Die Rechtszustände in Entenhausen sind bestenfalls anarchisch, und ein echter Grosskapitalist setzt auf die Vermögensquelle Würstchenbude. Der Donaldisten-Jahreskongress widmete sich erstmals in Basel seiner fröhlichen Wissenschaft.
Die Erkenntnis ist bedenklich. Auf dem «stella anatium», dem Entenstern, werden juristische Paragrafen von selbstherrlichen Beamten und jähzornigen Richtern gebeugt, ist rechtsstaatliches Wissen nur verkrüppelt ausgebildet, und auf Verordnungsebene herrschen sowieso anarchische Zustände.
Weder Autos noch Flugräder unterliegen einem Zulassungsprozedere, Laienbaggerfahrer können sich unbehelligt durch Quartierstrassen quetschen, und ein lokaler Erfinder rekrutiert einwandslos Kinder als Testpiloten für einen elektronischen fliegenden Teppich – eine halsbrecherische Erfindung ohne Sicherheitsgurte oder Sturzhelm. Erstaunlich, dass in so einer Umgebung der reichste Mann der Welt sein Vermögen erwirtschaften konnte – oder besser: der reichste Erpel der Welt, Dagobert Duck.
Erste Tagung in der Schweiz
Für die genauere Erforschung solcher Fragen gibt es die Donaldisten. Der Verein, die «Deutsche Organisation nichtkommerzieller Anhänger des lauteren Donaldismus», kurz «D.O.N.A.L.D», widmet sich im deutschen Sprachraum seit 35 Jahren hingebungsvoll dieses Parallelunversums der Entenwelt und den Bewohnern ihrer Kapitale Entenhausen, der Familie Duck.
An ihrem Jahreskongress treffen sich die Donaldisten, um die neusten Forschungsberichte auszutauschen. Am gestrigen Samstag tagten rund siebzig Donaldisten – darunter einige wenige Donaldistinnen – am 26. Jahreskongress erstmals in der Schweiz, im Museum Kleines Klingental Basel.
Diese fröhliche Wissenschaft als dadaistische Persiflage auf den akademischen Forschungsbetrieb wurde mit feierlicher Würde zelebriert. Nahezu pünktlich um Viertel nach Zwölf erhob sich der volle Refektoriumssaal des Museums, um die offizielle Hymne zu singen. «Und lieg ich dereinst auf der Bahre / so denkt auch an meine Gui-tah-re / und legt sie mir mit in mein Gra-hab», lautet der Text, selbstverständlich einem Comic von Carl Barks entnommen, der einzige Disney-Zeichner, der aufgrund seiner Zeichenfähigkeit und seiner narrativen Tiefe von den Donaldisten als Schöpferfigur des «Antaversums» anerkannt wird.
Der Applaus danach folgte nicht etwa mit den Händen, sondern wird nach Vereinssitte gemurmelt und geschnattert: «Klatsch klatsch klatsch», ganz in der Schallworttradition von Erika Fuchs, die deutsche Übersetzerin von Barks‘ Comictexten, die die akustische Entenwelt um ein charakteristisches lautmalerisches Vokabular erweitert hatte: Kreisch, Wieher, Brüll.
Spass am Spleen
Es geht bei den Donaldisten also, das wurde sofort deutlich, bei aller ernsthafter Lauterkeit auch um den Spass am eigenen Spleen. Am Kongress sah man gestandene Universitätsdozenten und Feuilletonisten mit Entenkrawatte und Matrosenmütze und mit zahllosen donaldischen Ordensabzeichen an der Brust, um die sie jeder ruhmreiche Oberstwaldmeister des weltumspannenden Fähnlein Fieselschweif beneiden würde, und in den Fachreferaten verband sich wissenschaftliche Strenge mit lustvollem Nerdtum.
Das Münster von Entenhausen
Beispielhaft das Eröffnungsreferat von Christian Wessely, katholischer Theologe an der Universität Graz, der sich dem Entenhausener Münster annahm, seine Baugeschichte zu entschlüsseln versuchte und eine religionswissenschaftliche Deutung vornahm.
Skurril genug, dass in der Entenwelt, wo neben der Sexualität die Religion die zweite grosse Abwesende ist, ein eklektizistisch gebautes Münster steht, so gross wie der Wiener Stephansdom, entwickelte Wessely aus dem rohen Datenmaterial, das verfügbar ist – die Werke von Barks – einige stringente Erklärungsversuche: dass in der Umgebung von Entenhausen einige Eremiten anzutreffen sind wie den «knickrigen Kohlrabiapostel», weist auf eine Mönchstradition hin, aus deren Mitte zu florierenderen Zeiten womöglich das klerikale Personal stammte.
Der epochenübergreifende Baustil sei womöglich eine Folge von Kriegsschäden, die der in einer anderen Geschichte erwähnte General Haudegen mit seiner Artillerie dem Münster aus Versehen zugefügt hat, und das Münstergeläut – bestehend aus «einzigartigen Doppelglocken», die ohne Dissonanzen zu schwingen vermögen – lege ein schallendes Zeugnis einer «frühdüsentriebischen Ingenieurtradition» ab.
Die Quellenkenntnisse des Theologen Wessely waren fundiert, die Kombinierung mit seinem kirchenarchitektonischen Fachwissen schlüssig, die Schlussfolgerungen konsistent.
Allerdings erschloss sich nicht jeder Referatsbeitrag für Aussenstehende derart einfach. Den eingangs erwähnten Erörterungen von Rainer Bechtel über die jedem Rechtsstaat spottende Entenhausener Juristerei waren ohne solide Kenntnisse der Materie nur schwer einzuordnen.
Und um sich für den zehnminütigen Kurzfilm aus mehrmonatigen Webcam-Aufnahmen aus der Neubauphase des Erika-Fuchs-Hauses im fränkischen Schwarzenbach, wo ein ihr und ihren Übersetzungen gewidmetes Museum entstehen soll, zu begeistern, musste man schon ein eingefleischter Donaldist sein.
Das Geheimnis von Dagoberts Reichtum
Wer auf kulturwissenschaftliche Einordnungen der Familie Duck innerhalb der Popkultur oder um Spuren des gesellschaftlichen und politischen Klimas der Lebzeiten von Carl Barks hoffte, kam am Kongress der Donaldisten daher nicht auf seine Kosten.
Dafür gabs Anschubhilfe für zukünftige Grosskapitalisten und Plutokraten auf den Spuren von Dagebort Duck mit dem Hinweis, dass dessen sagenhafter Reichtum nicht nur auf Bergwerken und Ölquellen, sondern ebenso auf den omnipräsenten Würstchenbuden und Limonadenständen als eigentlichem Kitt der Entenhausener Wirtschaft beruhe.
Planetologische Erörterungen
Als eigentliches Fazit des Kongresses konnte man die planetologischen Erörterungen zum «Antaversum» von Patrick Martin, Naturwissenschaftler und «EhrenpräsidEnte» der Donaldisten lesen. Wer beobachte, wie sich die Familie Duck in ihren Weltraumabenteuern wider alle astronomischen Erkenntnisse und Wahrscheinlichkeiten schlage, muss anerkennen: hier war ein «Intelligent Designer» am Werk.
Eine solche Schlussfolgerung müssen wahre uneingeschränkt Donaldisten loben: als Anerkennung gabs ein besonders laut geschnattertes «Klatsch klatsch klatsch».