nicht in seinen Voraussetzungen und Folgen überblicken. Eigentlich gilt das nicht nur für Kinder. Es ist auch sehr schwer für Erwachsene, sich ein solches Unglück verständlich zu machen.