Madrigale im Brückenpfeiler, Punk in der WG, Tweets im Campus, Songwriting im Loft: Impressionen von der zweiten KlangBasel.
Wie ein Gemälde, ein spontan inspiriertes, mutet es an, was der junge Mann da in die Luft zeichnet. Doch seine Leinwand sind vier junge Mitmusiker an Violinen, die auf diese Gesten, für die Aussenstehenden eine Geheimsprache, überraschend reagieren. Es entstehen reibende Liegeflächen, minimalistische Loops, lustvolle Glissandi, doch auch die Körper sind in Aktion, mit Beatboxing, Stehgreifreden, Fsstrampeln und Umherwandeln.
Der Amerikaner Walter Thompson hat diese Technik der Echtzeitkomposition entwickelt, sie wird auch an der Musikschule Basel praktiziert, als eine Methode, die Disziplin und Kreativität zu gleichen Teilen fördert. Und dieses «Soundpainting», es hat auch immer seine humoresken Momente.
«Soundpainting», Klangmalerei – unter dieses Motto könnte man auch das ganze KlangBasel-Festival stellen, das an diesem Samstag tatsächlich der Stadt tönende Bilder wie ein Kleid mit vielen Tupfen anlegt. Das Verharren an einem Ort, wie sonst im Konzert gefordert, wird dabei vielfach ausgehebelt, die Stadt zur musikalischen Wanderkarte.
Auf musikalischem Spaziergang durch die Kleinbasler Altstadt mit dem Novantik Project. (Bild: Alexander Preobrajenski)
Etwa unter der Leitung von Abelia Nordmann, die uns mit ihrem Novantik Project durch die Gassen und alten Häuser wie das «Zum Roten Schneck» oder «Zum Birnböm» führt. Ein Ensemble mit zwei Violinen, Barockgitarre und Langhalslaute spielt dabei nicht nur für, sondern auch mit dem Publikum.
Denn dieses darf die lebhaften, manchmal regelrecht swingenden Bassfiguren für die Passacaglien und Chaconnes aus dem Barock liefern, während die Musiker sich auch mal in den historischen Häusern am Fenster postieren. Und ganz nebenbei lernen wir, dass «Fly Me To The Moon», die Schicksalsmelodie aus der «Love Story» oder der Disco-Hit «I Will Survive» auf den gleichen Basskadenzen beruhen wie die Stücke von Monteverdi und Kollegen.
Das Frauenquintett Canto Amabile singt im Pfeiler der Wettsteinbrücke. (Bild: Alexander Preobrajenski)
Starke Stimmen dann auch an einem unerwarteten Ort: In einem Pfeiler der Wettsteinbrücke singt das Frauenquintett Canto Amabile Stücke von Ernst Krenek, Bohuslav Martinú und Jacques Ibert, geleitet von Madrigalen hin zum Impressionistischen. Die Akustik in diesem ansonsten der Stadtreinigung vorbehaltenen Betonraum ist derart verblüffend, fächert die Stimmlagen so differenziert auf, dass man ernsthaft darüber nachdenken sollte, ihn öfters für solche Anlässe zu öffnen – auch wenn dem «Feinsliebchen» von Johannes Brahms mal das Tram über die zarten Füsse rumpelt.
Eine sommerliche Hitze hat sich mittlerweile über die Rheinpromenade gelegt, und wenn man zu dieser Stunde mit der Ueli-Fähri über den Rhein setzt, gibt es auch die passende Musik dazu: Flöte, Klarinette, Tamburin, Kontrabass und Gitarre versetzen mit der Chorinho-Musik aus Rio in heisse Gefilde, genau ein munteres Tänzchen lang geht die brasilianische Überfahrt.
Die Sopranistin Irina Ungureanu singt auf dem Jazzcampus, live und via Twitter. (Bild: Alexander Preobrajenski)
Noch geblendet vom gleissenden Mittagslicht steigen wir mit klingelnden Spazierstöcken hinab in den Keller der Alten Garde Olympia, im Halbdunkel, zum Schein der Fasnachtslaternen geht die Weltreise weiter: Umgeben von Harfe, Lamellophonen, Geigen, Gitarre, Blockflöte und Klarinetten werden wir durchs jugendliche Ensemble Improcontra vom Kleinbasel nach Paris entführt.
Eine «Gymnopédie» von Eric Satie schimmert hindurch, geheimnisvoll hölzerne Tremoli und verwischte Tonfolgen münden schliesslich in eine grandiose Interpretation von Steve Reichs «In C», bevor wieder am Rheinknie geankert wird mit harschen Staccati und lautmalerischem Blasen entlang des Flötenkorpus. Am Ende ein vielfaches Knattern von Trommeln, real und aus vielen Smartphones.
Musikalische Tweets
Diese Geräte spielen auch eine grosse Rolle in Rüdiger Meyers «Zwitschermaschine», die ihren Titel hier nur von Paul Klee entlehnt hat. Sopranistin Irina Ungureanu und das Mondrian Ensemble konfrontieren Neue Musik in einem Saal des Jazzcampus mit der digitalen Welt: Das Libretto wird aufs Natel getweetet.
Es ist nicht nur ein Abbild des Internet, sondern auch ein Stück Kulturgeschichte der Menschheit, denn die Kurznachrichten reichen von Poeten wie Rumi und Rilke bis zu Marshall MacLuhan oder der NSA. Nicht nur die menschliche Stimme setzt das Gezwitscherte um, auch Streicher und Piano folgen dem Sprachrhythmus der Tweets, abstrahieren die digitalen Worte zu analogem, wortlosen Klang.
Dieser erfrischend unbefangene Zeitgenosse hat seinen Auftritt im Glubos anlässlich der Performance von «A Tree in a Field Records». (Bild: Alexander Preobrajenski)
Wir nehmen die Beine in die Hand, denn was Marlon McNeill vom Label «A Tree in a Field Records» im Glubos angekündigt hat, wollen wir nach all der Hochkultur als Antidot wirken lassen. Die Brockenbude inszeniert er als Zwitter aus Wohngemeinschaft und Geisterhaus, durch dunkle Korridore geht’s, Spiralmuster werden einem auf den Leib projiziert, Stimmen scheinen aus alten Schränken zu entfleuchen, von Kassettenrekordern brüllt ein fiktiver Vater Anweisungen an den aufmüpfigen Jugendlichen, ein Mitbewohner sitzt nasebohrend am Laptop.
Bizarrer Spaziergang mit ruppigem Finale
Oben auf der Galerie fährt zu düsteren Bassfrequenzen eine Gestalt im Laubkleid in einem Eisenkäfig herab, Punkiges gibt’s von E-Gitarre und Drums aufs Trommelfell und schliesslich noch eine philosophische, wodkaschwangere Abhandlung über die Fragestellung, ob überhaupt etwas ist oder nicht vielmehr nichts. Ein bizarrer Hausspaziergang mit ruppigem Finale: Entlassen werden wir an einem Hinterausgang mit der Aufschrift «Ende Gelände».
Nach so viel aufwühlenden Sinneserlebnissen sollte der Abend vielleicht mit etwas Seelenklang beschlossen werden. Wir entscheiden uns für den Fahrradladen Obst & Gemüse in der Kasernenstrasse. In dem schön improvisierten Bar-Raum mit sowohl Wohnzimmer- wie Loft-Charakter verströmt Basels Pophoffnung Annie Goodchild souliges Flair. Ihr dunkler, satt-erdiger, suggestiver Alt wird unterstützt von zwei Backgroundsängerinnen, minimaler Rhythmussektion und E-Gitarre.
Annie Goodchild singt im Obst & Gemüse. (Bild: Alexander Preobrajenski)
Sie verfügt über eine wunderbare Phrasierung, atmet die Dynamik mit ihrer kleinen Band, baut mühelos Brücken zwischen Country, Gospelartigem, einem verträumten Walzer, einem Tracy-Chapman-Cover, lässt Annie Lennox anklingen – und beweist gerade in diesem reduzierten Setting, was für eine grossartige Performerin sie ist, auch ohne die ausgefeilten Arrangements ihrer aktuellen EP.
Der denkbar intime Ausklang gehört der Kanadierin Andrea Samborski, ebenfalls mit neuer EP («Before The Walls Fell») am Start. Man kennt sie in Basel ja eher als Bookerin des Parterre, doch nach diesem Set wünscht man sich, auch mehr von ihrer eigenen Songwriting-Kunst zu hören.
Intimer Ausklang
Es wird mucksmäuschenstill zu dieser spätabendlichen Stunde, als sie ihre Lieder über «Liebe die funktioniert und nicht funktioniert» mit heller, in den hohen Lagen kraftvoll-inniger Stimme vorträgt, nur stellenweise begleitet durch den schottischen Akkordeonisten Gordon Bell. Die bewegende Ballade «Tiger Lilies» über die Frau, die auf den Bahngleisen liegt, um den schönen Lilien ganz nahe zu sein – und die natürlich schlimm ausgeht – bildet das Finale zu diesem eindrücklichen Solo.
Die Sängerin selbst charakterisiert ihr Programm als «the winter-ism of it all». Mit einer solchen Geschichtenerzählerin kann der Winter in Basel ruhig kommen.
Die zweite Ausgabe der KlangBasel geht am Sonntagabend zu Ende. (Bild: Alexander Preobrajenski)